Misstrauensvotum in Großbritannien: Lauter gefühlte Sieger
Boris Johnson hat die Vertrauensabstimmung in seiner Partei überstanden. Er und seine Gegner erhalten aber nur eine kurze Verschnaufpause.
N ach dem gescheiterten Misstrauensvotum der konservativen Parlamentsfraktion in Großbritannien gibt es eigentlich nur Verlierer. Verloren haben zunächst einmal die Initiatoren des Votums selbst: mit 211 zu 148 Stimmen haben die Abgeordneten Boris Johnson das Vertrauen ausgesprochen, er bleibt also im Amt – Forderungen, er müsse jetzt zurücktreten, weil er gewonnen hat, sind absurd.
Eine Niederlage ist es aber auch für den Premierminister selbst, wenn gut 40 Prozent des eigenen Ladens für seinen Sturz stimmen – er ist nun deutlich geschwächt, seine Autorität geschwunden. Doch den öffentlichen Verlautbarungen zufolge hinterlässt dieses Votum nur Gewinner. Die Tory-Rebellen brüsten sich mit der Stärke ihres Lagers und sehen Johnson jetzt tödlich angeschlagen, waidwund, endgültig als Regierungschef auf Abruf, so wie vor ihm Theresa May in ihrem letzten traurigen Jahr im Amt.
Johnson und seine Anhänger verweisen demgegenüber auf seinen deutlichen Sieg selbst in Zeiten eines dramatischen Vertrauenstiefs und betrachten das Votum als Schlussstrich unter sechs Monate der Peinlichkeiten. Wenn es nach einer Wahl zwei gefühlte Sieger gibt, kann das nur böse enden. Johnson will jetzt immer klarer durchregieren. Seine Gegner werden ihm immer öfter die Gefolgschaft verweigern.
Wieder einmal muss ein Premierminister sich gegen Teile der eigenen Partei durchsetzen, um zu bestehen. Das ist nicht gut für Großbritannien, und das kann nicht lange gutgehen – sicher nicht bis zum nächsten regulären Wahltermin Ende 2024. Doch eine Lösung der Krise ist schwierig.
Kein politisches Gegenprogramm
Zum einen bleibt die Dominanz der Konservativen in der britischen Politik überragend und der Weg zu einem Machtwechsel an der Urne immens steil: Selbst nachdem über 40 Prozent der Tory-Parlamentsfraktion dem Premierminister die Gefolgschaft verweigert haben, ist der Johnson-treue Rest noch immer größer als die komplette Labour-Opposition.
Zum anderen lässt sich der innere Streit um Boris Johnson nicht auf einen politischen Richtungsstreit reduzieren, den irgendwer politisch lösen könnte. Seine Kritiker rekrutieren sich aus allen politischen Flügeln der Konservativen, geeint durch einen diffusen, aber sehr tiefgreifenden Unmut über desaströse Führung.
Johnsons Gegner hatten bei diesem Misstrauensvotum nicht die geringste Idee, was sie im Falle eines Sieges eigentlich machen sollten. Das macht sie umso gefährlicher für den Premier: Er kann ihnen politisch nichts anbieten, er muss sich selbst unter Beweis stellen. Es ist kein politisches Gegenprogramm zu dem des Regierungschefs in Sicht, und zugleich ist seine schiere Existenz das stärkste, wenn nicht sogar das einzige einigende Element seiner Gegner. Jetzt dreht sich alles um ihn. Auch das ist für beide Seiten ein gefühlter Sieg.
Den Regeln zufolge hat Boris Johnson jetzt eine Verschnaufpause von einem Jahr, bevor das nächste parteiinterne Misstrauensvotum stattfinden kann. Er muss nun diese Zeit nutzen, um zu zeigen, dass er vernünftig regieren kann. Sein entschlossenes Agieren beim Corona-Impfprogramm und im Ukrainekrieg haben gezeigt, dass er dazu eigentlich in der Lage ist. Schafft er das auch in den Dauerthemen der Politik, ist in zwölf Monaten alles gut. Schafft er es nicht, ist es vorbei.
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