Kommentar EU und Syrien: Europa muss mit an den Tisch
Eine politische Lösung für Syrien ist dringend nötig. Die EU kann sie nicht allein Gewaltherrschern überlassen, denen die syrische Bevölkerung egal ist.
U nter jedem denkbaren Gesichtspunkt, bei dem der Respekt vor Menschenleben eine Rolle spielt, waren die Militärschläge gegen Assads Chemiewaffenprogramm ein voller Erfolg. Ein für Syriens Militär zentrales Forschungszentrum wurde in Schutt und Asche gelegt, ebenso zwei weitere Stätten, die für den Einsatz chemischer Kampfstoffe durch Syriens Regierung wichtig sind. Niemand ist dabei gestorben.
Kein auch nur ansatzweise menschlich Denkender kann ernsthaft etwas dagegen einwenden, dass ein blutrünstiger Diktator, der für den Tod Hunderttausender seiner Bürger verantwortlich ist, jetzt weniger Massenvernichtungswaffen herstellen und einsetzen kann. Die einzig mögliche Grundsatzkritik, jenseits von blinder Solidarität mit einem Massenmordregime, ist formaler Natur: Es gab kein UNO-Mandat, und der Militärschlag barg das Risiko einer Eskalation. Beides ist korrekt, aber in diesem Fall irrelevant.
Ist der gezielte und begrenzte Einsatz militärischer Gewalt gegen ein völkerrechtswidriges Waffenprogramm völkerrechtswidrig? Chemische Waffen sind international geächtet, Syrien hat sich vor fünf Jahren auf UNO-Ebene zur vollständigen Zerstörung seiner Arsenale und seines Programms verpflichtet und diese Verpflichtung laut UNO nicht erfüllt. Erst vor wenigen Wochen verkündete UNO-Generalsekretär António Guterres, er freue sich auf die Zerstörung der vom Assad-Regime noch unterhaltenen Chemiewaffenproduktionsstätten.
Die befürchtete Eskalation hat es nicht gegeben, denn der Militärschlag wurde so ausgeführt, dass Russland nicht direkt zurückschlagen konnte und auch hinterher von Gegenschlägen Abstand genommen hat. Statt einer militärischen Eskalation gibt es jetzt neue diplomatische Initiativen. Das ist zu begrüßen.
Nach den Luftangriffen gegen mutmaßliche Chemiewaffen-Einrichtungen in Syrien hat die EU zur Rückkehr an den Verhandlungstisch aufgerufen. Es müsse „die Dynamik der gegenwärtigen Situation genutzt werden, um den Prozess zur politischen Lösung des Syrien-Konflikts wiederzubeleben“, erklärten die EU-Außenminister am Montag.
Die EU gehe davon aus, dass die Luftangriffe „spezifische Maßnahmen waren, die alleine das Ziel hatten, um den weiteren Einsatz von Chemiewaffen oder chemischen Substanzen durch das syrische Regime zur Tötung seiner eigenen Bevölkerung zu verhindern“, erklärten die 28 EU-Außenminister in Luxemburg. Damit blieben sie hinter der teils klaren Unterstützung durch einzelne Mitgliedstaaten oder die Nato vom Wochenende zurück. (afp)
Es muss verhindert werden, dass Assad die restlichen Rebellengebiete, in denen mehrere Millionen Menschen leben, in Trümmer legt. Dafür muss eine glaubwürdige und einklagbare Schutzgarantie her, etwa unter Mitwirkung der Türkei, und ein neuer politischer Prozess, wofür die aktuellen Initiativen aus der EU stehen.
Eine politische Lösung für Syrien kann nicht den Gewaltherrschern in Damaskus, Moskau, Ankara und Teheran überlassen werden, denen die syrische Bevölkerung egal ist. Wer im Sinne von Syriens Bevölkerung mitspielen will, muss sich aber eben mit auf das Spielfeld begeben. Im internationalisierten Syrienkrieg wird nur respektiert, wer selbst Risiken eingeht. Wer nur am Spielfeldrand damit hadert, ob ein Strafstoß ohne Videobeweis zulässig war oder nicht, wird ignoriert.
Washington, Paris und London haben den Einsatz gewagt und haben dadurch jetzt eine Stimme in der Syrien-Diplomatie. Europa kann sich anschließen und mitgestalten, wenn es keine Zeit verliert und lernt, politisch zu denken.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Krise bei Volkswagen
1.000 Befristete müssen gehen
Ex-Wirtschaftsweiser Peter Bofinger
„Das deutsche Geschäftsmodell funktioniert nicht mehr“
Künftige US-Regierung
Donald Trumps Gruselkabinett
Housing First-Bilanz in Bremen
Auch wer spuckt, darf wohnen
Scholz stellt Vertrauensfrage
Traut mir nicht
Wahlprogramm der Union
Scharfe Asylpolitik und Steuersenkungen