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Minimal-Art-Ausstellungen im NordenGimmicks mit doppeltem Boden

Neues Raumempfinden: In Hamburg und Oldenburg präsentieren Ausstellungen die Minimal Art der 1960er-Jahre auf unterschiedliche Weise.

Ideen leben weiter: Charlotte Posenenkes „Reliefs Serie C“, entstanden nach 1967, in Hamburg Foto: Ulrich Perrey

Hamburg taz | Warum sollte man sich heute dafür interessieren? Für eine Kunst, die ihren Zenit vor rund 60 Jahren erreichte und – nach allgemeinem Dafürhalten – auch ziemlich bald wieder überschritten hatte? Die Rede ist vom Minimalismus respektive der Minimal Art, der zurzeit zwei Ausstellungen im Norden gewidmet sind: „Minimal Art Körper im Raum“ im Hamburger Bucerius-Kunst-Forum und „Konstruktiv, Konkret, Minimal. Die Sammlung Hupertz“ im Oldenburger Landesmuseum; ihr Echo hallt dazu noch in einer dritten nach, „Futura. Vermessung der Zeit“ in der Hamburger Kunsthalle.

Schon angesichts dieses Zusammentreffens könnte es sich lohnen, sich ihrer anzunehmen, dieser Kunst, die manchmal wirkt, als wolle sie keine sein. Oder wie eine, von der an Kunst nicht allzu sehr Interessierte sagen könnten, sie sei keine.

Und hat dieser Rülpser am Ende seine Berechtigung, mehr jedenfalls als bei richtig Technik erfordernden, naturalistischen Schiffsunglücksgemälden oder Marmorfigurengruppen? Nehmen wir Carl Andre, einen ihrer großen, kanonischen Vertreter: Von dem 1935 geborenen Bildhauer liegt jetzt in Hamburg und in Oldenburg je eine Arbeit. Ja, sie liegen: Es sind unbehandelte, also alternde Metallplatten, Andres bevorzugtes Material nach 1967.

In jenem Jahr stellte er erstmals so aus, dass das Publikum gar nicht anders konnte, als herumzutrampeln auf der Kunst. Für „45 Degrees Swipe“, nun in Hamburg zu sehen, ordnete er sieben Rechtecke an, bei „Bend Smithson (The old Rattler)“ – in Oldenburg ausgelegt – waren es 47 kleinere Dreiecke und ein Quadrat. Andre selbst sprach 1970 von den „Eigenschaften bestimmter Materialien, die sich erschließen, wenn man darauf geht“. Er kam aber auch zu sprechen auf die Möglichkeit, dass wir es mit „Aberglauben“ zu tun haben könnten.

Betreten kaum zu vermeiden: Carl Andre, „Bend Smithson (The old Rattler)“ von 1997 in Oldenburg Foto: Sven Adelaide © VG Bild-Kunst Bonn 2022

Aberglaube – so wie der an eine besondere Aura? Diese vermeintlich so banalen Arbeiten, diese Skulpturen scheinbar bar jeder Virtuosität, die vielleicht an Gimmicks denken lassen, an eine nur sehr kurzlebige Verblüffung: Sie rühren an zentral gewordenen, nicht immer schon ein für allemal beantworteten Fragen; zur Abstraktion und Repräsentation, zum Verhältnis des Objekts zu dem es Betrachtenden, auch zum „Bitte nicht berühren!“-Imperativ, der in eigentlich jedem Ausstellungsraum herrscht. Folgt man den Äußerungen der teils sehr rede-, respektive schreibfreudigen Minimalist:innen, dann wollten sie tatsächlich so einiges infrage stellen vom Bohei, das um die Kunst gemacht wurde und wird. Demokratischer sollte die ihre sein, ja: kommunistisch sogar.

„Körper im Raum“ – die Bucerius-Ausstellung, kuratiert von Kathrin Baumstark, Künstlerische Leiterin des Hauses, thematisiert schon im Titel etwas der Minimal Art Wesentliches: Ihre Ver­tre­te­r:in­nen mögen großteils aus der Malerei gekommen sein, gingen dann aber, eben, in den Raum, mit Objekten, Strukturen, Installationen, die eine möglichst unmittelbare Erfahrung ermöglichen sollten. Sie bedienten sich dazu Materialien wie Sperrholz, Metall, Neonröhren, also kein bisschen raren Zutaten des sie umgebenden Industriezeitalters.

Robert Morris’ unbetiteltes – oder vielmehr „Untitled“ betiteltes? – Stück von 1974, das nun bei Bucerius zu sehen ist, besteht aus Industriefilz aus einer Autowerkstatt, inklusive „Spuren von Maschinenöl und Schmutz“. Wie dieser dicke graue Stoff lappt und fällt und sich am Boden aufrollt, da spielt immer auch der Zufall mit, die Schwerkraft – ein ganz anderer Ansatz als das Gros der Arbeiten in der Schau mit ihrer regelmäßigen Geometrie, dem Akzent auf Reihung oder Stapelung.

Die Hamburger Schau ist die konzentriertere: Sie versammelt weniger als 20 Stücke, also nicht spektakulär viele, teils aber spektakulär große Arbeiten, die daher gar nicht ohne Weiteres überall gezeigt werden könnten; auch, aber nicht nur aus der eigentliche Hochphase, also den 1960ern. Ein Clou ist, dass im Ausstellungsraum auf jeden Text verzichtet wird, auch auf die vermeintlich obligatorischen Schilder am Kunstwerk. Wer wissen will, was er*­sie da gerade sieht, kann auf ein kleines, detailliert erklärendes Heftchen zurückgreifen – ein Angebot, kein Diktat.

Die Oldenburger Ausstellung, kuratiert von Anna Heinze und Kathleen Löwe, funktioniert anders. Das dortige Augusteum ist ein historisches Gebäude, zu sehen sind dort ansonsten Gemälde, ja: Alte Meister. Nun aber zeigt man rund 100 Arbeiten der Moderne bis zur Gegenwart – und doch immer noch nur einen Teil der Sammlung des Hamburger Ehepaars Stephan und Birgit Hupertz. Darunter sind dann auch wieder Gemälde und Grafiken, nicht nur Dreideimensionales. Von besonderer Schönheit ist auch ein Kleid aus Warhol’schem Suppendosenstoff.

Die Hupertz sammeln seit den 1960ern und zwar ganz ausdrücklich Ungegenständliches, das seit den 1920ern entstanden ist. Die Minimalisten setzt die Oldenburger Ausstellung also in Beziehung zu Verwandtem und Korrespondierendem, auch mal Gegenläufigem. Nebwen Andre finden sich hier noch ein ppar Namen wieder, die auch in Hamburgh zu sehen sind: Imi Knoebel und Donald Judd, noch so ein Minimalismus-Säulenheiliger. Es ist das dritte Mal überhaupt, dass die Sammlung Hupertz öffentlich gezeigt wird, und von der Oldenburger Vernissage ist überliefert, dass Stephan Hupertz sehr glücklich sein soll mit der Präsentation – vermutlich der letzten zu beider Lebzeiten.

Die Ausstellungen

Minimal Art. Körper im Raum: bis 24. 4., Hamburg, Bucerius Kunst Forum

Konstruktiv, Konkret, Minimal. Die Sammlung Hupertz: bis 1. 5., Oldenburg, Landesmuseum für Kunst und Kulturgeschichte/Augusteum

Hier wie dort bieten die Häuser Begleitprogramm zu den Austellungen an. In Hamburg dient das auch zum Hinweis darauf, dass die Idee des Minimalismus Eingang gefunden hat auch in den Tanz und – vielleicht am bekanntesten – die Musik: In Zusammenarbeit mit dem Thalia Theater veranstaltete man etwa die Performance „Minimal Action!“, und der Pianist Sebastian Knauer spielte ein Konzert mit Mozart’schen Sonatensätzen und darauf Bezug nehmenden Stücken des, eben, Minimalisten Michael Nyman.

Es gibt im Bucerius-Programm aber noch eine Öffnung des Begriffs: Angeboten werden dort auch „Achtsamkeitsführungen“ und Yoga – Minimalismus ist ja längst auch eine Größe in Wellness, Wohnraumgestaltung und überhaupt: Selbstoptimierung.

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