Militärputsch in Myanmar: Hupen für Suu Kyi
Trotz zeitweiser Internet- und Mobilfunksperre: In Myanmar protestieren Hunderttausend friedlich gegen den Militärputsch. Darunter sind viele Junge.
In Myanmars größten Städten hat es am Sonntag den zweiten Tag in Folge trotz Coronapandemie Massenproteste gegen den Militärputsch gegeben. Allein in der größten Stadt Yangon schätzten mehrere Beobachter der taz gegenüber die Zahl der Demonstrant:innen auf 100.000. Es war der größte Protest seit dem Militärputsch am vergangenen Montag. Seit Dienstag wird jeden Abend durch das Schlagen auf Töpfe protestiert.
Die Demonstrant:innen marschierten jetzt in mehreren Zügen durch die Innenstadt. Viele versammelten sich vor dem Rathaus neben der Sule-Pagode. Sie trugen überwiegend Rot, die Farbe der Nationalen Liga für Demokratie (NLD), der gestürzten De-facto-Regierungschefin und Friedensnobelpreisträgerin Aung San Suu Kyi.
„Nieder mit der Diktatur!“ – „Wir wollen unsere Führerin Mutter Suu zurückhaben“ – „Leistet zivilen Ungehorsam“, lauteten die Parolen. Autofahrer hupten zur Unterstützung. Viele zeigten als Zeichen des Protests auch die drei Finger aus der Filmreihe „Die Tribute von Panem“, die bereits im benachbarten Thailand ein Protestsymbol gegen die dortige Militärregierung sind.
Die meisten Demonstrant:innen waren junge Menschen, doch demonstrierten auch Staatsangestellte und sogar Bergarbeiter. In Yangon sperrten Polizei und Militär Straßen mit Stacheldrahtbarrikaden und bewaffneten Einsatzkräften ab. Teilweise standen sie den skandierenden Demonstrant:innen direkt gegenüber, griffen aber nicht ein und wurden auch nicht angegriffen.
Polizei feuerte Gummigeschosse
Die 75-jährige Aung San Suu Kiy steht wie auch Staatspräsident Win Myint seit dem Putsch unter Hausarrest. Rund 160 Personen wurden bisher festgenommen. Am Samstag wurde mit Aung San Suu Kyis australischem Wirtschaftsberater Sean Turnell erstmals auch ein Ausländer verhaftet.
An dem Tag hatte es in Yangon die erste Großdemonstration gegeben, die am Sonntag noch mehr Menschen anzog. Dabei hatte das Militär eigens durch das Abschalten der Internet- und Mobilfunktverbindungen versucht, die Proteste kleinzuhalten. Bereits Mitte der Woche waren Facebook und dazugehörige Dienste eingeschränkt worden. Doch funktionierten sie teilweise noch, zum anderen wichen viele auf Twitter aus.
Ab Samstagabend war der Internetverkehr dann aber wirklich stark gedrosselt. Die taz erreichten am Sonntagmorgen nur noch wenige Nachrichten direkt aus Myanmar. Das änderte sich ab Sonntagnachmittag Ortszeit. Da quollen Facebook, Twitter & Co regelrecht über mit Postings und Clips der beeindruckenden Demos.
Berichte von Protesten am Samstag und Sonntag gab es auch aus Mandalay, der zweitgrößten Stadt des Landes, der Hauptstadt Naypydaw und aus kleineren Orten. Aus der südöstlichen Stadt Mawlamyine wurde eine Demonstration mit 400 Teilnehmern gemeldet. Laut BBC seien dort Schüsse gefallen, doch sei niemand getroffen worden. Das Portal des früheren Exilmagazins Irrawaddy zeigte ein Video, wonach Polizisten am Sonntagmittag in der Stadt Myawaddy Gummigeschosse auf mehrere Hundert Demonstranten abfeuerten. Sechs Personen sollen festgenommen worden sein.
Brodelnde Gerüchteküche
Myanmars Militär hat bereits von 1962 bis 2011 diktatorisch regiert und war nie davor zurückgeschreckt, Waffen gegen Zivilisten einzusetzen. Das Militär hat seinen Staatsstreich jetzt mit unbewiesenen Manipulationen der Parlamentswahl vom November 2020 begründet.
Dabei hatte die militärnahe Partei USDP eine Niederlage gegenüber der triumphierenden NLD erlebt. Am Tag des Putschs hätte das neue Parlament vereidigt werden sollen. Das hätte den Druck auf die Generäle erhöht, einer Beschneidung ihrer Macht zuzustimmen.
Die bisher friedlichen Protesten werden von einer brodelnden Gerüchteküche begleitet. Am Samstag hieß es, Aung San Suu Kyi werde freigelassen. Womöglich sollte dies die Menschen vom Protest abhalten.
Dann gab es Gerüchte, Kriminelle seien aus den Gefängnissen entlassen worden, um die Demos aufzumischen oder um als Demonstrant:innen getarnt Unruhen zu stiften. So etwas wurde auch über Einsatzkräfte berichtet, die mit NLD-Symbolen bestückt als vermeintliche Demonstrant:innen das Militär provozieren sollten. Die Gerüchte zeugen von der Anspannung und dem Misstrauen der Gesellschaft gegen das vielfach verhasste Militär.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Kinderbetreuung in der DDR
„Alle haben funktioniert“
Hybride Kriegsführung
Angriff auf die Lebensadern
BSW in Koalitionen
Bald an der Macht – aber mit Risiko
Dieter Bohlen als CDU-Berater
Cheri, Cheri Friedrich
Niederlage für Baschar al-Assad
Zusammenbruch in Aleppo
Sport in Zeiten des Nahost-Kriegs
Die unheimliche Reise eines Basketballklubs