Migration und Flucht: Ausreisen „zwangsweise“ durchsetzen
Athen sträubt sich, „Sekundärmigranten“ aus Deutschland zurückzunehmen. Berlin kontert, das BAMF wolle wieder Rückführungen nach Griechenland.

Das soll nun vorbei sein. In einem Grundsatzurteil vom 16. April stellte das Bundesverwaltungsgericht in Leipzig fest, dass anerkannte Flüchtlinge durchaus nach Griechenland zurückgeführt werden dürfen. Zwar gebe es dort erhebliche Defizite, aber alleinstehenden, männlichen, gesunden Flüchtlingen drohe keine Verelendung, keine extreme materielle Not. „Sie können ihre elementaren Grundbedürfnisse auf Unterkunft, Ernährung und Hygiene befriedigen“, sagte der Vorsitzende Richter Robert Keller.
Er verwies vor allem auf die Möglichkeit durch Arbeit Geld zu verdienen, vor allem in der Schattenwirtschaft, also in der Schwarzarbeit. Obdachlosigkeit wiederum sei unter anerkannten Flüchtlingen „kein Massenphänomen“, es gebe temporäre Unterkünfte und Notschlafstellen, so das höchstrichterliche Urteil. Dabei ging es nicht um Rechtsfragen, sondern um die verbindliche Feststellung der Situation für Flüchtlinge in einem bestimmten Staat – in diesem Fall Griechenland. Betroffen sind davon viele Menschen. Nach Angaben des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge (BAMF) kamen in den letzten fünf Jahren fast 100.000 Flüchtlinge nach Deutschland, die zuvor in Griechenland als Schutzberechtigte anerkannt worden sind.
Regierungspolitikern in Athen treibt das höchstrichterliche Urteil aus Leipzig die Sorgenfalten auf die Stirn. Zuerst reagierte der Athener Migrationsminister Makis Voridis – ein Hardliner in der für ihren restriktiven Flüchtlingskurs bekannten konservativen Regierung unter Premier Kyriakos Mitsotakis. Den Anträgen von deutscher Seite, die Rückkehr der Sekundärmigranten nach Griechenland zu ermöglichen, werde man „nicht sehr freundlich gegenüberstehen“, sagte er dem privaten Athener Rundfunksender Skai bereits am 25. April.
Kaum jemand will freiwillig nach Griechenland zurückkehren
Nun legte der Generalsekretär für Migrationspolitik im Athener Migrationsministerium, Manos Logothetis, nach: Auf die Frage, wie Athen mit betreffenden Anträgen deutscher Behörden auf eine Rückkehr von Sekundärmigranten umgehen werde, sagte er dem privaten Athener Rundfunksender Parapolitika FM: Selbstverständlich könne Hellas dazu ‚Nein‘ sagen, wann immer es solle. Das sei nicht einfach eine Sache der Deutschen, fügte Logothestis hinzu. Es werde eine Einzelfallprüfung geben. Wie lange die griechischen Behörden für eine solche brauchen werden, offenbarte Logothetis nicht.
Die deutsche Seite macht hingegen Tempo. Das BAMF werde wieder Rückführungen nach Griechenland ermöglichen, heißt es sinngemäß in dem Schreiben von Innenstaatssekretär Bernd Krösser an die für Rückführungen zuständigen Staatssekretäre der Länder, welches die Süddeutsche Zeitung (SZ) am 19. Mai enthüllte. Zunächst seien die Personen aufzufordern, selbst nach Griechenland auszureisen, also „freiwillig“. Dafür könnten die Behörden in bestimmten Fällen die Kosten übernehmen. Passiere dies jedoch nicht, seien die Bundesländer angehalten, die Ausreise „zwangsweise“ durchzusetzen.
Erkennbar sei zudem die Strategie der Behörden, den Druck auf die Menschen zu erhöhen, Deutschland „freiwillig“ zu verlassen, so die SZ. Ausdrücklich weise das Innenministerium die Bundesländer in dem internen Papier darauf hin, dass „leistungsrechtliche Konsequenzen“ möglich seien, um „Bemühungen des BAMF und der Ausländerbehörden“ für verstärkte Rückreisen zu flankieren. Im Klartext: Wer der Ausreise-Aufforderung nicht nachkomme, müsse damit rechnen, dass Leistungen gekürzt oder gar komplett gestrichen werden.
Wie Der Spiegel zuletzt enthüllte, hätten rund 2.000 Sekundärmigranten in allen 16 Bundesländern bisher ein Schreiben zur freiwilligen Rückkehr nach Griechenland erhalten – 78 von ihnen hätten ihr Interesse bekundet. In dem Schreiben verspricht das BAMF den Flüchtlingen, dass sie nach ihrer Ankunft in Griechenland am Flughafen abgeholt werden, für bis zu vier Monate eine Unterkunft mit „Vollverpflegung“ erhalten und anschließend in ein griechisches Integrationsprogramm vermittelt werden, das sie auf den Arbeitsmarkt vorbereitet.
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