Mieträder-Anbieter Nextbike: Next Betriebsratsgründung
Beim Radverleiher Nextbike soll ein Betriebsrat gewählt werden. Die Übernahme durch das E-Roller-Start-up Tier einen ersten Versuch zunichte gemacht.
Einer von Ihnen ist Erik. Er will unerkannt bleiben, um der Arbeitgeberseite keine Angriffsfläche zu bieten, wie er sagt. Seit mehr als drei Jahren wartet er als Servicemitarbeiter die Räder. Das Interesse an der Gründung eines Betriebsrates unter den Angestellten ist groß: 36 aller 43 Wahlberechtigten der vier Berliner Standorte kamen zur letzten Betriebsversammlung, auf der der Wahlvorstand gewählt wurde.
Das ursprünglich aus Leipzig stammende Unternehmen Nextbike, das vom Senat gefördert wurde, um eine Flotte in der ganzen Stadt aufzustellen, wurde im Oktober vergangenen Jahres vom Berliner Start-up Tier Mobility übernommen. Tier ist im Berliner Stadtbild vor allem durch die türkisfarbenen E-Scooter präsent. Dagegen wirken die silbernen, unmotorisierten Räder von Nextbike, die nur an festen Stationen entliehen und geparkt werden können, fast unscheinbar.
Für die Beschäftigten hat sich seit der Übernahme vieles verschlechtert, sagt Erik. Die familiären Atmosphäre, in der die Interessen der Beschäftigten berücksichtigt wurden, sei einer anonymen Arbeitskultur gewichen. „Und das fühlt sich auch irgendwie so gewollt an.“ Zudem hätten übliche und auch für 2023 zugesagte Lohnrunden sowie eine Angleichung der Löhne an die der Tier-Angestellten nicht stattgefunden. Das Einstiegsgehalt für Servicekräfte liegt bei 2.400 Euro brutto.
Schon wieder ein Verkauf?
Jüngste Berichte über eine mögliche Übernahme von Tier durch den Konkurrenten Bolt, einen E-Scooter-Anbieter mit Sitz in Estland, beunruhigen die Angestellten zusätzlich: „Die Verhandlungen mit Bolt signalisieren, dass mit den Löhnen nichts mehr passieren wird“, sagt Erik. Aufgrund seiner Wirtschaftlichkeit sei Nextbike eigentlich als Unternehmensbestandteil zu wichtig, als dass in naher Zukunft eine Abwicklung drohen würde, sagt Erik; „Aber aufgrund der Unwägbarkeiten haben wir das Vorhaben Betriebsrat lieber forciert, bevor es wieder zu spät ist.“
Denn das war es schon einmal: Kolleg:innen vom Nextbike-Unternehmenssitz in Leipzig hatten vergangenes Jahr schon einmal eine Wahl angestrebt, und zwar für bundesweit alle knapp 450 Mitarbeitenden. Doch zwei Wochen vor der finalen Wahl war der Betriebsübergang von Nextbike zu Tier besiegelt. Die Geschäftsführung hatte zuvor bereits eine einstweilige Verfügung gegen die Wahl bei Gericht beantragt, laut eigener Aussage, um „zu einer neutralen rechtlichen Einschätzung“ sowie „einem Konsens mit dem Wahlvorstand“ zu gelangen.
Die Unsicherheit, ob ein für Nextbike gewählter unternehmensübergreifender Betriebsrat auch bei Tier noch Bestand hätte, wurde vom Wahlvorstand geteilt. Dieser war jedoch der Ansicht, dies nach erfolgter Wahl zu prüfen, und sah in den vorab erfolgten rechtlichen Schritten der Geschäftsführung „einen massiven Angriff“ und „den Versuch, die rechtmäßige Wahl eines Betriebsrats zu verhindern“.
Zu diesem Vorgang wollten weder Tier noch Nextbike Stellung nehmen. Eine Nextbike-Sprecherin erklärte: „Innerhalb der Tier Mobility wird es genauso wie vormals bei Nextbike GmbH begrüßt, wenn sich die Mitarbeiter*innen einbringen und für das Unternehmen engagieren.“
Dass eine Unternehmensführung erklärt, im Sinne der Beschäftigten zu handeln, und gleichzeitig gerichtlich gegen Organisierungsbestrebungen vorgeht, ist kein Einzelfall. Innerhalb der Start-up-Szene hat sich ein Betriebsklima entwickelt, in dem Beschäftigte de facto davon ausgehen müssen, beim Einsatz für ihre Interessen behindert zu werden oder gleich ihren Arbeitsplatz zu verlieren. Immer wieder kommt es zu Betriebsratsinitiativen, in deren Verlauf die Arbeitgeber das Arbeitsgericht anrufen. Dazu kommt: Auch die Beschäftigten selbst wüssten nicht genau, was ein lokaler Betriebsrat in einem europaweit tätigen Unternehmen leisten kann, wie Erik sagt.
Eine erfolgreiche Wahl wäre ein Beitrag zu einer Branchenkultur, in der Beschäftigte den Angriffen der Arbeitgeber trotzen. Andererseits werden auch eingerichtete Betriebsräte mitunter derart von Arbeitgebern beschäftigt und in rechtliche Auseinandersetzungen verstrickt, dass sie kaum ihren eigentlichen Zweck erfüllen können.
Kein Interesse bei Verdi
Dass Betriebsräte in ihrer Handlungsmacht begrenzt und auf eine gewisse Akzeptanz seitens der Arbeitgeber angewiesen sind, ist auch den Aktiven bei Nextbike klar. Erik erklärt, sie hätten daher versucht, Kontakt zu der Gewerkschaft Verdi aufzunehmen. Dort habe sich aber niemand zuständig gefühlt. Auch für eine Anfrage der taz war kein Ansprechpartner für Arbeits- und Organisationsbedingungen in dieser Branche verfügbar.
Unterstützung bekamen die Initator:innen der Betriebsratsgründung von einer mittlerweile etablierten Vernetzung engagierter Beschäftigter und Betriebsratsmitglieder um Unternehmen wie Gorillas und dem mittlerweile gescheiterten Dropp. „Es war ein Glück, dass es diese wertvolle Vernetzung gab“, sagt Erik. „Hoffentlich geht die Wahl diesmal gut und sicher über die Bühne.“ Wenn es gelingt, wollten sie ihrerseits engagierte Arbeiter:innen anderer Standorte und andere Firmen aus dem Milieu unterstützen.
Das 2004 gegründete Nextbike hat nach Angaben der Senatsverkehrsverwaltung 6.200 Fahrräder im Einsatz. Das Land Berlin bezuschusst das Unternehmen mit jährlich 1,5 Millionen Euro. Der im nächsten Jahr auslaufende Vertrag soll noch in diesem Jahr neu ausgeschrieben werden. Die Nachfrage nach dem Angebot von Nextbike ist zuletzt gewachsen. Eine Sprecherin gab gegenüber der taz an, dass 2022 1,1 Millionen Ausleihen verzeichnet wurden, 2023 waren es bisher bereits knapp 800.000.
Das Mutterunternehmen Tier, eine Aktiengesellschaft, ist seit der Gründung 2018 auf Fremdkapital angewiesen. Laut einem Sprecher habe man bei dem Vorhaben, noch dieses Jahr profitabel zu werden, „hervorragende Fortschritte“ gemacht. Mit diesem Ziel wurde zuletzt auch die Entlassung von 180 Beschäftigten – 16 Prozent der Belegschaft – begründet. Den im Raum stehenden Verkauf an den Konkurrenten Bolt wollte man nicht kommentieren.
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