Merkels Abschiedsbesuch in Moskau: Paroli bieten, aber freundlich

Bei ihrem wohl letzten Treffen mit Russlands Präsidenten Putin verteidigt Kanzlerin Merkel die Werte der Freiheit. Und hinterlässt in Moskau eine Lücke.

Kanzlerin Merkel und Präsident Putin.

Ein letztes Mal im Kreml: Kanzlerin Angela Merkel mit Russlands Präsident Putin am Freitag Foto: Alexander Zemlianichenko/REUTERS

Moskau taz | Ergriffen steht sie da, das Ewige Feuer brennt, die deutsche Hymne ertönt. Der Abschied Angela Merkels beim russischen Präsidenten Wladimir Putin an diesem Freitag beginnt mit einem Kranz. Behutsam legen die Wachposten diesen am Grab des Unbekannten Soldaten im Moskauer Alexandergarten nieder, als Erinnerung daran, dass Nazi-Deutschland vor 80 Jahren die Sowjetunion überfallen hat. Bei den Russen kommt diese leise Geste Merkels gut an, spielt doch der Zweite Weltkrieg, Vaterländischer Krieg nennen sie ihn, eine identitätsstiftendes Rolle im Land.

Im Alexandersaal des Kremls geht es nach mehr als dreistündigen Gesprächen, trotz aller „tiefgreifenden Differenzen“, wie Merkel zuvor betont hatte, weiter. Für gewöhnlich werden in diesem Saal Empfänge gegeben, die neuen Bot­schaf­te­r*in­nen begrüßt, hier tagt der russische Staatsrat.

Für Pressekonferenzen ist dieser Saal nicht vorgesehen. Doch er bietet einiges an Platz. Und er hält die Journalist*innen, die zuvor neben einem Impfnachweis drei PCR-Tests vorweisen mussten, auf Distanz zum Kremlherrscher, der sich aus Angst vor dem Coronavirus mehrere Monate lang selbst gegen seine Mit­ar­bei­te­r*in­nen abgeschottet hatte.

Beide bezeichnen die Gespräche als „konstruktiv“, ihr Fokus jedoch ist unterschiedlich. Während Putin als erstes erwähnt, wie „unproduktiv“ es gewesen sei, in Afghanistan „sozialpolitische Experimente“ zu machen und von „außen auferlegte Werte“ aufzwingen zu wollen, spricht Merkel sofort das Schicksal des inhaftierten russischen Oppositionspolitikers Alexei Nawalny an.

Volle Teilhabe am politischen Leben

Sie sagt, sie habe Russland aufgefordert, den 45-Jährigen freizulassen. Ihr Abschiedsbesuch fällt mit dem Jahrestag der Vergiftung Nawalnys zusammen. Putin bezeichnet diesen weiterhin verächtlich als „Figuranten“, der kriminelle Handlungen begangen habe und diese unter einem politischen Deckmantel verstecke. „Respektieren Sie die Entscheidungen unserer Justiz“, sagt er und attestiert seinem Land volle Teilhabe am politischen Leben für jedermann.

Merkel geht immer wieder, wenn auch freundlich, dazwischen, und weist auf die Unterschiede der politischen Systeme beider Länder hin. Sie weiß, sie braucht Russland.

In Afghanistan, damit Moskau hilft, bei der Rettung afghanischer Ortskräfte zu unterstützen. Damit die Ukraine nach der geplanten Inbetriebnahme von Nord Stream 2 nicht vom Gastransfer und somit von Geldströmen abgeschnitten wird. Am Sonntag trifft die Bundeskanzlerin den ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selensky in Kiew. „Wirken Sie auf die ukrainische Seite ein, damit die Abmachungen des Minsker Abkommens eingehalten werden“, fordert Putin.

Der Ton im Kreml ist distanziert-freundlich. Der „Willkommensgruß“ im Vorfeld war es nicht. Da hatte das russische Außenministerium in feindseliger Rhetorik noch einmal nachgelegt, worin es die Schuld der Deutschen sieht: Berlin wolle Russland kleinhalten, deshalb inszeniere es solche künstlichen Aufreger wie den „Fall A. Nawalny“, schrieb das Ministerium gehässig.

Der Westen ist schuld

Das Statement untermauert das Verhalten Moskaus in den vergangenen Jahren: laut schreien und alles von sich weisen. Sich selbst zu hinterfragen kommt dabei nicht in Frage. Schuld ist in den Augen Moskaus immer der Westen. Dialogbereitschaft? Ja, aber nur nach den Spielregeln des Kremls.

Russland hält sich für eine Großmacht mit globalen Interessen und will mit allen Mitteln, dass alle anderen das auch so sehen. Wie die Reaktionen dieser anderen auf die eigenen, teils schamlosen, gewaltsamen, selbst völkerrechtswidrigen Einsätze ausfallen, darauf legen die Russen fast schon demonstrativ kaum Wert und geben gern und schnell den Beleidigten.

Es ist ein Kampf um Aufmerksamkeit, mit Instrumenten, die gerade Europa vor den Kopf stoßen. Russlands Haltung „Wir wissen es besser, können es besser und machen es besser“ hat den Umgang mit dem Staat immer schwieriger gemacht. Aus Ratlosigkeit resignieren viele.

Merkel hat nie resigniert. Gegenüber Putin hat sie stets ein gesundes Misstrauen gepflegt, trotz ihrer biografisch bedingten Verbundenheit mit Russland. Das Ende ihrer Kanzlerschaft wird eine Lücke reißen – für Europa und Russland zugleich.

Direkter Draht

Moskau hat in Merkel nicht nur eine unprätentiöse Pragmatikerin gesehen, sondern als direkten und wichtigen Draht nach Brüssel. Es dürfte den Kreml schmerzen, dass eine solche Möglichkeit bald fehlen wird. Denn trotz all des propagandistisch ausgeschlachteten Spotts in Richtung Brüssel, braucht und sucht Moskau seine Nähe. Eben weil es sich europäisch fühlt.

Wer ihre Rolle einnehmen kann, ist ungewiss. Frankreichs Präsident Emmanuel Macron, der immer mal wieder Moskau zu imponieren versuchte und sich Putin zuweilen geradezu anbiederte, hat in den Augen der Russen nicht das Format. Schmeichelei ist dem Kreml ohnehin zuwider. Und unabhängig davon, wer Merkel im Kanzleramt folgen wird: Er oder sie dürfte sich auf einen harten Test mit Putin einstellen. Putin wird diesen genüsslich auskosten.

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