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Minister auf Jobsuche

von BERNHARD PÖTTER

Oft kann selbst der Bundesumweltminister nicht helfen. Das Fluglärmgesetz, das Jürgen Trittin zum Schutz geplagter Flughafenanwohner durchsetzen wollte, zerschellte im Januar am Widerstand von Verkehrsminister Kurt Bodewig. Der Ausstoß von Kohlendioxid stieg im Jahr 2000 an, weil die ostdeutschen Kraftwerke mehr Braunkohle verfeuerten. Regelmäßig verdirbt der anschwellende Autoverkehr dem Umweltminister die deutsche Ökobilanz. Im Sommer konnte Trittin beim Hochwasser der Elbe die Schäden begutachten, die jahrzehntelange Verkehrspolitik angerichtet hatte. Über die Abschaltung des AKW Obrigheim verhandelt das Kanzleramt. Und über die Belastung von Böden und Grundwasser mit Schadstoffen entscheidet die Landwirtschaftspolitik.

Jürgen Trittin ist zwar nach der Geschäftsordnung des Bundeskabinetts für Umweltpolitik zuständig. Doch Umweltpolitik wird zunehmend anderswo gemacht: in den Ressorts Wirtschaft, Verkehr, Bauen und Finanzen. Diese schleichende Entmachtung ihres Umweltministers wollen nun die Grünen bei den Koalitionsverhandlungen stoppen – sie verlangen mehr Kompetenzen und eine deutlichere Öko-Handschrift im Koalitionsvertrag. Bei den Verhandlungen geht es um mehr als um Posten und Einfluss. Für die Grünen geht es um die Perspektive für eine ihrer Kernkompetenzen. Und Jürgen Trittin sucht ein neues Betätigungsfeld.

Sein drohender Bedeutungsverlust spiegelt auch die Erfolge in der ersten Legislaturperiode: Atomausstieg, Ökosteuer, Förderung erneuerbarer Energien, ein neues Naturschutzgesetz, das Dosenpfand. „Im Vergleich mit der Vorgängerregierung schneidet Rot-Grün gut ab“, urteilte daher bei aller Kritik der Umweltverband BUND vor der Bundestagswahl.

Doch auf diesen Lorbeeren können sich die grünen Umweltpolitiker nicht ausruhen. Denn sie stehen vor einem strategischen Dilemma. Zwar warten bei der Chemiepolitik, dem Lärm- und Strahlenschutz noch Aufgaben, doch nach 15 Jahren Umweltpolitik auf Bundesebene sind Deutschlands große und sichtbare Umweltprobleme beseitigt oder unsichtbar geworden: Die Luft in Deutschland ist so sauber wie seit Jahrzehnten nicht, das Wasser der meisten Flüsse ebenso. Trotz des Waldsterbens wächst die Waldfläche in Deutschland. Um die Müllberge, an denen die Repubik zu ersticken drohte, kümmert sich das Duale System.

An die aktuellen Öko-Probleme kommt der Umweltminister jedoch nicht heran – weil sie im Zuständigkeitsbereich seiner Kollegen liegen. Vor allem drei Bereiche machen den Umweltpolitikern Sorgen: Erzeugung und Verbrauch von Energie verschärfen nach wie vor den Klimawandel und vergeuden wertvolle Ressourcen; die Landwirtschaft vernichtet weiterhin mit ihrer intensiven Bearbeitung des Landes Tier- und Pflanzenarten und belastet Böden und Gewässer mit ihren Abfällen; und der Verkehr trägt den Löwenanteil zu den Problemen Klimawandel, Lärm und Bodenversiegelung bei. Diese drei Sorgenkinder werden von großen und einflussreichen Ministerien eifersüchtig gehütet. Trittins Beamte sitzen zwar bei allen Diskussionen mit am Tisch. Doch wenn Entscheidungen fallen, wird ihre Stimme oft überhört. „Das Umweltministerium rührt in allen Töpfen mit“, heißt es aus dem Umweltbundesamt (UBA), „aber selten ist der Löffel groß genug, um richtig was rauszuholen.“

Das soll sich jetzt ändern. Bereits seit Monaten basteln die Strategen der Grünen an einer Perspektive für eine zweite Runde grüner Umweltpolitik auf Bundesebene – ohne zu ahnen, dass sie gegenüber der SPD auch noch gestärkt aus diesen Wahlen hervorgehen würden. Nun wollen sie für ihren Umweltminister mehr Kompetenzen und im Koalitionsvertrag deutliche grüne Akzente erreichen. „Wir wollen die Kompetenzen für Energie ins Umweltministerium holen und die Zuständigkeit für die grüne Gentechnik ins Landwirtschaftsministerium“, heißt es aus Verhandlungskreisen. Das Kalkül: Der neue Superminister Wolfgang Clement wird mit der Bekämpfung von Rezession und Arbeitslosigkeit genug zu tun haben und sich schon nicht am Bereich Energie festklammern. Rückendeckung dafür bekamen die Grünen gestern vom BUND: Es sei „angemessen, die gesamte Energie-Kompetenz im Umweltministerium zu bündeln“, erklärte BUND-Geschäftsführer Gerhard Timm. Ob sich aber gerade Clement aus dem Kohleland Nordrhein-Westfalen die Energiepolitik aus der Hand nehmen lässt, bezweifeln viele.

Inhaltliche Fortschritte müsse es geben bei den Themen Verkehr und Bauen/Stadtplanung, heißt es aus der grünen Verhandlungskommission (siehe Kasten). Beim Thema Finanzen hoffen die Grünen auf einen mächtigen Verbündeten: den Genossen Sparzwang. Der Druck, 2003 mindestens 10 Milliarden Euro zu kürzen, könnte sich als willkommenes Argument für die Kürzung von umweltschädlichen Subventionen erweisen. Ins Visier genommen haben die Grünen dafür die Entfernungspauschale und die Neubauförderung, die die Zersiedelung der Landschaft fördern. Was der Staat dabei spart, sollte er der Bahn geben, damit diese mit dem halben Mehrwertsteuersatz ihre Tickets billiger machen kann. Auch beim Thema Ökosteuer geben sich die Grünen entspannt: Der Druck auf die Rentenkassen werde fast von selbst zu einer neuen Runde der Ökosteuer führen. Denn die Alternativen seien steigende Beiträge oder die Kürzung beim Anstieg der Renten. „Mit beiden Maßnahmen sehen wir nicht gut aus“, heißt es. Und das Kanzlerwort zur Ökosteuer könnte man ja nur auf das Benzin beziehen. Erhöhungen auf Heizöl und Erdgas seien durchaus möglich.

Einen richtigen umweltpolitischen Kracher wie etwa die Forderung nach einem Tempolimit auf Autobahnen werden die Grünen nicht erheben. Das kostet zu viel und bringt zu wenig. Stattdessen wollen die Grünen ihren Koalitionspartner beim Wort nehmen. Entlang der „nationalen Nachhaltigkeitsstrategie“, die im Frühjahr im Schnellverfahren vom Kanzleramt zusammengestellt wurde und mit dem SPD-dominierten „Rat für nachhaltige Entwicklung“ flankiert wurde, sollen sich die umweltpolitischen Ziele der 15. Legislaturperiode ausrichten.

Im Umweltbundesamt gibt es bereits detaillierte Vorschläge, das Regierungshandeln grüner zu färben. Besonders wichtig ist den Experten die „Integration des Umweltschutzes“ in andere Fachgebiete. Weil bislang ökologische Belange in den anderen Ressorts oft unter den Tisch fielen, sollen jetzt nach den Vorstellungen des UBA die Ziele gebündelt angegangen werden: Ein Umweltgesetzbuch, in der ersten Legislaturperiode gescheitert, soll nun einen zweiten Anlauf erfahren. Eine ökologische Finanzreform soll Abgaben, Steuern und Subventionen auf ihre Umweltauswirkungen hin prüfen. Und vor allem solle sich der Staat an die eigene Nase fassen und Vorbild sein, schlägt das UBA vor: Bei der „öffentlichen Beschaffung, der staatlichen Investionspolitik und dem Umweltmanagement in Behörden lassen sich erhebliche Umwelt- und Kostenentlastungspotenziale ausschöpfen“, heißt es.

Auch die SPD-Umweltpolitiker haben ihren Wunschzettel geschrieben, bestätigt die umweltpolitische Sprecherin der Fraktion, Ulrike Mehl. So wollen sie vor allem darauf drängen, weniger Boden zu versiegeln, das Recht der Bürger auf Umweltinformation zu verbessern und das Umweltgesetzbuch zu schaffen. Das Kreislaufwirtschaftsgesetz müsse wohl neu gefasst werden, und es soll nun doch ein Gesetz zum Fluglärm geben.

Gerade der Fluglärm zeigt: Die Fronten in den Verhandlungen verlaufen nicht so sehr zwischen den Parteien, sondern mehr zwischen den Interessen der Beteiligten. So bekommt der SPD-Umweltpolitiker Michael Müller von seinem grünen Pendant Reinhard Loske im Zweifel mehr Unterstützung als von seinem Parteifreund Wolfgang Clement.

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