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Mit der Sea-Watch im Mittelmeer (5)Ein Dank ist verdient

Zwei Wochen war die Sea Watch mit einem taz-Reporter auf See. 124 Menschen wurden gerettet. Doch die Strapazen sind für sie noch nicht vorbei.

Gut angelegt: Die Sea Watch 5 im Hafen von Neapel nach der Rettungsfahrt Foto: Fabian Schroer

L angsam aber stetig steigt die Gangway, die schmale Zugangsbrücke, von Seilen hochgezogen in die Luft. Darunter kommt das grünliche Wasser des Hafenbeckens zwischen Schiff und Kaimauer zum Vorschein. Matrose Clement Barbet steuert den Kran, der Gangway zurück an Bord hebt, damit die Sea-Watch 5 ablegen kann. Nach etwa acht Stunden in Neapel wird sie sich wieder auf den Weg machen. Auf zu ihrem nächsten Einsatz – diesmal allerdings ohne mich.

Das Projekt Bordtagebuch

Zehn Jahre ist der Summer of Migration her, in dessen Verlauf hunderttausende Geflüchtete nach Deutschland kamen. Die taz widmet dem Thema einen Schwerpunkt – und schickt einen Redakteur auf das Seenotrettungsschiff Seawatch 5. In dieser Online-Kolumne und auf den Social-Media-Kanälen der taz berichtet Fabian Schroer vom Rettungseinsatz auf dem Mittelmeer. Alle seine Berichte und Videos finden Sie hier im Bordtagebuch.

Als die ersten Sonnenstrahlen am Montagmorgen hinter dem Vesuv erscheinen, fährt das blauweiße Seenotrettungsschiff gerade gemächlich in den weitläufigen Industriehafen ein. Ein graues Patrouillenboot der Guardia di Finanza eskortiert die Einfahrt und durch die Dämmerung erkennt man die Lichter der Kreuzfahrtschiffe, die die uns auf dem Weg in die süditalienische Metropole überholen.

Im Hafen wartet bereits ein Empfangskomitee. Zelten wurden aufgebaut, Ver­tre­te­r:in­nen verschiedener italienischer Behörden, Küstenwache, Polizei, Carabinieri, rotes Kreuz stehen am Kai und blicken in Richtung des einfahrenden Schiffes. Sogar einige Presseleute stehen etwas abseits hinter einer Absperrung. Grund für das Aufgebot ist, das nicht nur ich hier von Bord gehen werde – sondern auch die 124 neuen Passagiere der Sea-Watch 5.

Zwei Wochen habe ich die Crew des Rettungsschiffs zuerst bei ihrer Vorbereitung im Hafen von Taranto und dann bei ihrem 15. Einsatz im Mittelmeer begleitet. Dabei ist dieses Bordtagebuch entstanden. Unter den dazugehörigen Videos haben sich inzwischen die Kommentarspalten gefüllt.

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Abschied von der Sea-Watch 5: Doch ihre Mission geht weiter

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„#Held*innen!“, „Danke für eure Hilfe ❤️“, „Engel auf einem Planeten voller Finsternis…“, heißt es da – gemeint ist die Besatzung der Sea-Watch 5. Und was soll ich sagen, ein Dank ist verdient. Die 29-köpfige Crew war in der vergangenen Wochen unermüdlich – im wahrsten Sinne des Wortes, denn geschlafen wurde wenig: Zwei Seenotrettungen in zwölf Stunden, Navigation durch raue See und dann noch ein Schuss durch die libysche Küstenwache.

Zehn Mal versucht, das Mittelmeer zu überqueren

Doch die wahren Hel­d:in­nen dieser Fahrt sind die 124 Menschen aus Sudan, Bangladesch, Ägypten, Pakistan, Somalia, Guinea, Südsudan und Eritrea, die es nun über die Sea-Watch 5 nach Italien geschafft haben. Viele von ihnen durch die Wüste, den libyschen Knast, durch unmenschliche Arbeitsverhältnisse, auf der Flucht vor Krieg und Armut.

Manche von ihnen sagen, sie haben es zehn Mal oder öfter versucht, das Mittelmeer zu überqueren. Immer wieder wurden sie aufgehalten oder erlitten Schiffbruch. All das, weil Europa keine legalen Fluchtrouten gewährleistet.

Nun ist eine Etappe ihrer Reise geschafft. Doch die Strapazen sind nicht vorbei, vor ihnen liegt ein Spießrutenlauf durch die Behörden, der Kampf mit der Ungewissheit und die Angst, wieder zurückzumüssen. Trotz all der Unbekannten, Fallstricke und Hindernisse haben sie den gefährlichen Weg auf sich genommen und nun zumindest ein Teilziel erreicht. Dafür gebührt ihnen größter Respekt.

Die Gangway ist inzwischen verstaut. Mit den Behörden lief diesmal alles glatt und das Schiff ist bereit zum Ablegen. Ein Hafenangestellter fährt mit dem Auto vor und macht die Leinen los. Auf der Brücke winken Leute zum Abschied. Dann beginnen die gewaltigen Motoren wieder zu brummen.

Ich stehe auf dem Kai und sehe das Schiff, auf dem ich die letzten zwei Wochen gelebt habe, zwischen den Kränen und Lagerhallen kleiner werden. Für mich endet damit eine intensive und lehrreiche Reise, für die 124 Menschen, die es aus Libyen rausgeschafft haben, beginnt hoffentlich eine bessere Zukunft.

Für die Sea-Watch 5 und ihre Crew war es nur ein kurzer Zwischenstopp in Neapel – denn der nächste Einsatz wird nicht lang auf sich warten lassen.

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Fabian Schroer
Auslandsredakteur
Zuständig für Digitales im Auslandsressort. Schreibt hauptsächlich über Medien, Kultur und soziale Gerechtigkeit.
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