Migranten in Deutschland: Erst zum Arzt, dann abgeschoben
Ausländer ohne geregelten Aufenthaltsstatus oder Versicherung werden medizinisch unzureichend versorgt, klagt die Ärztekammer.
BERLIN taz | Sie sind nicht krankenversichert oder haben keinen legalen Aufenthaltsstatus, und das hat Auswirkungen auf ihre Gesundheit: Mehr als eine halbe Million Menschen mit Migrationshintergrund in Deutschland leben nach Angaben der Bundesärztekammer mit dem Risiko, im Krankheitsfall nicht angemessen behandelt zu werden.
„Wir Ärzte halten das für unerträglich, es widerspricht unserem Ethos, dass Menschen aus Angst vor Abschiebung oder wegen eines fehlenden Versicherungsschutzes gar nicht oder erst sehr spät zum Arzt gehen“, sagte der Menschenrechtsbeauftragte der Bundesärztekammer, Ulrich Clever, am Donnerstag in Berlin.
In einer Stellungnahme fordern Clever und seine Kollegen von der Zentralen Ethikkommission bei der Bundesärztekammer die Bundesregierung zum Handeln auf: Notwendige Therapien dürften nicht länger an bürokratischen Hürden scheitern.
Besonders „bedenklich“ sei, „dass Kindern und Jugendlichen medizinische Versorgung vorenthalten“ werde, beklagte der Kommissionsvorsitzende und Tübinger Medizinethikprofessor Urban Wiesing: „Das Verfahren muss so gestaltet sein, dass es Eltern möglich ist, ihre Kinder Ärzten vorzustellen, ohne Gefahr zu laufen, ausgewiesen zu werden.“ Die Ärzte sprachen sich für einen anonymen Krankenversicherungsschein aus.
Nur im Notfall Schweigepflicht
Zwar hätten die rund 35.000 Asylsuchenden, die knapp 50.000 „geduldeten“ Flüchtlinge und die bis zu 600.000 Menschen ohne gesicherten Aufenthaltsstatus in Deutschland nach dem Asylbewerberleistungsgesetz Anspruch auf notwendige medizinische Versorgung, sagte Wiesing.
Sobald jedoch kein Notfall vorliege, entschieden faktisch Mitarbeiter des Sozialamts oder Heimleiter von Asylbewerberunterkünften, also medizinisch nicht fachkundige Personen, über die Kostenübernahme und damit über die Behandlung. Ärzte, Kliniken und Labore, die dies für unethisch hielten, würden für ihr Engagement bestraft: „Im Zweifel bleiben wir auf den Kosten sitzen“, sagte Clever.
Ein weiteres Problem sei die Aushebelung der ärztlichen Schweigepflicht. Seit 2010 gelte zwar eine Rechtsverordnung, wonach Notfallbehandlungen für Menschen ohne Papiere vom Sozialamt bezahlt werden müssen, ohne dass die Daten der Patienten an die Ausländerbehörden weitergegeben werden. Diese Regelung funktioniere aber in der Praxis nicht. Vielen Ärzten und Behörden sei sie schlicht nicht bekannt.
Zudem greife sie nur bei medizinischen Notfällen, nicht aber bei planbaren Eingriffen wie Herzoperationen oder Chemotherapien. Bei Letzteren seien die Sozialämter verpflichtet, die Daten an die Meldebehörden oder die Polizei weiterzugeben. Wiesing: „Kranke Menschen stehen dann vor der Entscheidung: Lasse ich mich behandeln oder werde ich ausgewiesen?“
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