Mietenwahnsinn in Berlin: Haus für Obdachlose wird abgerissen
Das bekannte Haus in der Habersaathstraße darf einem Neubau weichen. Es gibt scharfe Kritik an der Einigung zwischen Bezirk und Eigentümer.
![](https://taz.de/picture/5524082/14/habersaath-loos-1.jpeg)
Die Initiative „Leerstand hab ich Saath“ kritisierte die Einigung des Bezirks mit dem Eigentümer Arcadia Estate GmbH am Montag als „skandalöses Vorgehen des Bezirks: Trotz jahrelanger illegaler Zweckentfremdung wird ein Abriss genehmigt und somit die Zweckentfremdungsverbotsverordnung missachtet“. Ähnlich äußerte sich Niklas Schenker, Sprecher für Mieten und Wohnen der Linksfraktion im Abgeordnetenhaus, auf taz-Anfrage: „Die bestehende Mietobergrenze aus dem Zweckentfremdungsverbot wird vom Bezirk ausgehebelt und damit ein gefährlicher Präzedenzfall für Berlin geschaffen.“
Laut von Dassels Brief will der Bezirk den Abriss unter folgenden Bedingungen genehmigen: Die verbliebenen Altmieter*innen sollen Umsetzwohnungen bekommen und zehn Jahre lang zu ihrer alten Miete wohnen können, alternativ können sie 1.000 Euro Abfindung pro Quadratmeter erhalten. Der Eigentümer verpflichtet sich, 30 Prozent der neu gebauten Wohnungen zu „günstigen“ 6,50 bis 8,50 Euro kalt pro Quadratmeter zur Verfügung zu stellen; der Bezirk hat ein „Vorschlagsrecht“ für diese Mieter*innen.
Seit Jahren will der Eigentümer die Häuser abreißen und neu bauen lassen. Ein Großteil der 120 Wohnungen steht leer, bis auf neun Altmieter*innen haben mit der Zeit alle aufgegeben. Nach mehreren gescheiterten Versuchen, die Wohnungen für Obdachlose zu besetzen, konnten einige zum Jahreswechsel tatsächlich in Wohnungen einziehen – „übergangsweise“ bis zu einer Einigung mit dem Eigentümer hatte der Bezirk dem zugestimmt. Was mit diesen 50 Menschen geschehen soll, steht nicht in der Einigung.
Eigentümer klagt gegen den Bezirk
Laut Berliner Zweckentfremdungsverbotsverordnung dürfen Hauseigentümer nur abreißen, wenn sie Ersatzwohnungen in gleicher Zahl für maximal 7,92 Euro Kaltmieter pro Quadratmeter schaffen. Dies will der Besitzer aber nicht. Darum hat der Bezirk bislang die Genehmigung zum Abriss verweigert, wogegen der Besitzer schon länger juristisch vorgeht.
Dass der Bezirk mit der außergerichtlichen Einigung nun den Anspruch auf 100 Prozent Ersatzwohnungen im „günstigen“ Preissegment aufgibt, hält Linken-Politiker Schenker für falsch. „Das ist ein fatales Signal für die Stadtgesellschaft. Der Bezirk hätte das durchfechten sollen“, findet er. Wenn nur 30 Prozent der Wohnungen im geregelten Preissegment sind, der Rest also frei vermietet werden kann, „wird damit faktisch bezahlbarer Wohnraum vernichtet“. So werde mit der Einigung auch die Strategie des jahrelangen Leerstands belohnt.
Das Abreißen und Neubauen erfreut sich bei Hausbesitzern aufgrund der hohen Neuvermietungspreise zunehmender Beliebtheit. Von 2018 bis 2021 wurden 1.724 Anträge auf Wohnungsabrisse gestellt, heißt es in der Antwort auf eine Anfrage von Schenker vom Januar, 60 Prozent wurden von den Bezirken genehmigt. Allerdings entstehen nur selten die geforderten Ersatzwohnungen zum gleichen Preis.
Die müssten die Bezirke einfordern. Allerdings gibt es hier offenbar eine gewisse Zurückhaltung, nachdem das Verwaltungsgericht 2019 die Vorgabe, Ersatzwohnungen dürften nur 7,92 Euro pro Quadratmeter kosten, gekippt hat. Eine obergerichtliche Entscheidung dazu steht noch aus.
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