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Milde Strafen für Überfall in BallstädtUnd sie grinsen

Rechtsextreme verübten 2014 einen brutalen Angriff im thüringischen Ballstädt – und kommen nun mit Bewährungsstrafen davon. Die Opfer sind empört.

Enttäuscht vom Urteil: Demonstrierende am Montag vor dem Verhandlungssaal in Erfurt Foto: Martin Schutt/dpa

ERFURT taz | Es ist ein Rundumschlag, zu dem Richterin Sabine Rathemacher am Montagvormittag ausholt, eine frontale Attacke auf die NebenklageanwältInnen, auf Teile von Politik und Medien. Man habe in diesem Prozess „einen Angriff auf die Gewaltenteilung in nie da gewesenem Umfang“ erlebt, ja einen „Angriff auf die Demokratie“, kritisiert Rathemacher. Es habe eine mediale Vorverurteilung stattgefunden, eine „völlig falsche Wahrnehmung“ der Rolle des Gerichts, eine Stimmungsmache seitens der Nebenklage. „Viele haben ihren inneren Kompass verloren“, so die Richterin. Auf den Gesichtern der Neonazis und ihrer AnwältInnen breitet sich Grinsen aus, einer klopft zustimmend auf den Tisch.

Ein anderer dagegen verfolgt die Worte konsterniert, vorne auf der Bank der Nebenkläger: Maximilian P. Der junge Mann gehörte zur Kirmesgesellschaft in Ballstädt, als diese vor sieben Jahren, in der Nacht zum 9. Februar 2014, von Neonazis überfallen wurde – von den neun Angeklagten, die ihm heute gegenüber sitzen. Und die nun zu Bewährungsstrafen bis zu einem Jahr und zehn Monaten verurteilt wurden. Eine Strafhöhe, die Maximilian P. später „völlig unverständlich“ nennt. Und auch die Generalkritik der Richterin findet er „unterste Kanone“.

Tatsächlich hatte der Überfall in Ballstädt 2014 bundesweit für Entsetzen gesorgt. Die Kirmesgesellschaft hatte damals im Kulturzentrum ein Dankesfest gefeiert, als die vermummten Rechtsextremen hineinstürmten. Wer die Scheibe im „Gelben Haus“, ihrer Wohngemeinschaft im Ort, eingeschmissen habe, rief der Anführer Thomas W.

Dann schlugen er und die anderen Rechtsextremen zu, selbst auf einen Schlafenden. Nach zwei Minuten blieben Scherben, Blutlachen und zehn teils schwer Verletzte zurück, mit Platzwunden im Gesicht, Knochenbrüchen, abgesplitterten Zähnen, einem verletzten Ohr.

Ein Angriff wie ein „Überfallkommando“

Von einem „Überfallkommando“ und einer gemeinschaftlich gefährlichen Körperverletzung spricht Richterin Rathemacher. Die Angeklagten hätten auf die eingeworfene Scheibe „völlig überzogen und ungerechtfertigt“ reagiert, es auf Gewalt abgesehen gehabt. „Selbstjustiz und Rache ist nie zu billigen.“ Die Opfer würden den Angriff wohl nie vergessen. Auch zwei Minuten könnten „sehr, sehr lange sein“.

Und dennoch kommen die Rechtsextremen – viele von ihnen seit Jahren Teil der Neonazi-Szene – nun milde davon. Alle erhalten Bewährungsstrafen, ausgesetzt auf bis zu drei Jahre. Einige müssen außerdem bis zu 3.000 Euro an den Förderverein einer Ballstädter Kita entrichten, andere bis zu 300 Stunden gemeinnützige Arbeit leisten. Gegen einen Angeklagten, der Mitbeschuldigte breit belastet hatte, und eine Angeklagte, die beim Angriff Schmiere stand, wurde das Verfahren schon zuvor vorläufig eingestellt – sie mussten 3.000 und 6.000 Euro Geldauflage zahlen.

Die Milde hat auch mit der langen Verfahrensdauer zu tun: Ein erstes Urteil mit Haftstrafen bis zu dreieinhalb Jahren wurde 2020 vom Bundesgerichtshof aufgehoben, da es mangelhaft begründet gewesen sei. Diesmal einigte sich das Gericht auf Deals mit den Neonazis: Bewährungsstrafen gegen Geständnisse.

Die Rechtsextremen beließen es teils allerdings bei dürren Aussagen.Sie hätten an den Angriff keine Erinnerung mehr, wären aber wohl dabei gewesen, erklärten gleich mehrere. Und auch sie verwiesen auf das eingeworfene Fenster. Die Kirmesgesellschaft bestreitet indes bis heute, etwas damit zu tun zu haben. Auch ein Neonazi räumte im Prozess ein, man habe wohl die Falschen getroffen.

Ausdauernder Protest gegen die Deals

Mit Kundgebungen protestierten Linke jeden Prozesstag gegen die Deals. Auch die AnwältInnen der Verletzten verwahrten sich dagegen, verzichteten im Prozess am Ende aus Protest auf ihre Plädoyers. Der Prozess sei eine „Farce“ und „ein abgekartetes Spiel“ gewesen, kritisierten sie stattdessen in einer Stellungnahme. Die Rechte der Opfer seien übergangen worden. Es sei nur darum gegangen, das Verfahren „schnell vom Tisch zu bekommen“. Die milden Urteile stärkten nun die Neonazi-Szene.

Hinzu kommt: Drei der Angeklagten, darunter Thomas W., sitzen derzeit in U-Haft, weil sie mit ihrer rechtsextremen „Turonen“-Truppe Drogenhandel und Geldwäsche in größerem Stil betrieben haben sollen. Ein weiterer, Marcus R., wurde gerade erst wegen des Verdachts eines Sexualdelikts festgenommen. Für eine günstige Sozialprognose spricht das nicht. Dennoch erhalten auch sie Bewährungsstrafen. Richterin Rathemacher bezieht die neuen Vorwürfe in ihr Urteil nicht mit ein – sondern betont hier die Unschuldsvermutung.

Vielmehr teilt Rathemacher in Richtung Nebenklage-AnwältInnen aus. Diese hätten im Prozess haltlose Vorwürfe gemacht und ihre Mandanten politisch instrumentalisiert. Die Deals verteidigt die Richterin: Diese stünden grundsätzlich erstmal allen Angeklagten zu. Zudem sei es damit gelungen, Geständnisse zu erhalten und trotz dünner Beweislage alle Angeklagten zu verurteilten – andernfalls hätte es auch Freisprüche geben können.

Richterin sieht kein politisches Motiv

Und auch das behauptete politische Motiv gebe es nicht. Es sei um Rache für das kaputte Fenster gegangen, die auch Fußballfans oder Motorradrocker hätte treffen können. „Das hat mit rechter Gesinnung nichts zu tun.“ Ein kühner Vergleich für eine arglos überfallene Kirmesgesellschaft – umso mehr, da der Zuzug der Rechtsextremen ins Dorf zuvor zum Politikum wurde, Demonstrationen inklusive.

Rathemacher aber teilt noch weiter aus. Auch die Politiker:innen, die sich gegen die Deals ausgesprochen hätten, hätten die Gewaltenteilung nicht verstanden, erklärt die Richterin. Und die Öffentlichkeit habe zwar ein Recht auf Information, „aber kein Recht auf Einmischung“. Zudem könne man schon auch fragen, warum das „Gelbe Haus“ mit einem Stein attackiert worden sei. „Gibt es gute Gewalt? Keine Gewalt ist gut.“

Die Nebenklage sieht eine Täter-Opfer-Umkehr

Nebenklageanwältin Kati Lang spricht von einer „Täter-Opfer-Umkehr“ und einer „Verharmlosung rechter Gewalt, die ich so noch nicht erlebt habe“. Der Rechtsstaat werde hier zum „zahnlosen Tiger“. Es gebe keinen Anspruch auf einen Deal vor Gericht. Und natürlich sei der Angriff von Ballstädt eine politische Tat. Schließlich seien die Neonazis an dem Abend auf der Suche nach „Zecken“ gewesen, hätten zuerst ein linkes Projekt in Gotha aufgesucht und dann dem Dorf, das sie gegen sich sahen, eine Lektion erteilen wollen. „Die Tat war ein rechtes Dominanzsymbol.“

Die Rechtsextremen spazieren derweil gut gelaunt aus dem Gericht, auch ihre Gesinnungskameraden auf der Empore sind zufrieden. „Nazis raus“-Rufe schallen ihnen von der Kundgebung entgegen. Einige rufen dort auch: „Justizskandal“. Unter den Protestierenden steht auch die Linken-Landtagsabgeordnete Katharina König-Preuss, die das Urteil ebenfalls „eine Schweinerei“ nennt. „Das ist heute eine Diffamierung aller, die sich antifaschistisch engagieren oder sich für Betroffene rechter Gewalt einsetzen.“ Auch der SPD-Abgeordnete Denny Möller spricht von einem „verheerenden Signal“ durch das Urteil.

Vor dem Gericht steht da auch Maximilian P., der bei dem Angriff damals verletzt wurde. Auch er nennt die Urteilsverkündung „sehr unangenehm“. „Dass damit einer von uns abschließen kann, glaube ich nicht.“ Auch die Vorwürfe an die NebenklageanwältInnen sei abwegig. „Als ob wir die Kritik nicht selber üben würden.“ Und die Neonazis genössen dank der milden Strafen nun einmal mehr „Narrenfreiheit“. „Ich würde mich nicht wundern, wenn die heute noch feiern gehen.“

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7 Kommentare

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Kommentarpause ab 30. Dezember 2024

Wir machen Silvesterpause und schließen ab Montag die Kommentarfunktion für ein paar Tage.
  • Zu dem Verfahren kann ich mich nicht als Außenstehender äußern. Vielmehr jedoch zu den Ausfällen der Sabine Rathemacher. Die Aufgabe dieser Dame ist festzustellen, ob die angeklagten Straftaten der Beschuldigten zutreffend und besondere Tatumstände zu würdigen sind.

    Sie hat sich aus welchen Gründen auch immer gegen eine erneute Beweisaufnahme ausgesprochen, weil das natürlich unbequem und schwierig ist. Gleichzeitig wurde eine Abmachung zwischen Tätern und Staatsanwaltschaft getätigt, die ebenfalls die Abwicklung des Verfahrens erleichterte. In einem solchen politischen Fall, der sich nicht als Kirmesschlägerei abtun lässt, gehört es zu den Dienstpflichten der Sabine Rathemacher dieses Verfahren besonders im Hinblick auf das öffentliche Interesse genau zu prüfen und angemessen zu berücksichtigen.

    Ihr Dienstvergehen besteht in der sich anschließenden Beschimpfung der Öffentlichkeit. In völliger Verkennung des Grundgesetzes fordert sie eine in sich abgeschlossene Justiz und verdächtigt Andersdenkende als Feinde der freiheitlich demokratischen Grundordnung. Sie leugnet damit, dass zur Gewaltenteilung alle drei Gewalten gehören und es keine "sakrosankte" Rechtsprechung geben darf. Denn würde man der Sabine Rathemacher folgen, dann hätten wir eine Sonderstellung der Justiz, wie sie für Diktaturen typisch ist. Ich möchte der Dame nicht unterstellen, dass sie dabei an gewisse Rechtsprechungen in gewissen Epochen gedacht hat, aber ich rate dringend dazu, diese Form der geistigen Arroganz abzulegen und einfach anzuerkennen, dass in einem demokratischen Rechtsstaat der Rechtsprechung auch eine dienende Funktion zukommt. Die so gearteten massiven Unterstellungen zu Bürgern und Medien lassen erst wirklich den Verdacht einer Befangenheit dieser Richterin aufkommen, was vorher nicht offenbar wurde. Ich empfehle dazu der Dame die Lektüre ihres älteren Kollegen Kurt Tucholsky, sollte er nicht zufällig ihrem Feindbild vom demokratisch ungebildeten Bürger entsprechen.

  • Ein Skandal, daß solche Urteile im Deutschand des Jahres 2021 gefällt werden können.

    Man darf also in Deutschland Menschen halb tot schlagen, wenn man zu den Braunen gehört und das auch noch zugibt.

    So etwas muß eigentlich in die internationale Presse kommen

  • Zum Vergleich: Ella, oder wie sie von den Behörden genannt wird, UWP1 (unbekannte weibliche Person 1?) wurde weggesperrt, weil sie sich an den Protesten im Dannenröder Forst beteiligt hat. Über ein halbes Jahr U, oder Beugehaft bis zum Prozessbeginn am 25.Mai. Die Videos zeigen, dass sie keineswegs einen Polizisten angegriffen hat, sondern auf fahrlässige Weise vom Baum geholt wurde. Trotzdem weiterhin Haft. Letzte Prozesstage am 13. und 17.07.



    Und dann muss ich lesen, dass der Rechte Mob nach einer echten Gewalttat wieder einmal frei das Gericht verlässt. Ich könnte kotzen.

    • 8G
      83379 (Profil gelöscht)
      @m.d.bichlmeier:

      Da sie sich weigert zu identifizieren können die Behörden sie gar nicht bis zum Prozess freilassen, würde bei einer rechten Straftat wo die Personalien nicht festgestellt werden nicht anders laufen. Weil wie will man sicherstellen, dass sie beim Prozess auftaucht, wohin sollen Briefe von Gericht gehen?

    • @m.d.bichlmeier:

      Schlag in Deutschland als Nazi ein paar Leute fast tot oder prügel sie zumindest ins Krankenhaus, dann kommst Du mit einer Bewährungsstrafe davon.

      Wirf beim G 20 eine leere Flasche auf gepanzerte Polizisten, Du musst nicht einmal treffen und bekommst doch dreieinhalb Jahre.

      Die Ansage ist ja eigentlich klar: Nazis dulden wird, fördern wir von Fall zu Fall, wir tun auf jeden Fall nicht viel dagegen, selbst wenn sie unsere eigenen Leute ermorden.

      Die Linken hingegen müssen sich ganz warm anziehen.

  • Die Urteile bewegen sich durchaus im Rahmen der deutschen Rechtsprechung.

    Die Tat erinnert beispielsweise frappierend an einen Angriff mehrerer Männer mit Baseballschlägern und Holzlatten auf ein Erntedankfest in Bad Sooden-Allendorf:



    www.faz.net/aktuel...kfest-1684330.html



    Danach gab es ebenfalls Bewährungsstrafen:



    www.hna.de/lokales...hrung-2367314.html



    Nur ein Beteiligter musste ins Gefängnis, weil er auch einen Raubüberfall begangen hatte.

    Wir sollten uns für allgemein deutlich härtere Strafen bei Gewaltdelikten einsetzen.

  • Die braune Justiz in Deutschland und Österreich ist Wegbereiter des Naziterrors.