Migration und Sprache: Heimat „Kiezdeutsch“

Wenn Menschen ohne Migrationsbiografie „Kiezdeutsch“ nachäffen, kann das triggern. Als würden sie sich über das Zuhause lustigmachen.

Kinder spielen auf einem Pausenhof

„We are always listening, searching for sounds that can become home“, schreibt ein Twitter-Nutzer Foto: Hans Blossey/imago

„Woher kommst du?“ fragen, nachdem ein Name falsch ausgesprochen wird – es gibt so Mikroaggressionen im Leben von Menschen mit Migrationsbiografie, die alle von uns unterschiedlich bewerten. Während es manche gar nicht stört, triggert es andere. Mich stört es sehr, wenn Menschen ohne Migrationsbiografie „Kiezdeutsch“ oder „Parkdeutsch“ nachäffen. Wie bei Justus, der plötzlich Deutschrap für sich entdeckt hat, oder Julia, die mal mit einem Jugo zusammen war. Wenn du mit dieser Art zu sprechen nicht aufgewachsen bist, lass es bitte – zumindest in meiner Gegenwart.

Ich habe mich oft in Situationen wiedergefunden, in denen es autochthone Menschen lustig fanden, „Parkdeutsch“ zu sprechen, um eine bestimmte Situation oder einen Typ Mensch zu imitieren. Als ich beim Fernsehen gearbeitet habe, kamen in meinen Beiträgen oft Jugendliche mit Migrationsgeschichte zu Wort. Man hörte ihnen an, dass sie Familien haben, die ursprünglich aus einem anderen Land kommen. Manchmal imitierten dann die Cu­te­r*in­nen die Sprache der Jugendlichen – „zum Spaß“. Das ärgerte mich, aber ich ahnte, dass sie meinen Ärger nicht nachvollziehen können. Ich konnte nicht gut in Worte fassen, warum mich das so stört.

Bis ich neulich auf Twitter eine Anekdote eines Mannes las, der davon berichtete, wie ein Fremder im Krankenhaus folgenden Satz zu ihm sagte: „I hear my country in your voice.“ Ich höre mein Land in deiner Stimme. Das war es also. Dabei geht es mir gar nicht um ein konkretes Land. Das ist es ja bei vielen Migrant*innen: Viele von uns haben gar kein „eigenes Land“, aber wenn ich diese ganz besondere Art Deutsch höre, hört sich das heimisch an.

Ich spüre sofort eine Verbindung. Eine Sprache, die von Zerrissenheit und Diskriminierung erzählt. Von einem Leben, das einen klein halten will und in dem man trotzdem versucht, laut zu bleiben – egal wie oft man von Fremden schief angeschaut oder beschimpft wird, wenn man mit seinen Freun­d*in­nen in diesem Deutsch spricht.

Kiezdeutsch ist für mich alles andere als gebrochenes, falsches Deutsch, ein Dialekt oder bloß Jugendslang – für mich ist diese Sprache eine Symbiose von postmigrantischen Identitäten, Grammatiken und Lebenssituationen. „Für mich ist dieser Slang kein Trend, der in zwei Jahren vielleicht wieder peinlich ist, sondern Teil meiner Identität“, bringt es eine Schülerin in einem Kommentar für die_chefredaktion gut auf den Punkt.

Als Mi­gran­t*in­nen sind wir viel aufmerksamer für die vielen Möglichkeiten von Sprache. Wir achten stärker darauf, ob die Worte, die Tonlage, die Pausen uns ein- oder ausschließen, so ähnlich formuliert es der junge Mann auf Twitter weiter: „We are always listening, searching for sounds that can become home.“ Wenn jemand diese Art zu sprechen also nachmacht, fühlt es sich an, als würde sich die Person über mein Zuhause, meine Familie, meine Art von Heimat lustig machen.

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Autorin "Generation haram", Journalistin, ehemalige Lehrerin, lebt in Wien

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