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Militärische Forschung an UnisEin „Hunter-Killer“-U-Boot trotz Zivilklausel

Die TU Berlin hat sich rüstungsrelevante Forschung verboten. Doch ein Waffenkonzern wirbt offen mit der Kriegsanwendung eines gemeinsamen Projektes.

Ein von Thyssenkrupp gebautes U-Boot im Fjord von Kiel
Timm Kühn

Aus Berlin

Timm Kühn

In der TU Berlin ist man stolz auf die eigene Zivilklausel, ein selbstauferlegtes Verbot von Forschung für militärische Zwecke. Als kurz nach dem russischen Angriffskrieg in der Ukraine Olaf Scholz die „Zeitenwende“ ausruft, war TU-Präsidentin Geraldine Rauch eine der wenigen, die sich gegen den Militarisierungsrausch auch an den Hochschulen stellte. „Mir scheint, wir lassen etwas zu schnell von moralischen Werten ab“, schrieb Rauch damals in der Fachzeitschrift Forschung & Lehre. „Die Rolle von Hochschulen ist es, Forschung und Lehre im Sinne einer stabileren, sozialeren und nachhaltigeren Welt zu betreiben“, bekräftigte sie.

Doch wo die Grenzen zwischen militärischer und ziviler Nutzung von Technologien verlaufen, ist nicht immer eindeutig. „Dual Use“ nennt man dieses Phänomen: dass Technologien sowohl zivil als auch militärisch nutzbar sind. Solche Technologien bewegen sich oft in einer rechtlichen Grauzone und können für Unternehmen eine Art Einstieg in die Rüstungsproduktion sein. Und auch an den Hochschulen drohen solche Technologien, die Grenze zwischen ziviler und militärischer Forschung zu vermischen.

Ein Beispiel ist das Projekt Modifiable Underwater Mothership (MUM), das Thyssenkrupp Marine Systems (TKMS) entwickelt, die Marinesparte des Rüstungskonzerns ThyssenKrupp – unter aktiver Beteiligung der TU Berlin. Sie wollen ein autonom operierendes, modular aufgebautes U-Boot entwickeln, dessen einzelne Komponenten je nach Einsatzzweck flexibel ausgetauscht werden können. Weil das MUM vollständig unbemannt fahren soll, könnte es theoretisch ganzjährig, also 365 Tage im Einsatz sein. Die Fachzeitschrift European Security & Defense spricht von einem „Durchbruch“, der „neue Standards“ setzen werde. Gefördert wird das Projekt vom Bundesministerium für Wirtschaft und Energie.

Unbemannte U-Boot-Waffe

Gerade die modulare Bauweise des MUM macht die Forschung allerdings heikel. Zwar wird das Projekt mit dem hehren Ziel der „Erkundung und ressourcenschonenden Nutzung der Weltmeere“ beworben, und tatsächlich sind zivile oder wirtschaftliche Anwendungen durchaus denkbar. Die Fachzeitschrift Naval News nennt etwa den Transport von Nutzlasten zu Offshore-Wind-, Öl- und Gasanlagen oder Forschungsmissionen in arktischen Eisregionen als mögliche Einsatzfelder.

Hochschulen unter Militarisierungsdruck ​

Zivilklauseln unter Druck Etwa 70 Hochschulen bundesweit – also knapp jede fünfte – haben sich mit einer Zivilklausel verpflichtet, auf Rüstungsforschung zu verzichten. Doch die Politik macht Druck, die Forschung für Militärzwecke zu öffnen. In Bayern sind Zivilklauseln inzwischen verboten und die Hochschulen können verpflichtet werden, mit der Bundeswehr zusammenzuarbeiten.

Rüstungsboom in Berlin Auch im Privatsektor boomt die Rüstungsbranche in Berlin. So hat sich etwa zuletzt allein in Berlin die Anzahl von Unternehmen, die „Dual-Use“-Technologien produzieren, auf 100 verdoppelt. Und die Entwicklung hat politische Rückendeckung: Von einem „riesigen Potenzial“ spricht etwa die Wirtschaftsministerin Franziska Giffey (SPD). (tk)

Doch dabei bleibt es nicht, wie ThyssenKrupp selbst offen einräumt. Bereits 2019 warb der Konzern auf einer Verteidigungsmesse in Rotterdam damit, dass MUMs auch im „Hunter-Killer“-Modus operieren und zum Legen von Unterwasserminen eingesetzt werden können. Auch von Spähmissionen war die Rede. Auf der Messe Undersea Defence Technology 2023 in Rostock stellte ThyssenKrupp die bewaffnete „Hunter-Killer“-Version erneut vor. Ein Bericht spricht von einem „neuen Flaggschiff“ und einer „unbemannten U-Boot-Waffe“.

Aufgedeckt wurde diese Form der Projektbewerbung von der Studierendengruppe „Not in Our Name“ an der TU Berlin. Bereits im April veröffentlichte die Gruppe einen ausführlichen Bericht, dem zufolge die TU Berlin seit 2017 maßgeblich an dem Projekt beteiligt ist. Demnach wirkte die Universität sowohl an der ersten Designphase mit, in der das Modulsystem konzipiert und mögliche Einsatzfelder definiert wurden, als auch am Folgeprojekt „MUM2simulate“, in dem ein Funktionsmodell getestet und validiert wurde. Auch die Universität Rostock und das Fraunhofer-Institut sind in das Projekt involviert.

Bruch der Zivilklausel?

Verletzt die TU Berlin also ihre Zivilklausel, die sie öffentlich so couragiert verteidigt? Die Klausel, 1991 beschlossen und entstanden als Lehre aus der Rolle der Universität im Zweiten Weltkrieg, untersagt nicht nur die direkte Entwicklung von Waffensystemen, sondern generell jede „rüstungsrelevante“ Forschung. Begründet wird dies damit, dass wissenschaftliche Ergebnisse grundsätzlich nicht davor geschützt werden können, „für militärische Zwecke von Dritten missbraucht zu werden“.

Zudem heißt es ausdrücklich: „Können bestehende Zweifel nicht ausgeräumt werden“, soll die TU Berlin keine Aufträge oder Mittel für ein solches Projekt annehmen oder verwalten. Auch sollen keine Arbeitsverträge mit Mit­ar­bei­te­r:in­nen geschlossen werden, die in rüstungsrelevanten Vorhaben beschäftigt sind. Rechtlich bindend sind Zivilklauseln nicht.

Eine Sprecherin der TU Berlin verweist auf taz-Nachfrage darauf, dass es bei ThyssenKrupp „zwei parallel laufende Projekte“ gebe: ein ziviles, an dem die TU beteiligt ist, sowie ein militärisches. Zwischen beiden gebe es „keine Überschneidungen“. Ferner sagte die Sprecherin, das militärische Projekt sei „dem Fachgebiet nach eigenen Angaben nicht bekannt“ gewesen, bis die studentische Gruppe die „Hunter-Killer“-Werbung publik gemacht habe. Eine Prüfung des Projektes vom vorherigen Präsidium 2016 habe eine Einstufung als zivilklauselkonform vorgenommen.

Enttäuschte Studierende

Die Ak­ti­vis­t:in­nen überzeugt das nicht. „Die doppelte Anwendbarkeit wird als Schlupfloch genutzt, um sich aus der Affäre zu ziehen“, sagt der Aktivist Islam Müller zur taz, der nicht unter seinem echten Namen auftreten möchte. Auch könne die Universität nicht behaupten, ihrer Sorgfaltspflicht bei der Einhaltung der Zivilklausel nachgekommen zu sein. „Unsere gesamte Nachforschung bestand darin, die Worte „Modifiable Underwater Mothership (MUM)“ und „Militär“ zu googeln – und sofort haben wir alle Beweise gefunden“, sagt Müller. Die TU schreibt, das Fachgebiet habe „während der gesamten Projektlaufzeit“ streng auf die Einhaltung der Zivilklausel geachtet.

Tatsächlich wirft der Umgang mit den Vorwürfen Fragen auf. So sei TKMS laut der Sprecherin der Universität nach Bekanntwerden der „Hunter-Killer“-Werbung zwar ermahnt worden. Doch nach einer Bestätigung des Konzerns, dass die Forschungsergebnisse der TU nur für zivile Zwecke genutzt würden, sieht man in der Universität offenbar keinen weiteren Handlungsbedarf. Die TU habe die eigene Ethik-Kommission dazu beauftragt, deren Bericht werde aber keine Auswirkungen auf das Projekt haben. Da das Projekt kurz vor dem Abschluss stehe – geplantes Ende ist 2026 – dienten die Prüfungen „nur noch der Aufklärung und der Prozessoptimierung für die Zukunft“, schreibt die Unisprecherin auf eine Nachfrage der taz.

Bei den Studierenden bleibt da Frust zurück. „Wir wollten die Universität mit unserer Recherche gar nicht angreifen. Wir wollten ihnen die Beweise an die Hand geben, um zu zeigen, dass die Forschung der TU Berlin für militärische Zwecke genutzt wird, damit die TU was dagegen tun kann“, sagt Müller zur taz. Doch die Uni habe die Studierenden nur hingehalten und ignoriert. „Ich bin enttäuscht und verbittert von meiner eigenen Universität“, so der Student.

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1 Kommentar

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  • In den Zeiten von Kürzungen und Sparpolitik (austerity für die unter uns, die nur noch armseliges Denglish radebrechen können - und sich dabei auch noch toll vorkommen) müssen die Forschungsgelder ja von irgendwo herkommen. Krieg und der militärisch-industrielle Komplex haben schon immer gut gezahlt - und viele Leute reich gemacht.