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Misere im Berliner RettungsdienstDas darf kein Wahlkampfthema sein

Kommentar von Stefan Alberti

SPD und Grüne haben sich in kaum nachvollziehbarer Weise lange genug über die Misere im Rettungsdienst gestritten.

Dank der jetzt vereinbarten Änderungen sollen künftig mehr Rettunsgwagen unterwegs sein können Foto: dpa

W enn die Bundesregierung intern bis zur Selbsterschöpfung über Atomkraft streitet, dann ist das nicht gut, aber nachvollziehbar: Es geht schließlich um eine grundsätzliche Frage für tragende Parteien der Koalition. Wenn sich im Berliner Senat die SPD auf der einen und Grünen und Linkspartei auf der anderen Seite heftigst über eine Polizeiwache am Kottbuser Tor auseinander setzten, ist das auch suboptimal, aber in gleicher Weise erwartbar. Denn alle drei haben ein unterschiedliches Verhältnis zur Polizei an und für sich.

Warum aber fetzen sich die SPD-geführte Senatsverwaltung für Inneres und und das grün geführte Gesundheitsressort samt ihren Fachpolitikern im Abgeordnetenhaus über Wochen, ja Monate wegen Änderungen beim Rettungsdienst? Dass an dem Thema irgendetwas ähnlich ideologisch aufgeladen sein sollte wie bei den erwähnten Themen Atomkraft oder Polizei, ist nicht erkennbar. Die Grünen sind bislang genausowenig als grundsätzlicher Anwalt der Ärzteschaft in Erscheinung getreten wie die SPD bislang alleiniger Fürsprecher der Feuerwehr gewesen wäre.

In längst vom Vorwahlkampf zum offenen Wahlkampf übergegangenen Zeiten ist das offenbar anders. Da verzögert sich eine dringend benötigte Lösung, weil jede Seite auf ihre Ansicht beharrt hat – in einer Situation, in der die Rettungsdienste wiederholt den Notstand ausrufen. Dass es nur um Profilierung der Parteien geht, liegt als Vermutung da nahe.

Am Dienstag immerhin haben die beteiligten Senatorinnen Iris Spranger (SPD) und Ulrike Gote (Grüne) samt Regierungschefin Franziska Giffey (SPD) eine Lösung präsentiert: Künftig sollen – zumindest in Ausnahmefällen – auch Rettungssanitäter und nicht nur die noch eine Stufe besser qualifizierten Notfallsanitäter Notärzte bei Einsätzen begleiten dürfen, wenn die im Notarzteinsatzfahrzeug unterwegs sind. Das sorgt dafür, dass mehr Notfallsanitäter für Einsätze in den großen Rettungswagen frei sind, die derzeit teils wegen Personalknappheit nicht oder nur verspätet los fahren können. Zudem soll der Feuerwehrchef, der Landesbranddirektor, mehr Befugnisse gegenüber der ärztlichen Leitung bekommen.

Der Streit geht wohl weiter

Also alles gut seit Dienstag? Leider nein. Denn die Art und Weise, wie die Pressekonferenz mit Spranger und Gote am Dienstag ablief, ließ stark vermuten, dass der Streit mindestens unterschwellig weiter geht. Es entstand dabei nicht der Eindruck, dass beide Senatorinnen unter der vereinbarten Regelung dasselbe verstehen, vor allem bei der gestärkten Rolle des Feuerwehrchefs.

Wenn das kein falscher Eindruck ist, wäre das folgenreich für die Rettungsdienstler. Denn sie sind auf einmütige Unterstützung durch den Senat angewiesen und können einen Streit der dahinter stehenden Koalition nicht gebrauchen. Noch viel mehr gilt das für jene, die sehnsüchtig auf einen Rettungswagen warten.

Die jetzt vereinbarten Regeln sollen im Januar im Abgeordnetenhaus verabschiedet werden, am Donnerstag stand im Parlament schon die erste Lesung an. Es ist darum schwer zu hoffen, dass die Fraktionen von SPD und Grünen dort den mühsam befriedeten Streit nicht wieder entfachen und für neue Unruhe im Rettungsdienst sorgen.

Das soll kein Maulkorb für die Abgeordneten sein. Grundsätzlich diskutieren lässt sich aber noch später im Jahr, wenn es um eine weitere gehende Veränderung des Rettungsgesetzes gehen soll. Aber an den jetzt vereinbarten kurzfristigen Verbesserungen für den Rettungsdienst sollte keiner und keine mehr rütteln – am allerwenigsten aus Wahlkampfgründen.

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Redakteur für Berliner Landespolitik
Jahrgang 1967. Seit 2002 mit dreieinhalb Jahren Elternzeitunterbrechung bei der taz Berlin. Schwerpunkte: Abgeordnetenhaus, CDU, Grüne.
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