piwik no script img

Mi­gran­t:in­nen in der DDRSchlachthof statt Ausbildung

„De-Zentralbild“ zeigt das Leben von Mi­gran­t:in­nen in der DDR. Die digitale Ausstellung schafft einen Gegenentwurf zum offiziellen Bilderkanon.

Der 1990 ermordete Amadeu Antonio Foto: Augusto Jone Munjunga

Die Alltagsgeschichte der DDR dringt erst allmählich, mehr als 30 Jahre nach dem Mauerfall, ins Licht der Öffentlichkeit. Grit Lemkes 2021 erschienenes Buch „Kinder von Hoy“ über das Leben in Hoyerswerda war da ein wichtiger Vorstoß. Zu Wort kommen darin auch ehemalige Ver­trags­ar­bei­te­r:in­nen aus sozialistischen Bruderstaaten, die mit einer Ausbildung gelockt wurden und oft als billige Arbeitskräfte endeten. Dem Leben dieser „Ossis of Colour“ widmet sich nun die Onlineausstellung „De-Zentralbild“ mittels privater Fotoarchive und aktueller Videoporträts.

Einer, der in diesen Videos zu Wort kommt, ist Augusto Jone Munjunga. In den 80er Jahren arbeitet der Finanzkaufmann in einem angolanischen Ministerium. Weil er studieren möchte, lässt er sich für eine Ausbildung in der DDR anwerben. Statt des Ausbildungsplatzes findet er sich im Schlacht- und Verarbeitungskombinat Eberswalde wieder, wo er für vier Jahre Schichtarbeit eingeteilt ist.

„Mensch, wo bin ich jetzt gelandet?“, habe sich Munjunga, der mit portugiesischem Akzent spricht, gefragt. In die Kamera hält er ein Foto aus dem Jahr 1987. Auch damals trägt er Schnurrbart. Und eine Adidas-Jacke. Den Westkonsum ermöglichte der Kontakt zu polnischen Arbeitskolleg:innen, denen Munjunga Klamotten abkaufte.

Die Ausstellung

„De-Zentralbild“: Online­ausstellung, aufrufbar unter www.dezentralbild.net

Der Eberswalder hält ein weiteres Foto in die Kamera, das er selbst aufgenommen hat. Es zeigt seinen Freund Amadeu Antonio im Jahr 1989 lachend an ein Moped gelehnt. Das Foto wird eine von zwei Aufnahmen bleiben, bevor der junge Mann am 24. November 1990 von einem rassistischen Mob zu Tode geprügelt wird. Die feige Tat hätte auch Munjunga treffen können. Der aber bleibt in der Stadt und gründet 1994 den Verein Palanca als Treffpunkt und Schutzraum.

Es sind solche Geschichten aus den Jahren 1957 bis 1990, die „De-Zentralbild“ erzählt. Bereits 2017 hatten sich die Dokumentarfilmregisseurin Julia Oelkers, die freie Historikerin Isabel Enzenbach und die interkulturelle Beraterin und ehemalige vietnamesische Vertragsarbeiterin Mai-Phuong Kollath in der Webdokumentation „Eigensinn im Bruderland“ der Immigration in die DDR gewidmet. Dabei griffen sie auch auf Material der staatlichen Bildagentur Zentralbild zurück und damit auf Bilder eines idealisierten proletarischen Internationalismus.

Gegenbilder zum offiziellen Kanon

Mit „De-Zentralbild“ nun schaffen Oelkers und Enzenbach Gegenbilder zum offiziellen Bilderkanon. „Wir hatten nach privaten Fotos unserer Interviewpartner gefragt, und da wurde uns deutlich, dass das eine ganz andere Bildsprache ist“, erklärt Enzenbach die Motivation hinter der neuen Onlineausstellung, die durch Bundesmittel für die nächsten fünf Jahre gesichert ist.

Die in mehrere Sprachen übersetzte Website erlaube auch denjenigen den Zugang zum Material, die nach dem Ende der DDR in ihre Heimatländer zurückkehrten, so die Historikerin. Das sei auch für die Kinder und Enkel der Rück­keh­re­r:in­nen wichtig, die oft wenig über diesen Teil ihrer Elterngeschichte wüssten. Oelkers und Enzenbach beschränken sich jedoch nicht auf die Lebenswelt der Vertragsarbeiter:innen, wie sie in Birgit Weyhes Comic „Mad­germanes“ (2016) erzählt wird. Das Onlinearchiv lässt auch Menschen zu Wort kommen, die in der DDR geboren, aber als „ausländisch“ gelesen wurden.

Beispiel für „mongolide Rasse“

So wie der Dresdener Danilo Starosta, der in den 60er Jahren als Sohn eines mongolischen Vertragsarbeiters im ländlichen Sachsen aufwächst. Weil der Vater früh in die Mongolei zurückkehrt, lebt Starosta bei den Großeltern. Die kleiden ihn in bester Absicht mit Lederhosen und Hüten aus, damit er mit seinen glatten schwarzen Haaren nicht auffalle. Aber gerade die folkloristische Mimikry lässt den Schüler herausstechen, und so muss er im Biologieunterricht als Beispiel für die „mongolide Rasse“ herhalten. Starosta, der heute in Dresden für das sächsische Kulturbüro arbeitet, wird seinen Vater nie kennenlernen, dafür hält er mittlerweile engen Kontakt zu seinen Schwestern in der Mongolei.

Das Ausstellungsteam hat zudem Menschen in Mosambik, Kuba und Vietnam aufgesucht. So wie Tran Thanh Huong, die 1990 aus der Textilfabrik in Apolda entlassen wird und mit einer Abfindung von 3.000 D-Mark unfreiwillig zurück nach Vietnam fliegt, wo sie heute, in Hanoi, lebt. Auf einem Geburtstagsfoto vom Januar 1988 sieht man die junge Frau inmitten ihrer freudestrahlenden Kolleginnen. Zwei Jahre später dieselbe Gruppe, dieselbe Situation, aber statt ausgelassener Partystimmung steht Ernüchterung in die Gesichter der Frauen geschrieben.

Auch wenn man leicht Gefahr läuft, zu viel in solche Momentaufnahmen hineinzulesen, lässt „De-Zentralbild“ anschaulich in Biografien eintauchen und vervielfältigt so die Erzählungen über das Leben in der DDR.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

3 Kommentare

 / 
  • Herzlichen Dank für die Vorstellung dieser wichtigen Ausstellung.

    So kann man sich ein kleines Bild von der Lebensrealität dieser Menschen in der DDR und im Osten machen, davon wie sie erst von der DDR und dann der BRD im Stich gelassen wurden.

    Besonders diejenigen, die dem vermeintlichen Sozialismus in der Diktatur nachtrauern, die mit Scheuklappen gewappnet und geschichtsvergessen Faschisten wählen, sollten sich mit dieser Realität befassen.

    Aber das wird wohl selten passieren, zumal diese Ausstellung nur im Neuland zu erreichen ist und etwas Zeit und den Willen, sich zu informieren, voraussetzt.

  • Ach wie gut, dass heute in der freiheitlich demokratischen Bundesrepublik und ihrer freien (und sogar sozialen!) Marktwirtschaft alles besser ist. Hier enden Migranten niemals in ausbeuterischen Schlachthöfen oder als schlecht bezahltes Dienstpersonal (Pflegekräfte, Lieferkurriere, Putzkräfte, Hotel- und Gastronomie, etc.) für die eingeborenen, sondern haben die besten Chancen für eine qualifizierte Ausbildung mit allerbesten Aufstiegsmöglichkeiten. Und weil das hier so toll ist für Menschen mit Migrationshintergrund, sind auch illegale Tätigkeiten wie Drogenhandel so unattraktiv für sie. Und da es hier ja auch ganz allgemein keine sozialen Verwerfungen gibt, gibt es hier ja auch überhaupt keinen Nährboden für rechtsextreme und fremdenfeindliche Parteien.

    Es ist eben einfach die aufgelösten realsozialistischen Staaten dafür zu verurteilen, dass sie ihren eigenen Ansprüchen nicht gerecht wurden, wie es einfach ist die Augen davor zu verschließen, dass man diesen Anspruch in der heutigen kapitalistischen Welt überhaupt nicht mehr hat (spätestens wieder nicht mehr seit die Konkurrenz weg ist).

    • @Victa:

      Wow, da hat man wohl einen Nerv bei Ihnen getroffen?



      Es geht nicht darum Probleme im heutigen Deutschland zu verharmlosen. Es geht darum, diesen Menschen eine Stimme zu geben!