Haarschneide-Aktion: Eine haarige Angelegenheit
Die Barber Angels schneiden Bedürftigen kostenlos die Haare. Am Sonntag kamen die FriseurInnen in die Suppenküche des Franziskanerklosters in Pankow.
Beim Betreten der Suppenküche des Franziskanerklosters in Pankow konnte man am Sonntagmorgen zunächst meinen, dass man auf eine Rockerversammlung gestoßen ist, so viele Lederhosen und Kutten eilten durch das Treppenhaus. Doch frisiert wurden an diesem Vormittag keine Motorräder, sondern Haare: Die Barber Angels Brotherhood, ein Verein aus FriseurInnen, den Claus Niedermaier, selbst seit über 40 Jahren Friseur, im vergangenen Jahr gegründet hat. „Ich habe einen Bericht über Obdachlosigkeit in München gesehen und habe mir daraufhin die Frage gestellt: Was kann ich selber tun?“
Die Antwort lag für Niedermaier schnell auf der Hand: „Wir möchten den Menschen durch ein gepflegteres Aussehen etwas Selbstwertgefühl, Lebensqualität und Würde zurückgeben.“ Die Barber Angels Brotherhood sind 70 FriseurInnen aus ganz Deutschland, die alle vier Wochen im Einsatz sind. Im vergangenen Jahr wurden bereits in München, Stuttgart, Köln, Saarbrücken und vielen weiteren Städten Haare und Bärte geschnitten – in Berlin hatte der Regierende Michael Müller (SPD) die Schirmherrschaft für die Aktion übernommen. Die Barber Angels wollen vor allem auch zur Nachahmung animieren, mit den jeweils eigenen Möglichkeiten einmal im Monat ebenfalls Gutes zu tun.
Man werfe seinem Verein oft vor, die Aktion nur aus Zwecken der Selbstdarstellung zu machen, sagt Niedermaier. Er wehrt sich gegen den Vorwurf, dass die Haarschneide-Aktion vor allem auch PR in eigener Sache ist: „Wir wollen wachrütteln!“, betont er. Die extravagante Rockerkluft nehme den Bedürftigen zudem häufig auch Berührungsängste und schlage eine Brücke, über die man in Kontakt komme.
In Pankow scheint diese Idee an diesem Morgen zumindest aufzugehen. Es herrscht eine lockere Stimmung, es wird über alles Mögliche gequatscht. Manfred, 65 Jahre alt, erzählt, dass er schon seit über 15 Jahren regelmäßig in die Pankower Suppenküche komme. Für einen Friseurbesuch sei schon lange kein Geld mehr da. Umso breiter fällt dann auch das Lächeln aus, als er sich nach dem Haare schneiden im Spiegel begutachtet: „Da fühlt man sich gleich wieder wie ein Stück Mensch.“
Claudia kommt „nach einem Jahr voller Schicksalsschläge“ erst seit Kurzem ins Franziskanerkloster. Ihre neue Frisur kostet ein bisschen mehr Zeit: Die langen braunen Haare werden zur Kurzhaarfrisur geschnitten. Dabei ist es nicht nur der Haarschnitt, der ihr und den anderen gefällt: Es ist auch die Aufmerksamkeit, die den Suppenküchen-Besuchern durch die Friseure zuteil wird.
„Eine rundum gelungene Aktion“, resümiert Bernd Backhaus, Leiter der Suppenküche an der Wollankstraße. Er und sein Team, zu dem auch 76 Ehrenamtliche gehören, bieten für bis zu 400 Obdachlose und Bedürftige Essen, Kleidung und eine Hygienestation – übrigens an sechs Tagen in der Woche, in Zivil und ganz ohne die Aufmerksamkeit der Medien.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Bis 1,30 Euro pro Kilowattstunde
Dunkelflaute lässt Strompreis explodieren
Preiserhöhung bei der Deutschen Bahn
Kein Sparpreis, dafür schlechter Service
Ex-Wirtschaftsweiser Peter Bofinger
„Das deutsche Geschäftsmodell funktioniert nicht mehr“
Ansage der Außenministerin an Verbündete
Bravo, Baerbock!
Krise bei Volkswagen
1.000 Befristete müssen gehen
Housing First-Bilanz in Bremen
Auch wer spuckt, darf wohnen