Militärputsch in Myanmar: Auf Messers Schneide
Myanmars sanfter Coup steht auf der Kippe. Der Westen muss jetzt den Widerstand befördern und die Reihen der internationalen Gemeinschaft schließen.
D er Coup in Myanmar ist nun eine Woche alt. Er bleibt ein sanfter Coup. Am vergangenen Montag setzte das Militär den Präsidenten Win Myint ab und rief den Notstand aus. De-Facto-Regierungschefin Aung San Suu Kyi, die Parlamentsabgeordneten und die Gouverneure der 14 Regionen Myanmars wurden verhaftet. Schon am Dienstag wurden die Gouverneure in den Hausarrest entlassen. Die Parlamentarier kamen am Mittwoch frei. Dann wurden die Vorwürfe gegen Suu Kyi bekannt: Sie habe illegal Walkie-Talkies importiert – darauf stünden maximal 2 Jahre Haft.
Schnell begann sich der Widerstand auf Facebook in Form des Civil Disobedience Movements zu formieren. Die Junta – die Generäle hatten mittlerweile eine neue Regierung gebildet – schaltete das Internet zeitweise ab, um die Mobilisierung des Widerstandes zu stören. Gleichzeitig mit den Restriktionen nach innen startete die Junta eine Charmeoffensive nach außen und lud die internationale Gemeinschaft zur Konferenz auf Botschafterebene, wo sie ihren Willen zur weiteren Zusammenarbeit bekundete.
Warum geht die Junta so zögerlich vor? Ein Faktor ist die wirtschaftliche Lage in Myanmar. Die Wirtschaft ist durch die Folgen der Coronapandemie arg gebeutelt. Sollten westliche Länder, Japan und Korea Mittel abziehen und Investoren aus dem Land flüchten, droht der Zusammenbruch, den dann nur noch China verhindern kann – zu welchem Preis, kann man sich im benachbarten Laos ansehen.
Der Hauptgrund für das Zögern ist allerdings die Schwäche der militärischen Führung selbst. Kommt es zur Eskalation auf der Straße, kann man sich nicht sicher sein, ob einfache Soldaten und Polizisten auf Demonstranten feuern oder sich mit ihnen solidarisieren. Denn von Anfang an war dieser Coup das Projekt einer kleinen Clique – der obersten Militärführung und ihrer Kumpane in der Wirtschaft, die Myanmars größte Unternehmen und den illegalen Handel mit Jade, Edelsteinen, Drogen und Edelhölzern dominieren. Ihre Interessen sind nicht jene der Bevölkerung, des Beamtenapparates, ja nicht einmal jene der mittleren Offiziersebene und der Truppe.
Philipp Annawitt war zwischen 2015 und 2020 für das Entwicklungsprogramm der Vereinten Nationen (UNDP) in Myanmar tätig und beriet Myanmars Parlamente. Derzeit berät er Myanmars Finanzministerium.
Die Dynamik beginnt sich schon jetzt zu wenden. Bis Freitag hatte sich die Protestbewegung auf vier zivile Ministerien ausgeweitet: Im Landwirtschafts-, Energie-, Gesundheits-, und Bildungsministerium hat die Belegschaft die Arbeit niedergelegt. Es erreichen uns Berichte von harschen Disziplinierungsmaßnahmen innerhalb der Sicherheitskräfte, um des Dissens in den eigenen Reihen Herr zu werden.
Drei Dinge hat der Westen jetzt vorrangig zu tun: Man muss einen Keil in das Militär treiben, an den Patriotismus der Soldaten und Polizisten appellieren und ihnen klarmachen, was auf dem Spiel steht: Gewinnen kann bei diesem Coup nur eine alte, korrupte Clique von Generälen – und China. Die westlichen Staaten sollten bestehende Arbeitskanäle zur mittleren Ebene der militärischen Hierarchie nutzen. Die Teams der internationalen Organisationen, NGOs und bilateralen Entwicklungsagenturen vor Ort haben die nötigen Kontakte.
Außerdem gilt es, die Mobilisierung des Widerstands zu erleichtern. Die unabhängigen Medien sind nach wie vor frei, aber chronisch unterfinanziert. Der Westen sollte sie finanziell unterstützen, damit sie ihre Berichterstattung aufrechterhalten können. Mobilisierung erfolgt allerdings großteils über die sozialen Medien. Nach Facebook wird das Militär auch Twitter und Instagram sperren. VPN-Services wären ein Weg, um diesen Sperren zu entgehen.
Effektive Lösungen sind aber für viele Burmesen nicht bezahlbar. Diese sollte man daher gratis zur Verfügung stellen. Sollte das Internet über längere Zeit abgeschaltet werden, wird nur noch Offline-Messaging über Bridgefy verfügbar sein. Die Bluetooth-basierte App, die schon millionenfach in Myanmar heruntergeladen wurde, hat eine Offline-Reichweite von maximal 100 Metern, was nur für den engsten urbanen Raum reicht. Längerfristig müssen Alternativen gefunden werden, die auch für abgelegenere Landesteile funktionieren.
Zudem müssen die Reihen der internationalen Gemeinschaft geschlossen werden. Eine Verurteilung des Coups im Sicherheitsrat der Vereinten Nationen scheiterte erwartungsgemäß am Widerstand Chinas und Russlands. Dass überhaupt eine Pressemitteilung zustande kam, in der sich alle Sicherheitsratsmitglieder „tief besorgt zeigten“ über den militärischen Notstand in Myanmar und die Freilassung aller Verhafteten forderten, zeigt, dass auch China sich (noch) nicht exponieren will.
Jetzt muss der Westen die Führung übernehmen, die demokratische Koalition mit Japan, Korea und Indien gegen den Coup zusammenhalten und gezielte Sanktionen erlassen gegen die Junta und ihre Kumpanen in der Wirtschaft. Das wird nicht einfach, da die geostrategischen Interessen der einzelnen Länder hier divergieren.
Zuletzt muss man der Junta eine Ausstiegsoption aus dem Coup geben, um diesen schnell und unblutig zu beenden. Ming Aung Hlaings sofortiger Rückzug ist nicht verhandelbar. Praktischerweise erreicht Myanmars Armeechef in diesem Jahr sein reguläres Rentenalter. Eine elegante Lösung wäre, die Junta dazu zu bewegen, die Gerichte anzuweisen, der anhängigen Beschwerde der gestürzten Regierungspartei NLD gegen den militärischen Notstand stattzugeben. Das würde den Militärs eine Rückkehr in die relative Sicherheit der Verfassung von 2008 ermöglichen, mit ihrem starken politischen Veto für das Militär.
Wie man das der NLD verkauft? Vielleicht so: Der fehlgeschlagene Militärcoup hätte bewiesen, dass die Demokratisierung und Öffnung Myanmars unumkehrbar ist. Damit könnte eine nächste Verhandlungsrunde über die Änderung der unliebsamen Verfassung mehr Erfolg bringen.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Ungerechtigkeit in Deutschland
Her mit dem schönen Leben!
Neuer Generalsekretär
Stures Weiter-so bei der FDP
Zuschuss zum Führerschein?
Wenn Freiheit vier Räder braucht
Verkauf von E-Autos
Die Antriebswende braucht mehr Schwung
Warnstreiks bei VW
Der Vorstand ist schuld
Die HTS in Syrien
Vom Islamismus zur führenden Rebellengruppe