Militärschlag gegen Syrien: Ziele getroffen, Problem ungelöst
Die Raketen der Alliierten trafen mehrere Einrichtungen des syrischen Chemiewaffenprogramms. Doch Präsident Assad gibt sich betont gelassen.
Tote werden nicht gemeldet und nicht einmal die Gegenseite behauptet, es habe zivile Tote gegeben. Strittig aber ist die Wirkung der Angriffe im Sinne der Schwächung des Chemiewaffenprogramms des syrischen Assad-Regimes – das offizielle Ziel des Militärschlags.
Insgesamt 105 Raketen wurden nach US-Angaben innerhalb von einer Minute am 14. April um 4 Uhr früh (Ortszeit) auf drei Ziele in Syrien abgefeuert, „um den syrischen Führer Baschar al-Assad vom Einsatz verbotener chemischer Waffen abzuhalten“, wie es in der Pentagon-Begründung heißt.
Beim letzten US-Militärschlag gegen Assad vor einem Jahr waren es lediglich 59 Raketen und ein Ziel gewesen. Während damals die Abschüsse von zwei US-Kriegsschiffen im Mittelmeer aus erfolgten, blieb dies jetzt aus – wohl in Reaktion auf Drohungen Russlands, gegen Abschussorte zurückzuschlagen.
Aus dem Mittelmeer kamen nur sechs Tomahawk-Marschflugkörper der USA, und zwar von einem U-Boot. Ansonsten stiegen 37 Raketen von zwei US-Kriegsschiffen im Roten Meer auf und 23 von einem im Arabischen Golf nahe Katar. Diese Standorte sind für die russische Abwehr in Syrien nicht erreichbar. Insgesamt feuerte das US-Militär 85 Raketen ab. Frankreich 12 und Großbritannien 8, zumeist von Bombern aus der Luft.
Russland wohl informiert
Die drei Ziele der Angriffe waren das Militärforschungszentrum Barzah bei Damaskus und zwei mutmaßliche unterirdische Lagerstätten und Kommandoeinrichtungen für chemische Kampfstoffe in der Raketenbasis Him Shinshar westlich von Homs nahe der libanesischen Grenze. Barzah war das Hauptziel der US-Angriffe, mit 76 der 105 Raketen, und wurde nach Pentagon-Darstellung komplett zerstört. Franzosen und Briten konzentrierten sich auf Him Shinshar.
Laut US-Angaben wurde Russland zuvor über den Raketenanflug informiert, nicht aber über die Ziele. Russland schaltete seine Raketenabwehr nicht ein. Syriens Regierung behauptete, man habe die meisten Raketen abgefangen; die Alliierten hingegen sagen, ihre Marschflugkörper hätten alle Ziele ohne Verluste erreicht, und verbreiten Satellitenaufnahmen, die das Ausmaß der angerichteten Schäden dokumentieren sollen.
Syrien habe seine Abwehrraketen, deren leuchtender Aufstieg im Himmel über Damaskus weithin in internationalen Medien wiedergegeben worden ist, viel zu spät und ziellos abgefeuert, so das US-Militär.
Von russischer Seite hieß es am Samstag, man erwäge jetzt die Lieferung moderner Abwehrsysteme an Syriens Regime. Denn die US-Regierung erklärte, sie stehe zu weiteren solchen Bombardierungen bereit, sollte Syriens Regime weiter Chemiewaffen einsetzen.
25 Produktionsstätten abgebaut
Die Angriffe haben nicht alle bekannten Einrichtungen des syrischen Chemiewaffenprogramms getroffen. Das Hauptziel Barzah spielt allerdings eine wichtige Rolle. Es ist eine zentrale Stätte des Scientific Studies and Research Centre (SSRC), eine seit 1969 bestehende Einrichtung des syrischen Verteidigungsministeriums, das die Militärforschung des Landes koordiniert.
Das SSRC blieb außen vor, als nach dem Chemiewaffeneinsatz gegen Zivilisten im Rebellengebiet der Ost-Ghouta im August 2013 mit bis zu 1.700 Toten die Zerstörung der syrischen Chemiewaffenbestände durch die internationale Organisation für das Verbot chemischer Waffen (OPCW) begann.
Zwar meldeten die Inspektoren 2014 die Zerstörung aller von Syriens Regierung gemeldeter Kampfstoffbestände, nicht aber der 12 von der Regierung gemeldeten Lagereinrichtungen und 27 Produktionseinrichtungen. Deren Rückbau unter OPCW-Aufsicht ging in den Folgejahren weiter.
Bis heute sind nach UN-Angaben erst 25 der 27 gemeldeten Produktionsstätten abgebaut worden. Die Diskussionen über die restlichen zwei sind noch nicht abgeschlossen. Es liegt ein Kostenvoranschlag der UNO vor, der noch geprüft wird, heißt es in einem UN-Bericht von Anfang April, der zugleich Syriens amtliche Angaben über sein Chemiewaffenprogramm als nach wie vor nicht „korrekt und vollständig“ bezeichnet.
Syriens Regierung betont gelassen
Denn da in Syrien auch nach der Vernichtung aller gemeldeten Chemiewaffenbestände immer wieder chemische Kampfstoffe zum Einsatz gekommen sind, muss es auch undeklarierte Bestände oder Neuproduktion geben. Damit richtete sich die internationale Aufmerksamkeit auf die SSRC-Forschungseinrichtungen in Barzah und Jamrayah, die anfänglich gar nicht auf den OPCW-Listen standen.
Erst im November 2016 beschloss die OPCW Inspektionen in Barzah und Jamrayah. Zwei haben bisher stattgefunden, im Februar und im November 2017, jeweils ohne Ergebnis. Westliche Geheimdienste sind davon überzeugt, dass dort chemische Kampfstoffe hergestellt werden und dass in Him Shinshar vor wenigen Monaten die Einlagerung begonnen wurde.
Selbst nach der Zerstörung dieser Ziele bleiben andere Einrichtungen wie Jamrayah intakt. Und Syriens Regierung gibt sich betont gelassen. Ein auch im deutschen Fernsehen unhinterfragt übernommenes Video zeigt Präsident Baschar al-Assad, wie er nonchalant mit einer Aktentasche in sein Büro schlendert – angeblich eine Aufnahme von Samstagfrüh, direkt nach den Raketenangriffen. Syrische Quellen kommen nach Analyse der im Video zu sehenden Vegetation zum Schluss, dass die Aufnahme älter sein muss.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Israelische Drohnen in Gaza
Testlabor des Grauens
Proteste bei Nan Goldin
Logiken des Boykotts
Bundeskongress der Jusos
Was Scholz von Esken lernen kann
Bündnis Sahra Wagenknecht
Ein Bestsellerautor will in den Bundestag
Nan Goldin in Neuer Nationalgalerie
Claudia Roth entsetzt über Proteste
Schwedens Energiepolitik
Blind für die Gefahren