Notfallversorgung in Berlin: Rettungsdienst braucht langen Atem

Expertenanhörung im Innenausschuss zur Überlastung des Rettungsdienstes. Innensenatorin kündigt Runden Tisch an.

Rasanter Rettungswagen

Rasante Fahrt Foto: Paul Zinken (dpa)

BERLIN taz | Die Lage beim Rettungsdienst der Feuerwehr ist dramatisch – die Vertreter der Berufsverbände von Feuerwehr und Arbeitsgemeinschaft der Notärzte ließen daran am Montag im Innenausschuss keinen Zweifel.

Die FDP hatte die Anhörung beantragt. Hinter der Berliner Feuerwehr liege ein heißer Sommer, sagte Björn Jotzo, innenpolitischer Sprecher der Freidemokraten. Nach wie vor herrsche fast jeden Tag Ausnahmezustand. Ausnahmezustand ist, wenn die Rettungswagen zu 80 Prozent ausgelastet sind und die vorgegebene Eintreffzeit beim Patienten von 10 Minuten kaum einzuhalten ist.

Das Thema beschäftigt die Stadt nicht erst seit gestern. Nachdem es einer von der Feuerwehrführung im Herbst 2021 eingesetzten Taskforce nicht gelungen war, fundierte Lösungsvorschläge zu präsentieren, hatte Innensenatorin Iris Spranger (SPD) im Juli eine Steuerungsgruppe in der Innenverwaltung eingesetzt. Diese hatte ein 20 Vorschläge umfassendes Maßnahmenpaket erarbeitet.

Dazu gehört, dass Patienten, die wegen leichterer Symptome über den Notruf 112 die Feuerwehr alarmieren, künftig nicht mehr automatisch von einem Rettungswagen abgeholt werden sollen. Für solche Fälle sei der ärztliche Bereitschaftsdienst der Kassenärzte zuständig, teilte Spranger mit. 14 sogenannte Codes seien geändert worden, sie betreffen geringfügige Verbrennungen, ungefährliche Blutungen oder leichte Bauchschmerzen.

Eine Million Anrufe im Jahr

Das Paradoxe: Rund eine Millionen Berliner rufen pro Jahr bei der Nummer 112 um Hilfe. Die Zahl der Anrufe ist seit 2006 konstant, die Zahl der Rettungswageneinsätze hingegen ist um 60 Prozent gestiegen – weil die Anrufer immer dringlicher darauf bestünden.

„Warum rufen eine Million bei uns an?“ Es war der stellvertretende Bundesvorsitzende der Deutschen Feuerwehrgewerkschaft, Lars Wieg, der diese Frage am Montag bei der Anhörung in den Raum stellte.

Oliver Mertens, Vorstandsmitglied der Gewerkschaft der Polizei (GdP) und Brandoberinspektor, gab die Antwort: Viele Bürger hätten erkannt, dass Rettungswagen heutzutage der schnellste Weg seien, um im Krankenhaus eine Untersuchung und eine Diagnose zu bekommen, auch ein MRT oder CT (Magnetresonanztomografie oder Computertomografie). Normale Menschen müssten vier Monate und länger auf einen solchen Untersuchungstermin warten.

Das Gesundheitssystem, so Mertens’ Fazit, sei vollkommen überlastet. Der Vorsitzende der Bundesvereinigung der Notärzte Deutschlands, Florian Reifferscheid, bestätigte das. Die Probleme im Rettungsdienstwesen seien Teil eines ganzheitlichen Problems, so Reifferscheid bei der Anhörung.

Selbsthilfefähigkeit starken

Die Statements der Vertreter der Berufsverbände seien eindrucksvoll, aber nicht neu, konstatierte Niklas Schrader, innenpolitischer Sprecher der Linken. Personalmangel, Pflegenotstand, Unterausstattung, all das gehöre zu der Problematik. Um die von den Berufsverbänden geforderte Selbsthilfefähigkeit der Bevölkerung zu stärken, müsse auch der Ausbau der Notfallpraxen vorangetrieben werden.

Innensenatorin Spranger kündigte einen Runden Tisch unter Teilname der der Senatsverwaltungen für Gesundheit, Finanzen und Stadtwicklung an. Sie wolle schnellstmöglich Lösungen für den Rettungsdienst finden, teile aber auch die Diagnose des ganzheitlichen Problems. Vasili Franco, innenpolitischer Sprecher der Grünen, sagte, neues Personal wachse nicht auf den Bäumen. Die Beschäftigten bräuchten einen langen Atem. Man habe schon seit Jahren einen langen Atem, erwiderte Mertens.

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