Vorwurf Wahlbetrug in Myanmar: Alte Tricks reloaded

Das Militär biegt sich nach dem Putsch die Verfassung zurecht. Damit schafft es einen Vorwand, um Aung San Suu Kyi zu stürzen und von Wahlen auszuschließen.

Soldat steht vo geparkten Truppentransporterrs des Militärs

Soldaten warten am 15. Februar auf ihren Einsatz in Yangon Foto: Stringer/rts

YANGON taz | „Möglicher Wahlbetrug!“ Und: „Millionenfache Fehler auf den Wählerlisten!“ Mit diesen Vorwürfen nach den Parlamentswahlen vom 8. November 2020 haben die Militärs jetzt ihren Putsch begründet. Sie behaupten, auf den Listen seien dieselben Namen mehrfach aufgetaucht. Auch die Nummern von Identitätskarten der Wähler hätten sich wiederholt. Für diese Behauptung lieferte die Armee allerdings keine Beweise. Die Wahlkommission wies die Vorwürfe denn auch zurück.

Myanmars Wahlsystem ist nicht perfekt, aber es ist in der Lage, Betrug in größerem Stil zu verhindern. Am Wahltag haben Tausende von Schul­leh­re­r:in­nen in den Wahllokalen die Stimmabgabe kontrolliert. Um bei den Wahlen zu betrügen, hätte eine Person von einem Wahlkreis zum anderen fahren müssen, obwohl die Regierung die Bewegungsfreiheit eingeschränkt hatte.

Auch hätte ein Betrüger die nicht abwaschbare Markierungstinte vom Finger abbekommen und dann auch noch die Kontrollen der Mit­ar­bei­te­r:in­nen in den Wahllokalen umgehen müssen.

Allerdings: Die regierende Nationale Liga für Demokratie (NLD) genoss während des Wahlkampfes gegenüber den anderen Parteien ihren Amtsbonus. ­Unter dem Deckmantel individueller Spender umging sie auch Regeln zur Wahlkampffinanzierung. Und NLD-Kandidaten nutzten die Gelegenheit, um sich bei Covid-Hilfsprogrammen der Regierung als Helfer zu inszenieren, was ihnen in der Öffentlichkeit zugutekam.

Präsident verhaftet, sein Vize legalisiert dann den Putsch

Eine weitere unangenehme Wahrheit: Die offizielle Wahlkommission (UEC) stand der NLD nahe und verletzte einige demokratische Regeln: So blockierte sie etwa zunächst eine Gruppe von Wahlbeobachtern, um sie dann doch zuzulassen – zu spät, um eine umfangreiche Überwachung sicherzustellen.

Erst nach illegalen Festnahmen konnte der Putsch als verfassungsgemäß verklärt werden

19. 7. 1947: Ermordung von General Aung San, dem Führer der Unabhängigkeitsbewegung und Vater von Aung San Suu Kyi

4. 1. 1948: Unabhängigkeit Birmas (engl. Burma) von Großbritannien

März 1948: Karen und Kommunisten beginnen Aufstand

2. 3. 1962: Militärputsch unter Ne Win, später Massaker an Studierenden. Beginn des „eigenständigen Wegs zum Sozialismus“. Verstaatlichung von Firmen, Vertreibung indischstämmiger Birmesen, Krieg gegen ethnische Minderheiten und Selbstisolation des Landes

März 1988: Massenproteste beginnen befeuert von Wirtschaftskrise

Juli/August 1988: Rücktritt von Diktator Ne Win, brutale Militäreinsätze gegen Proteste

18. 9. 1988: Militärputsch mit circa 5.000 Toten. Abkehr vom Sozialismus, Militär benennt das Land in Myanmar um

27. 5. 1990: Nationale Liga für Demokratie (NLD) von Aung San Suu Kyi gewinnt Wahlen mit knapp 60 Prozent der Stimmen und 80 Prozent der Sitze. Militär gibt Macht aber nicht ab. Tausende politische Gefangene, Folter und Zwangsarbeit sind gängig. Aung San Suu Kyi, die 1991 den Friedensnobelpreis erhält, verbringt die nächsten rund 15 Jahre in Haft oder Hausarrest. Wirtschaftssanktionen westlicher Länder

Mai 2008: Zyklon Nargis zerstört das Irrawaddydelta, mindestens 84.500 Tote, Hunderttausende Obdachlose, Junta behindert internationale Hilfe, lässt aber per Referendum Verfassung absegnen, die Militär Hoheit über die Politik sichert.

10. 11. 2010: Militärpartei USDP gewinnt von der NLD boykottierte Wahlen, leitet aber Reformen ein und lässt Aung San Suu Kyi frei

8. 11. 2015: NLD gewinnt die ersten freien Wahlen deutlich. Aung San Suu Kyi darf laut Verfassung nicht Präsidentin sein und wird faktische Regierungschefin

8. 11. 2020: Bei den Parlamentswahlen gewinnt die NLD nach dem Mehrheitswahlrecht rund 80 Prozent der Sitze, Debakel für militärnahe USDP

1. 2. 2021: Anfangs unblutiger Militärputsch geführt von Armeechef Min Aung Hlaing vor geplanter Parlamentseröffnung. Festnahme von Aung San Suu Kyi und Präsident Win Myint. Ab 2. 2. Massenproteste.

Doch begründete das Militär seinen Putsch mit dem schwammig formulierten Paragrafen 417 der Verfassung. Der erlaubt dem Oberbefehlshaber, die volle politische Kontrolle zu übernehmen, wenn die Union oder die nationale Solidarität „zerfallen“ oder wenn Myanmar wegen „Versuchen, die Souveränität des Staates durch Aufruhr, Gewalt oder andere falsche Gewaltmethoden“ zu übernehmen, gefährdet sei.

Diese Machtübernahme durch den Armeechef muss allerdings der Präsident anordnen. Das führt zu der Frage, ob der Putsch, wie von der Armee behauptet, verfassungsmäßig war. Denn unmittelbar bevor die Armee den Notstand ausrief, setzte sie die Staatsrätin und faktische Regierungschefin Aung San Suu Kyi, den Präsidenten Win Myint und den Vizepräsidenten Henry Van Thio fest.

Das verhinderte, dass die drei NLD-Politiker:innen ihre Ämter ausüben konnten. Erst so wurde der vom Militär ernannte Vizepräsident Myint Shwe zum amtierenden Staatschef. Er übertrug dann flugs die absolute Macht an Oberbefehlshaber Min Aung Hlaing.

Militär organisiert jetzt nachtäglich Beweise für Wahlbetrug

Bald erklärte Juntachef Min Aung Hlaing dann öffentlich, die Untersuchung der Wählerlisten habe begonnen und die Verantwortlichen für den Wahlbetrug würden bestraft. Eine unabhängige Untersuchung scheint dabei nicht vorgesehen zu sein.

Es sieht ganz so aus, als ob das Militär nun nachträglich Beweise herbeischaffen will, um seine Vorwürfe zu rechtfertigen – ein Szenario, das in autoritären Staaten üblich ist, wo Diktatoren politische Gegner unterdrücken.

Viele bezweifeln, dass die sogenannte Untersuchung der Wählerlisten fair und objektiv sein wird. Manche Experten vermuten gar, die Militärs werden neue Anschuldigungen produzieren, um Aung San Suu Kyi und Win Myint vor Gericht anklagen zu können. So wird Aung San Suu Kyi schon jetzt vorgeworfen, illegal Funkgeräte importiert zu haben. Und Präsident Win Myint verstieß angeblich gegen Coronaregeln.

General Min Aung Hlaing versprach inzwischen Wahlen nach einem einjährigen Notstand und dass er selbstverständlich die Macht an die Siegerpartei abtreten werde. Wenig überraschend können die angeblichen Straftaten von Aung San Suu Kyi und Win Myint mit Haftstrafen von bis zu drei Jahren geahndet werden.

Das heißt: Sie werden von Richtern unter der Aufsicht von Min Aung Hlaing verurteilt, da er die Gewaltenteilung aufgehoben hat. Dann dürfen die beiden als Vorbestrafte bei den kommenden Wahlen nicht antreten.

Nicht minder beunruhigend sind die Razzien in NLD-Büros, bei denen Polizisten interne Dokumente und Festplatten beschlagnahmten. Obwohl es dafür noch etwas früh ist, könnte man zu dem Schluss kommen, dass die NLD ganz von den Wahlen ausgeschlossen werden soll.

Die Republik der Union Myanmar besteht aus 7 Staaten (ethnischer Minderheiten), 7 Regionen und der 2005 eingeweihten Hauptstadt Naypyidaw als Unionsterritorium.

Einwohner: 57 Millionen

Militär: 380.000 (geschätzt)

Bevölkerung: 135 Ethnien: Birmanen (68 Prozent), Shan (9), Karen (7), Rakhine (3,5), Chinesen (3), Inder (2)

Religion: Buddhisten (88 Prozent), Christen (6), Muslime (4)

Lebenserwartung: 69,6 Jahre

Alphabetisierung: 75,5 (rückläufig)

Pro-Kopf-BSP: 5.142 Dollar

Armutsrate: 25,6 Prozent

Exporte: China (36,5 Prozent), Thailand (21,8), Japan (6,6), Singapur (6,4), Indien (5,9): Gas, Holz, Fisch, Reis, Kleidung, Edelsteine

Importe: China (31,4 Prozent), Singapur (15), Thailand (11,1), Saudi-Arabien (7,5): Stoffe, Ölprodukte, Dünger, Maschinen, Fahrzeuge

Für die NLD wiederholen sich damit zwei Ereignisse aus dunkler Vergangenheit: 1990 wurde ihr Wahlsieg vom Militär für null und nichtig erklärt. Und bei der Wahl von 2010 musste sie ohne ihre Führung antreten, die noch im Gefängnis oder im Hausarrest saß.

Die Militärs zeigen wieder einmal, dass jeder zivile Politiker, der oder die in ein Amt gewählt wird, die Vormacht der Armee als angebliche Hüterin der Verfassung von 2008 akzeptieren muss – einer Verfassung, die auf undemokratische Weise entstanden ist.

Viele unserer Autor*innen, die derzeit über die aktuelle politische Situation in Myanmar berichten, tun dies unter Einsatz ihrer Sicherheit. Um sich vor Repressionen zu schützen, bleiben einige von ihnen anonym. (Anmerkung der Redaktion).

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