Misshandlungen im Jugendheim: Gefangen im Zimmerbunker
Mehrere leitende Mitarbeiter eines niedersächsischen Jugendheims sollen ihre Schützlinge eingesperrt und misshandelt haben. Nun stehen sie vor Gericht
Seit Donnerstag müssen sich drei Männer und eine Frau, die bei der Betreibergesellschaft Phönixx-GmbH in Führungspositionen gearbeitet haben, dem Landgericht Verden stellen. Es sind der ehemalige Inhaber der Einrichtung, zwei pädagogische Leiter und ein Arbeitstrainer. Erfahrungen im Umgang mit schwer Erziehbaren hatten einige von ihnen so gut wie gar nicht: Der Arbeitstrainer arbeitete als Handwerker, bevor er bei der Phönixx-GmbH anfing. Einer der pädagogischen Leiter hat immerhin eine Erzieherausbildung gemacht – die ihn aber eigentlich nicht für die leitende Position qualifiziert.
Die Staatsanwaltschaft wirft den Angeklagten Straftaten in zwei bis 14 Fällen vor, die sie zwischen März 2009 und Dezember 2011 in einem Heim in Thedinghausen im Landkreis Verden verübt haben sollen. Nur in einem Fall geht es um eine Tat in einem Heim in Eystrup im Landkreis Nienburg/Weser, das ebenfalls zur Phönixx-GmbH gehörte.
Der „Zimmerbunker“ soll in den Heimen als Strafe für Fehlverhalten angeordnet worden sein. Durch die Androhung von Sanktionen und die Bewachung durch einen Betreuer vor der Tür sollen die Jugendlichen daran gehindert worden sein, aus dem Bestrafungsraum zu fliehen. Laut Staatsanwaltschaft sollen die Mitarbeiter außerdem Zimmertüren ausgehängt und Fenstergriffe abmontiert haben.
Die Gesellschaft, die Heime für schwer erziehbare Jugendliche betrieb, wurde 2009 von Neal Stephan B. gegründet
Ihre beiden Standorte in Thedinghausen und Eystrup musste sie 2012 wegen Insolvenz schließen
Der Richter Marcus Tittel betont während der Verhandlung, dass das Verfahren sehr komplex sei. „Es zeichnet sich durch äußerst schwierige Zeugen aus“, sagt Tittel und verweist auf die betroffenen Jugendlichen.
Auch, dass die Vorfälle schon lange her seien, verkompliziere das Verfahren. „Die Ermittlungen haben sehr viel Zeit in Anspruch genommen“, sagt der Sprecher der Staatsanwaltschaft Verden. Die Anklageschrift umfasse mehr als 200 Seiten. Über 40 Zeugen werden darin aufgeführt, rund 70 Dokumente als Beweismittel benannt.
Am ersten Verhandlungstag lässt sich nur einer der Angeklagten, der Ex-Heimchef Neal Stephan B., auf eine Stellungnahme ein. Darin heißt es, es habe keinen abgeschlossenen Raum, und somit auch keinen „Zimmerbunker“, gegeben. Den Stubenarrest bezeichnet er als legitimes Mittel im Umgang mit schwer erziehbaren Jugendlichen.
Die Staatsanwaltschaft ist hingegen überzeugt, dass die Jugendlichen in zahlreichen Fällen gequält worden seien. Sie erwartet ein Urteil von mindestens zwei Jahren Haft ohne Bewährung. Auf die Misshandlung Schutzbefohlener, die allen vier Angeklagten vorgeworfen wird, stehen sechs Monate bis zehn Jahre Freiheitsentzug .
Die Verteidiger scheinen allerdings von einem Freispruch auszugehen. Außer der Stellungnahme von Ex-Heimleiter B. äußert sich am Donnerstag niemand zu den Vorwürfen. Stattdessen erzählen die Angeklagten vom Alltag im Heim und von Freizeitaktivitäten. Der ehemalige Arbeitstrainer Günter Alfred S. sagt, die Jugendlichen seien zwar manchmal auf die Betreuer losgegangen. Ansonsten habe aber eine „familiäre Atmosphäre“ in den Heimen geherrscht.
Als es um den Fall eines betroffenen Jugendlichen geht, der ebenfalls gequält worden sein soll, legt der Verteidiger des Ex-Heimleiters B. ein Protokoll vor. Es soll die Tage dokumentieren, in denen der Betroffene eingesperrt gewesen sein soll. In dem Protokoll steht, der Aufenthalt im „Zimmerbunker“ sei zum Beispiel durch Arztbesuche und Aufenthalte im Garten unterbrochen worden. Dass der Jugendliche jedoch drei Tage am Stück sein Zimmer nur verlassen durfte, um zur Toilette zu gehen, bestätigt der Ex-Heimleiter dadurch.
B. schaut während der Verhandlung nur auf den Tisch, den Kopf leicht gesenkt. Die beiden anderen Männer und die Frau hingegen sitzen scheinbar entspannt auf ihren Plätzen, tun fast unbeteiligt – als hätten sie sich für nichts zu rechtfertigen.
Der Angeklagte Manfred W., einer der pädagogischen Leiter, sitzt zurück gelehnt auf seinem Stuhl, die Füße mit den schwarzen Anzugschuhen ausgestreckt. Er gibt zu, dass er mit seiner Arbeit überfordert war. Einmal habe er sich daher vier Wochen krank melden müssen.
Die genauen Hintergründe der Einrichtungen und der mutmaßlichen Taten sollen in neun weiteren Verhandlungsterminen geklärt werden. Als Zeugen aussagen sollen ein Mitarbeiter vom niedersächsischen Jugendamt, zwei ehemalige Mitarbeiter der Phönixx-GmbH, die bereits ein eigenes Verfahren am Amtsgericht hatten, und sechs der betroffenen Jugendlichen. Ein Urteil wird Mitte Dezember erwartet.
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