Mieterhöhung für Unterkünfte: 587 Euro für einen halben Container
Gebühren für Unterkünfte werden vervierfacht. Die meisten Obdachlosen und Flüchtlinge betrifft das nicht, aber für Ausnahmefälle wird es teuer.
Derzeit wohnen laut Sozialbehörde 28.957 Menschen in öffentlichen Unterkünften, darunter 4.442 Wohnungslose, 15.112 wohnberechtigte Zuwanderer und 9.403 Zuwanderer, die noch keine eigene Wohnung anmieten dürfen. Die Zahl dieser Plätze ist dem Anstieg der Flüchtlingszahlen im Jahr 2015 steil angestiegen. Noch im Jahr 2010 gab es 55 Wohnunterkünfte mit rund 8.000 Plätzen, inzwischen sind es doppelt so viel Unterkünfte mit – so die Prognose für 2018 – 30.900 Plätzen.
Schon im Jahr 2012 mahnte der Rechnungshof, dass Hamburg Geld verschenke, weil es Plätze subventioniere, an deren Kosten sich auch der Bund beteiligen muss. „Wir haben lange Zeit gerätselt, wie wir das machen“, sagt Sozialbehördensprecher Marcel Schweitzer. Nun habe man nach Absprache mit Sozialverbänden diese Lösung gewählt.
Die meisten bekommen die Miete vom Jobcenter
Laut der dazugehörigen Drucksache wird als Basis das Jahr 2016 gewählt. Damals deckten die alten Gebühren nur noch 21 Prozent der Kosten. Denn zur Vermeidung von Obdachlosigkeit von Zugewanderten mussten häufig auch teurere Standorte realisiert werden. Mit der neuen Gebühr erhofft sich der Senat einen Kostendeckungsgrad von 88 Prozent.
Zur Berechnung wurden die 158,5 Millionen Euro, die 2016 für Betrieb der Unterkünfte inklusive Abschreibungen aufgebracht wurden, durch die durchschnittliche Platzzahl von 22.490 geteilt. Das ergibt besagte 587 Euro. Darin enthalten sind auch Kosten für Wachdienst, Verwaltung oder ein „Unterbelegungsausgleich“.
In 90 Prozent der Fälle, so die Behörde, werde nun dieses Geld direkt vom Jobcenter überwiesen, weil die Menschen kein eigenes Einkommen haben. Da der Bund hier einen Gutteil der Unterkunftskosten übernimmt, rechnet der Hamburger Senat mit einer Entlastung von rund 50 Millionen Euro. Auch andere Städte wie Dresden erhöhen aus diesem Grund die Gebühr auf 600 Euro.
Doch ein Problem stellt die Gebühr für die „Selbstzahler“ dar. „Gerade die, die selber Geld verdienen, werden bestraft“, empört sich eine Flüchtlingshelferin, die Patin eines jungen Mannes aus Afghanistan ist. Er teilt sich einen Container mit einem Fremden und soll nun für einen halben Raum eine Summe zahlen, die an sich für eine kleine Wohnung reicht.
Der 26-Jährige arbeite schon seit zwei Jahren im KFZ-Bereich und habe eine vom Handwerk anerkannte Ausbildung. Nur fehle ihm die unbefristete Aufenthaltsgestattung und damit die Chance, eine Wohnung zu finden. „Solche Fälle gibt es einige“, sagt die Studentin, die ungenannt bleiben will.
Auf Kosten der Selbstzahler
Dieses Dilemma hat der Senat zwar bedacht und eine Ermäßigung auf 210 Euro vorgesehen, doch die gilt nur innerhalb enger Einkommensgrenzen (siehe Kasten). Wer wie der KFZ-Mechaniker über 1.300 Euro netto hat, muss voll bezahlen. So jemand gehöre „dem Grunde nach nicht in die öffentlich-rechtliche Unterbringung“, argumentiert die Behörde.
Carola Ensslen von der Linkspartei kritisiert, dass man sich auf Kosten der Selbstzahler entlastet. „Hier muss der Senat nachbessern. Die Selbstzahler werden dafür bestraft, dass kaum bezahlbarer Wohnraum kaum zu finden ist“, sagt die Abgeordnete. Und ins Umland könnten die betroffenen Flüchtlinge oft wegen der Wohnsitzauflage nicht ziehen. Zudem habe die neue Gebührentabelle, die zwei Tage vor Weihnachten ausgehängt wurde, bei Bewohnern in Flüchtlingsunterkünften für große Verunsicherung gesorgt, „weil über die Feiertage niemand für Fragen zur Verfügung stand“.
Ensslen hat nun eine Anfrage gestellt, in der sie unter anderem wissen will, in welcher Sprache die Bewohner informiert wurden und wie mit „etwaigen Zahlungsrückständen durch Informationsdefizite“ umgegangen wird.
Sozialbehördensprecher Schweitzer sagt, die Behörde wolle durch die neue Gebühr erst mal herausfinden, wie viele Selbstzahler es gibt. Und die könnten auch noch eine Härtefallregelung oder Wohngeld beantragen. Wer so einen Bescheid bekommt, solle damit „zum Unterkunftsmanagment und sich beraten lassen“.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Nan Goldin in Neuer Nationalgalerie
Claudia Roth entsetzt über Proteste
Politikwissenschaftlerin über Ukraine
„Land gegen Frieden funktioniert nicht“
Scholz und Pistorius
Journalismus oder Pferdewette?
Krieg in der Ukraine
Geschenk mit Eskalation
Krieg in der Ukraine
Kein Frieden mit Putin
taz-Recherche zu Gewalt gegen Frauen
Weil sie weiblich sind