Merkel und der Griechenland-Konflikt: Ist die Kanzlerin unverwundbar?
Angela Merkel ist bereit, ein drittes Hilfspaket für Athen durchzupeitschen. Die Opposition wirft ihr vor, nur den Banken und nicht den Bürgern zu helfen.
Wohlgemerkt: Die sich überstürzenden politischen Ereignisse sind alarmierend. Seit Griechenlands Regierungschef Alexis Tsipras erklärt hat, seine BürgerInnen über das für ihn unannehmbare Angebot der Gläubiger abstimmen lassen zu wollen, wirkt Angela Merkel ratlos. Diese Ratlosigkeit wurde nicht kleiner, seit in der Nacht zum Mittwoch Griechenland in Zahlungsverzug geraten ist und damit kein Angebot mehr vorliegt, über das die Griechen tatsächlich abstimmen könnten.
Ratlosigkeit ist eine Verfassung, in der man die Regierungschefin bislang nicht kannte. Bis am Sonntag Ergebnisse aus Athen kommen, läuft im Hintergrund die Krisendiplomatie auf Hochtouren. Angela Merkel muss derweil schauen, dass sie die Große Koalition auf all die Schmerzen einstimmt, die noch auf sie zukommen.
Das tut sie, indem sie am Mittwoch im Bundestag spricht. Aber auch, indem sie, wie am Montag, im Kanzleramt gemeinsam mit Sigmar Gabriel vor die Presse tritt und auf diese Weise den Koalitionspartner in Mithaftung nimmt. Außerdem, indem sie die Fraktionen im Bundestag aufsucht und ihnen die vertrackte Lage erläutert.
Einen Plan, den sie präsentieren könnte, hat sie offensichtlich nicht. So viel ist klar: Griechenland soll unbedingt im Euro gehalten werden, die Ansteckungsgefahr eines Grexits für den gesamten Euroraum wäre immens. Eine Währungskrise ist die Griechenlandkrise schon jetzt; an den Börsen ist das Klima vergiftet.
„Das ist der Super-GAU für Angela Merkel“, sagt Frank Schäffler. Bis 2013 saß er als FDP-Abgeordneter im Bundestag. Wegen seiner scharfen Kritik am Euro-Hilfspaket kam Schäffler 2010 als „Euro-Rebell“ zu einiger Berühmtheit. Die mit der FDP regierende Union war Widerspruch vom Koalitionspartner einfach nicht gewöhnt. 2012 zwang Schäffler seiner FDP eine Mitgliederbefragung auf. Er nervte erfolgreich.
Heute leitet Frank Schäffler eine eurokritische Denkfabrik. Auf die Frage, wie es sich anfühlt, letztlich wohl recht behalten zu haben, antwortet der 46-Jährige: „Ja, ich habe sicher recht gehabt. Aber in dieser Dramatik habe ich das damals auch noch nicht gesehen.“ Dennoch glaubt er nicht, dass die von ihm damals kritisierte Merkel Schaden nehmen wird. Gut möglich, dass sie die Krise der SPD aufzubürden versucht, um sich selbst als pragmatische Verhandlerin darstellen zu können. Frank Schäffler ist überzeugt: „Sie kommt in Deutschland gut aus der Geschichte raus. Sie gilt als Macherin.“
Abweichler sind nicht ihr Problem
Angela Merkels Mantra ist seit Tagen dasselbe: „Solidarität und Eigenverantwortung.“ Die Bundesregierung sei solidarisch, soll das heißen, aber nicht bedingungslos. Merkels zigmal wiederholte Botschaft richtet sich an Athen. Hier, am Mittwoch im Bundestag, muss sie ihre Fraktion und den Koalitionspartner nicht wirklich davon überzeugen, dass die Sache noch nicht ausgestanden ist. In ihrer Rede sagt sie: „Wir warten jetzt das Referendum ab. Davor kann kein neues Hilfsprogramm verhandelt werden.“
Damit ist es amtlich: Merkel ist bereit, ein „neues“, ein drittes Griechenland-Hilfspaket durchzupeitschen. Die Abweichler aus den eigenen Reihen, von denen es Dutzende gäbe, sind dabei nicht ihr Problem. Aber ihre WählerInnen könnten es werden.
In zwei Jahren sind Bundestagswahlen. Dass Merkel erneut kandidiert, ist äußerst wahrscheinlich. Mit allen Mitteln gilt es deshalb zu verhindern, dass die BürgerInnen 2017 das Scheitern des Euro – womöglich gar spürbare finanzielle Einschnitte – mit der CDU verbinden. Auch deshalb gibt sie im Bundestag die Losung aus: „Europa ist robuster geworden.“ Es wächst also gar an seinen Krisen. In seiner Rede springt ihr der SPD-Vizekanzler bei. „Solidarität meinte nie Kumpanei“, sagt Sigmar Gabriel, „sondern verantwortungsbewusstes Handeln für sich und andere.“ Da ist er wieder, der Finger, der Richtung Athen zeigt.
Eurokritische FDP
Widerspruch dazu kommt aus der FDP. Die Liberalen, beim letzten CDU-Parteitag von der Kanzlerin als „natürlicher Koalitionspartner“ gelobt, muskeln sich nun als Eurokritiker auf. Merkel, sagt FDP-Generalsekretärin Nicola Beer der taz, habe zu lange auf Tsipras‘ Einlenken gesetzt. „Deshalb ist sie für das Chaos mitverantwortlich. Nicht nur Europa droht der große Knall, sondern auch der Großen Koalition.“ Gut möglich, dass die FDP gerade wegen dieser euro- und Merkel-kritischen Haltung wieder Zulauf erhält.
Ist Merkel unverwundbar? Momentan scheint sie als unhysterische Kümmerin nicht einmal beschädigt. Es ist zu spüren, dass sie mit ihrer Entscheidung gegen weitere Gespräche mit Athen mit sich im Reinen ist. Selbst in diesen Hardcore-Tagen soll sie gut schlafen können. In der Hochphase der Ukrainekrise wirkte sie angegriffener als jetzt.
Merkel beschädigt? Lutz Meyer winkt ab. Der PR-Mann, der 2013 ihren Bundestagswahlkampf gemanagt hat, sagt, wer das behaupte, solle doch mal erklären, warum. „Der Euro bleibt, Europa scheitert nicht, und Deutschland steht für das Prinzip von seriöser Haushaltsführung.“ Vielleicht hätte Griechenland nie in die Eurogruppe aufgenommen werden sollen. „Aber das hat die Regierung Schröder entschieden, nicht Frau Merkel.“
Harte Attacken von Gysi
Am Mittwoch im Bundestag gibt es schließlich doch noch Schuldzuweisungen. Gregor Gysi, Fraktionschef der Linken, attackiert die Kanzlerin hart. „Die Art, wie Sie sich beweihräuchern, ist völlig daneben“, ruft er Merkel zu. Die Rettungspakete der Troika hätten nur den griechischen Banken geholfen, nicht den Bürgern. „Suppenküchen über Suppenküchen – ist das Ihre Vorstellung von Europa? Sie tragen dafür eine gewaltige Mitschuld.“
Letztlich gehe es Merkel um die Zerstörung der linken Regierung in Athen. Der wütende Protest aus den Reihen der Union folgte prompt. Diese Fraktion, das war deutlich zu sehen und zu hören, wird Merkel überallhin folgen.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Utøya-Attentäter vor Gericht
Breivik beantragt Entlassung
Warnung vor „bestimmten Quartieren“
Eine alarmistische Debatte in Berlin
Umgang mit der AfD
Sollen wir AfD-Stimmen im Blatt wiedergeben?
Böllerverbot für Mensch und Tier
Verbände gegen KrachZischBumm
Entlassene grüne Ministerin Nonnemacher
„Die Eskalation zeichnete sich ab“
Repression gegen die linke Szene
Angst als politisches Kalkül