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Militärputsch in NigerDeutschlands Sahel-Scherbenhaufen

Dominic Johnson
Kommentar von Dominic Johnson

Europa investiert in Militärapparate, die moderner agieren als die Staaten, denen sie dienen. Und dann wundert man sich, wenn diese Militärs putschen.

Anhänger der Putschisten in Niger vor dem brennenden Hauptquartier der Regierungspartei, 27.07.2023 Foto: Fatahoulaye Hassane Midou/ap/dpa

S ieben Putsche in fünf Ländern in drei Jahren – was der westafrikanische Staatengürtel von Guinea über Mali, Burkina Faso, Niger und Tschad seit Sommer 2020 erlebt hat, ist beispiellos. Mit dem Sturz von Mohamed Bazoum in Niger durch das eigene Militär verliert Westafrikas Sahelzone nun ihren letzten gewählten zivilen Präsidenten. Das einzige Land ohne Putsch ist Mauretanien, aber dessen 2019 gewählter Präsident war zuvor General­stabs­chef unter seinem aus einem Putsch hervorgegangenen Vorgänger; das Land ist also einfach den anderen einige Jahre voraus.

Das erschüttert auch Deutschlands Außenpolitik. Hat nicht Deutschland gerade erst eine neue Sahel-Strategie beschlossen, wonach sich die Bundesregierung „für die demokratische Verfasstheit der Sahel-Staaten einsetzen“, „legitime Staatlichkeit weiter stärken“ und „zum Aufbau eines zusätzlichen Stabilitätsbogens beitragen“ wird?

Wurde nicht mit viel Getöse ein Zusammendenken von Sicherheits- und Entwicklungspolitik verkündet? Stattdessen wird jetzt mit Niamey auch die letzte verbliebene Sahel-Hauptstadt ungemütlich, und die Bundeswehr in Mali bräuchte jetzt wohl eine Weltraumkapsel, um ihren bisher über Niger laufenden Abzug zu vollenden.

Ja, in der Sahelzone steht die deutsche Politik vor einem Scherbenhaufen. Aber in Wahrheit ergaben auch die zusammengefügten Scherben wenig Sinn, und das liegt nicht an den Putschisten. Ein Militäreinsatz kann nur militärische Ziele verfolgen, keine entwicklungspolitischen. Entwicklungspolitik braucht entwicklungspolitische Instrumente, keine militärischen. Aber Deutschland hat in der Sahelzone keine militärischen Ziele, und seine entwicklungspolitischen Instrumente sind eingerostet.

Das reiche Europa investiert in den ärmsten Ländern der Welt Unsummen in immer größere Militärapparate, die moderner und effektiver agieren als die Staaten, denen sie dienen sollen. Und dann wundert man sich, wenn die Militärs sich selbst für modern und effektiv halten und ihre Regierungen beseitigen. Die Putsche in der Sahelzone sind kein Scheitern der internationalen Sa­hel-­Strategien, sondern ihre lokale Entsprechung. Wer Militär für politische Zwecke einsetzt, bekommt Militär in der Politik.

Dabei gibt es überall in der Region eine starke zivile politische Kultur, die selbstbewusst und pluralistisch über ihre jeweiligen Länder spricht und mögliche Lösungsansätze viel besser kennt als jeder ausländische Partner. Sahel-Strategien müssten, wenn überhaupt, mit diesen Kräften gemeinsam entwickelt werden und auf ihren Impulsen aufbauen. Aber ihre Stimmen verhallen meist ungehört. Und kaum jemand unterstützt sie, wenn sie Opfer von Repressalien werden.

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Dominic Johnson
Ressortleiter Ausland
Seit 2011 Co-Leiter des taz-Auslandsressorts und seit 1990 Afrikaredakteur der taz.
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6 Kommentare

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  • Kein Wort zur Migration? Dabei geht es doch nur darum. Deutschland & Europa haben auch im Sahel skrupellos & ganz wissentlich faschistische & auf nacter gewalt gegründete Strukturen gestärkt & mit viel geld ausgestattet, um diese gegen Flüchtlinge & Migranten einzusetzen. Mit massiver Wirkung, wie eigentlich bekannt sein sollte. Massive Wirkung in Form von hunderttausenden Toten seit 2015. Natürlich verändert das Pampern von Verbrecherbanden das politische Gleichgewicht nicht nur hier (Bestätigung der AfD) sondern auch in der Region.

  • Gehe mit dem Artikel ganz mit, allerdings habe ich einige Zweifel in Bezug auf den letzten Absatz..... Dass es eine starke zivile politische Kultur gäbe, halte ich eher für eine Wunschvorstellung.

    • @Leningrad:

      stark ist die zivile politische Kultur in Niger nicht, allerdings gibt es sie, die sehr kritisch ist und informative Arbeit zu fast allen sozialpolitischen Themen leistet. Allerding sind diese Strukturen den Regierungen ein Dorn im Auge, so dass sie immer wieder in ihrer Arbeit behindert werden. Z.B. dürfen Journalisten dann nicht in die Gebiete (Beispiel UNHCR Camp bei Agadez oder die Flüchtlingscamps im Südosten) reisen um zu berichten, wenn dort eine "wichtige" Delegation angemeldet ist oder wie immer geschehen, werden Journalisten kurzfristig festgesetzt und nach 48 Stunden bevor die Staatsanwaltschaft handeln müsste wieder freigelassen. Betrachtet werden sollte auch, dass die Zivilgesellschaft in Niger über wenige HR verfügt und dass Fortbildungen i.d.R. von internationalen Geberstrukturen angeboten werden, somit besteht eine gewisse Abhängigkeit im kleinen wie im großen ja eh seit der Kolonialzeit. Niger ist seit der Ära Angela Merkels 2016 verkauft worden, damit Niger die Drecksarbeit für Europa macht. Die Bevölkerungen des Landes. besonders die ländlichen wurden und werden bis heute negligiert. Die Angst vor Russlands Einfluss ist doch nur die Angst Macht und damit Ressourcen zu verlieren. Bedauerlich ist zu sehen, dass die vielen jungen Menschen (von 25 Millionen sind 50% jünger als 15 Jahre) vom Regen in die Traufe kommen werden, denn die "Maßnahmen" werden dann nicht durch Steuermittel finanziert, sondern durch Gold, das von vielen Menschen unter schwierigsten Bedingungen geschürft wird. Damit wird ihnen das wenige für eine vermeintlich bessere Sicherheitslage geraubt.

      • @Nina Heinz:

        Recht haben Sie! Eine Zivilgesellschaft entsteht - meines Erachtens - auch dann, wenn genügend Ressourcen freiwerden, d.h. in großen Teilen Afrikas, wenn die Leute sich nicht den ganzen Tag darum kümmern müßten, ihr täglich Brot zu organisieren. Das verschlingt riesige Energien. Wie schon der alte Brecht sagte: erst kommt das Fressen, dann kommt die Moral.

  • Und dann ist da noch die traurige Geschichte von Boko Haram als Background in eben dieser Region. Das Nachbarland Nigeria wurde durch desaströse Entwicklungspolitik in eine im Ausgang fragwürdige Revolution/Bürgerkrieg/Terrorentwicklung getrieben. 10% der Bevölkerung - die Christen - erhielten alles während 90% leer ausgingen. Und Boko Haram, das resultat dieser christlich konservativen Politik, wütet und schlachtet nun schon seid Jahren, auch in Niger. Und genau da kommt dann auch das militärische Interventions Interesse her. Die Region ist sehr resourcenreich und die Geister die der Westen rief sind ihm über den Kopf gewachsen. Das imperialistisch faschistoide Putin Russland wird hier fürchte ich die eine oder andere Lorbeere einheimsen. Vielleicht kann die Wagner Gruppe ja für freie demokratische Wahlen sorgen, um die Putschisten als demokratisch gewählte Regierung zu legitimieren.

    Gut gemacht Mensch, du bist so weise.

    Danke für den Blickwinkel dieses Artikels, auf ZON wollte ich gestern schon schreien.

    • @SimpleForest:

      Sehr schlecht recherchiert und dazu extrem Einseitig. Boko Haram ist keine Folge der Entwicklungspolitik des Westens, sondern der Verbreitung eines erzkonservativen Islams durch Saudi Arabien und Co. in großen teilen West- und Zentralafrikas. Diese extreme Auslegung des Islams steht im krassen Gegensatz zu den einstmals starken Sufi-Orden und heizt religiöse Konflikte an, denn er duldet neben sich nichts anderes. Leidtragende sind hier Muslime und Christen. Und die Einführung der Scharia in Nord-Nigeria war auch nicht die Schuld des Westens, sondern von nigerianischen Machthabern und auch der Gesellschaft gegenüber Radikalen. Das daraus nicht gutes erwächst war klar.



      Und hier die "Christen" als alleinige Nutznießer darzustellen ist auch ein starkes Stück. Erstens machen diese fast 50% der Bevölkerung aus und sind von Armut und Korruption durch die herrschende Klasse genauso ausgesetzt wie die Muslime. Genauso leiden sie unter ständige Angriffe von Rebellen, Extremisten und der Regierung. Und die Elite besteht in Nigeria auch aus Muslimen. Du verbreitet eine sehr einseitige Sicht die eher wenig mit der harten Realität zu tun hat.



      Und auch werden zahlreiche Staaten in Afrika nicht nur vom Westen in Abhängigkeiten und Instabilität getrieben, sondern auch von China und Russland. Gerade die Begeisterung gegenüber China hat stark nachgelassen, denn die ach so fantastische Entwicklungshilfe führt meist direkt in die Schuldenfalle und versprochene Jobs wurden nie mit Afrikanern besetzt.



      Und Russland soll sich ruhig dort austoben. In Mali hat sich die Sicherheitslage verschlechtert und es kommt dort vermehrt zu Kritik am Kurs. Russland wird in 10 Jahren eine mindestens genauso schlechte Bilanz und Stand wie Europa haben. Denn es hat nur Waffen zu bieten...kein Geld, keine Aufbauhilfe und auch kein funktionierendes gesellschaftliches Model. Jeder wird scheitern der Afrika nur als Schachbrett ansieht und zurzeit sieht jede Macht es als solches. Am meisten leidet aber Afrika