Messerattacke von Brokstedt: Schwarz-Grün will Abschieben lernen
Schleswig-Holstein will Lehren aus der Attacke von Ibrahim A. ziehen. Darüber diskutierte der Landtag auch mit Hamburger Abschiebe-Experten.
Nicht ganz verhindern will Schleswig-Holsteins schwarz-grüne Landesregierung solche Taten, aber doch das Risiko minimieren – und hat sich eine Reihe von Konsequenzen aus der Messerattacke überlegt. 22 Expert:innen hatte der Ausschuss deshalb geladen, um über die Vorschläge zu diskutieren – darunter auch zwei Kriminalpolizisten aus Hamburg.
Denn Schleswig-Holstein will als Reaktion auf die Messerattacke künftig effektiver Menschen abschieben – und sieht dafür in Hamburg ein Vorbild. Um straffällig gewordene Ausländer:innen wie Ibrahim A, schneller abzuschieben, hatte Hamburg 2016 eine Abschiebe-Soko eingerichtet: Mitarbeiter:innen der Innen- und der Ausländerbehörde arbeiten seither in der sogenannten „Gemeinsamen Ermittlungsgruppe zur Rückführung ausländischer Straftäter“ (Geras) zusammen.
Der Hamburger Senat wertet die Einführung als Erfolg, konnte die Soko doch seither schon mehrere Hundert Fälle bearbeiten und dafür sorgen, dass mehr als 200 Menschen abgeschoben wurden beziehungsweise freiwillig ausreisten, erklärte einer der Polizisten im Ausschuss. Tätig werde die Geras, sobald es Informationen gibt, dass eine Person verdächtigt wird, eine Straftat begangen zu haben. „Dann prüft die Geras, ob von der Person eine Gefahr ausgeht und ob eine Rückführung in Frage kommt.“
Prävention mit Ambulanz
Dabei ist nicht klar, ob die Tat von Brokstedt hätte verhindert werden können, würde es eine solche Abschiebe-Soko schon in Schleswig-Holstein geben. Das gilt allein schon, weil es kein Auslieferungsabkommen mit den Palästinensergebieten gibt, aus denen Ibrahim A. stammt.
Zudem gab es auch behördliche Kommunikationspannen im Vorfeld der Tat: Ibrahim A. saß bis kurz vor der Tat mehrere Monate im Gefängnis. Die Hamburger Justiz informierte die für A. zuständigen Kolleg:innen in Kiel nicht darüber, dass A. aus der Haft entlassen worden war. Und in Kiel erfuhr man auch erst nach der Tat, dass sich A. in Haft mit dem Attentäter vom Berliner Breitscheidplatz, Anis Amri, verglichen und sich aggressiv verhalten hatte.
Die Landesregierung will außerdem nicht nur mit einer härteren Gangart des Rechtsstaates reagieren, sondern auch sozialpolitische Maßnahmen einführen. Das betonen besonders die mitregierenden Grünen. So will das Land etwa Mittel bereitstellen, um Menschen, die psychisch erkrankt sind und zu Gewalt neigen, besser medizinisch betreuen zu können.
Dafür soll ein Pilotprojekt gestartet werden: Auch in Schleswig-Holstein soll es künftig eine Präventionsambulanz bei Gewaltkriminalität geben – ähnlich wie sie in Bayern schon existiert. Psychiater:innen, Psycholog:innen, Sozialarbeiter:innen und psychiatrische Pflegekräfte betreuen hier Patient:innen mit Risikoprofil und versuchen so dafür zu sorgen, künftige Taten zu verhindern. Kritik hatte die Opposition am Mittwoch daran nicht – konnte sie aber auch nicht haben, da dem Ausschuss bislang kein spezifiziertes Konzept vorgelegt wurde.
Zweifel an der Wirksamkeit dieser Ambulanzen gibt es bereits. Das Land muss nämlich Einsparungen vornehmen – Finanzministerin Monika Heinold (Grüne) hatte deshalb bereits zeitweilig eine Haushaltssperre veranlasst. Deshalb beschloss die Regierung schon die Halbierung der Mittel für Präventionsambulanzen auf 200.000 Euro. „Dieses Projekt hat die Koalition noch vor wenigen Wochen als eine der zentralen Lehren aus der Brokstedt-Tat dargestellt“, sagte der SPD-Innenpolitiker Niclas Dürbrook.
Daten über Messerangriffe
Die am Mittwoch diskutierten Konsequenzen sind der zweite Schwung an Maßnahmen, die seit der Attacke angestoßen wurden. Auf der Justizministerkonferenz vor zwei Wochen hatte Schleswig-Holstein drei Maßnahmen vorgeschlagen, die auf Zustimmung stießen: So soll bei Messerangriffen eine bessere Datengrundlage geschaffen werden, um damit möglichen Handlungsbedarf in der Gesetzgebung zu identifizieren – es fehle an Daten, wie groß das Problem von Messerangriffen bundesweit sei.
Im Hinblick auf die unterlassene Kommunikation zwischen Hamburg und Schleswig-Holstein soll zudem ein besserer Informationsaustausch in ausländer- und asylrechtlichen Sachverhalten geschaffen werden. Außerdem soll überprüft werden, ob die zeitnahe Übermittlung aller strafrechtlich relevanten Informationen an die Justizvollzugsanstalten verbessert werden muss.
Mittlerweile hat die Staatsanwaltschaft Anklage gegen Ibrahim A. erhoben. Grund für die Attacke war aus Sicht der Anklage eine Verärgerung über seine persönliche Situation. Justizministerin Kerstin von der Decken (CDU) sagte, sie rechnet noch im Sommer mit dem Beginn des Gerichtsprozesses.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Politikwissenschaftlerin über Ukraine
„Land gegen Frieden funktioniert nicht“
Bündnis Sahra Wagenknecht
Ein Bestsellerautor will in den Bundestag
Proteste bei Nan Goldin
Logiken des Boykotts
Nan Goldin in Neuer Nationalgalerie
Claudia Roth entsetzt über Proteste
Israelische Drohnen in Gaza
Testlabor des Grauens
Bundeskongress der Jusos
Was Scholz von Esken lernen kann