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Mord an MenschenrechtlerinKeine Gerechtigkeit

Kommentar von Barbara Oertel

Der Mord an der Menschenrechtlerin Estemirowa bleibt unaufgeklärt, weil der EuGH nicht alle Ermittlungsakten erhalten hatte. Das hat in Russland Methode.

Die Beerdigung von Natalja Estemirowa im Jahr 2009 in Grozny Foto: Musa Sadulayev/ap

F rüher oder später werde die Wahrheit über dieses Verbrechen ans Licht kommen, heißt es in einer Erklärung der russischen Menschenrechtsorganisation Memorial vom vergangenen Juli. Gemeint war der bestialische Mord an der tschetschenischen Menschenrechtlerin und Journalistin Natalja Estemirowa, die 2009 in Inguschetien tot aufgefunden worden war und an die sich heute nur noch wenige erinnern.

Leider konnte auch der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) in diesem Fall nicht wirklich zur Wahrheitsfindung beitragen. Eine Beteiligung russischer Geheimdienste an der Tat sei nicht nachweisbar, heißt es in einem Urteil vom Dienstag, da Moskau dem Gericht nicht die vollständigen Ermittlungsakten zur Verfügung gestellt habe.

Das hat in Russland Methode. Erinnert sei nur an den Mord an den Georgier Selimchan Changoschwili im Berliner Bezirk Tiergarten 2019 oder den vergifteten Kremlkritiker Alexei Nawalny. Auch hier war Moskau bei der Herausgabe von Akten eher zurückhaltend. Diese Liste ließe sich problemlos verlängern. Aber auch noch andere Parallelen drängen sich auf: Die Organisation Memorial, für die auch Estemirowa arbeitete, ist heute als ausländischer Agent gelistet und damit quasi auch offiziell zum Abschuss freigegeben.

Ein Blick auf oppositionelle russische Webseiten genügt, um festzustellen, dass genau das geschieht. Was seine Kri­ti­ke­r*in­nen angeht, verfährt der Kreml nach dem Motto „Tabula rasa“ und das besonders jetzt, nur wenige Wochen vor den Duma-Wahlen. Auch Ramsan Kadyrow, seit 2007 Präsident und Statthalter Putins in Tschetschenien, wütet in der Nordkaukasusrepublik mit seinen gefürchteten Sicherheitstruppen wie eh und je, nur das praktischerweise kaum noch jemand hinsieht.

Immerhin: Der Klägerin und Schwester der Ermordeten hat der EGMR eine Entschädigung in Höhe von 20.000 Euro zugesprochen. Ein bitterer Trost für den Verlust ihrer Schwester und ausbleibende Gerechtigkeit.

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Ressortleiterin Ausland
Geboren 1964, ist seit 1995 Osteuropa-Redakteurin der taz und seit 2011 eine der beiden Chefs der Auslandsredaktion. Sie hat Slawistik und Politikwissenschaft in Hamburg, Paris und St. Petersburg sowie Medien und interkulturelle Kommunikation in Frankfurt/Oder und Sofia studiert. Sie schreibt hin und wieder für das Journal von amnesty international. Bislang meidet sie Facebook und Twitter und weiß auch warum.
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2 Kommentare

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  • 8G
    83379 (Profil gelöscht)

    Die Liste der Menschenrechtler und Regimekritiker die ermordet wurden ist sehr lang, die Schuld Russlands anzunehmen, andernfalls lässt sich der Unwille bei der Aufklärung zu helfen nicht erklären. Aber im Westen werde sich immer jene finden die Putin und sein korruptes Reich verteidigen werden, weil sie selber von einer solchen klerikal-nationalistischem Regime hier träumen oder von ihrem Hass auf den Westen geblendet sind weiß ich nicht.

    • @83379 (Profil gelöscht):

      Eventuell muss man aber auch sagen, dass dies bei anderen "westlichen Staaten" ja ähnlich ist. Der internationale Gerichtshof wird schon gar nichts erst aktiv.

      Somit klar das Russland da blockt und die gehören bestraft wenn es nachgewiesen wird. Aber da nehmen sich alle Länder nicht viel.



      Ich erinnere nur an die Bombardierung in Afghanistan durch die Bundeswehr. Wo das Verfahren in D auch direkt abgelehnt wurde.