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Menschenrechtsverletzungen in VietnamDeutsche Kritik an hartem Urteil

Die Verlängerung der Haftstrafe des Landrechtsaktivisten Trinh Ba Phuong löst Kritik des deutschen Menschenrechtsbeauftragen Lars Castelucci aus.

Hanoi, 24. April 2012: Polizeieinsatz während eines Protests von Bauern gegen die Landnahme für das Luxusresort Ecopark Foto: reuters

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Marina Mai aus Berlin

taz | Der Menschenrechtsbeauftragte der Bundesregierung, Lars Castellucci (SPD), hat die Verurteilung des vietnamesischen Landrechtsaktivisten Trinh Ba Phuong zu weiteren 11 Jahren Haft kritisiert. Das werfe „ein düsteres Licht auf die Menschenrechtslage in Vietnam. Das Urteil verletzt das Recht auf Meinungsfreiheit“, schrieb er in einer Erklärung. Die postete die deutsche Botschaft in Hanoi auf Facebook, dem populärsten Informationsmedium Vietnams.

Castellucci fordert Hanoi auf, den „internationalen Verpflichtungen zum Schutz der Menschenrechte nachzukommen und das Urteil gegen Phuong zu überprüfen.“ Er schließt sich damit Forderungen von Menschenrechtsorganisationen wie Amnesty International und Human Rights Watch an.

Der 40-jährige Phuong kämpft gemeinsam mit seiner Mutter und seinem Bruder für Landrechte, seit der Familie 2008 ihr Landnutzungrecht entzogen wurde. In Vietnam gibt es keinen privaten Landbesitz, vielmehr verpachtet der Staat langjährige Nutzungsrechte. Diese können aber gegen eine geringe Entschädigung für Investitionsprojekte der Regierung oder privater Firmen, die mit der Regierung eng verbunden sind, entzogen werden, was immer wieder zu massiven Konflikten führt.

Phuongs Familie nahm an Protesten teil und nutzte dabei soziale Medien, um öffentlich den Entzug ihrer Landnutzungsrechte zu kritisieren und Bauern zu unterstützen, die auch ihr Land verloren hatten. Die Familie streamt 2021 eine gewaltsame Landnahme durch die Polizei live im Internet, was in Vietnam viel Aufsehen erregte.

Vorwurf „staatsfeindlicher Propaganda“

Familienangehörige waren seit 2014 immer wieder in Haft, die Mutter zwei Jahre lang, die Brüder kurzfristig. Sie standen ein Jahr unter Hausarrest. 2021 wurden Phuong, seine Mutter und sein Bruder wegen „staatsfeindlicher Propaganda“ zu Gefängnisstrafen verurteilt. Er selbst wurde für zehn Jahren Haft und anschließendem Hausarrest verurteilt, Mutter und Bruder zu acht Jahren Haft.

Im November 2024 trat der gefangene Phuong in einen Hungerstreik, nachdem Wärter seine Bücher, Papiere und Stifte beschlagnahmt hatten. Er hatte bereits 2023 gegen seine Behandlung protestiert. Darauf wurde er zehn Tage lang gefesselt in Einzelhaft gehalten. Auch in Freiheit lebende Familienmitglieder werden nach eigenen Angaben von Behörden schikaniert und überwacht. Die aktuelle Verurteilung Phuongs im zentralvietnamesischen Danang erfolgte wegen derselben „Straftat“.

Das vietnamesischsprachige Facebook-Posting mit der Kritik des deutschen Menschenrechtsbeauftragten auf der Botschaftsseite in Hanoi wurde inzwischen 83 Mal geteilt und 2.690 Mal kommentiert. Die meisten Kommentare kritisieren die Äußerung des Menschenrechtsbeauftragen allerdings als Einmischung in Vietnams innere Angelegenheiten und in das vietnamesische Recht.

Diese Kritik allerdings nur der nach offiziellen vietnamesischen Angaben 10.000 Mann starken „Internetarmee“ zuzuschreiben greift zu kurz. Der Nationalstolz ist in Vietnam weit verbreitet. Auch wird die deutsche Politik im Hinblick auf Israels Krieg in Gaza immer wieder als Beispiel angefügt, dass die Bundesregierung zu anderen Menschenrechtsverletzungen schweigen würde. Eine offizielle Reaktion auf Castelluccis Kritik gab es bisher nicht.

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5 Kommentare

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  • "Auch wird die deutsche Politik im Hinblick auf Israels Krieg in Gaza immer wieder als Beispiel angefügt, dass die Bundesregierung zu anderen Menschenrechtsverletzungen schweigen würde."

    Eine unangenehme Wahrheit für Deutschland, die man hier auch nicht hören mag.

    • @Thomas Müller:

      Und es stimmt vor allem überhaupt nicht - weil sich ja die Frage stellt, was die "deutsche Politik" überhaupt ist.



      Gehört die Linke dazu, die Grünen (und ihr jeweils individuelles Personal)?



      Ja, ganz sicher.



      Deutsche Politik im Sinne von vietnamesischem Kommu-Einheitsbrei gibt es schlicht nicht.



      Deutsche Politik hat viele Köpfe und viele Zungen - ich glaube, genau das nennt man Demokratie.



      Soweit ich mich erinnere gibt es auch von Seiten der deutschen Regierung deutliche Kritik an der Regierung Netanjahu.

  • So ist es, wenn es kein echtes Recht auf Privateigentum an Grund und Boden gibt. Das schwebt manchen als Idee ja auch für Deutschland vor. Das kommt dabei raus, noch mehr Möglichkeiten für Willkür und Korruption. Immer schön Teegeld bezahlen sonst steht man plötzlich vor dem Nichts.

    • @ZTUC:

      Aber genau, dann muss man auf diese Art der Politik in Vietnam genauer hinsehen.

      Eine Umsetzung, dass keinem Landrechte gehören sollen, wäre ein natürlicher Umgang mit Ressourcen.

      Das was in Vietnam praktiziert wird, verlässt die Grundregeln von demokratischen Einfluss der Gesellschaft. Das ist schlicht eine Autoritäre Haltung. Bürgernähe die man nicht möchte.

      Deutschland, hätte in dem Fall, dass Erntefelder zu Industrieparks umwidmen müssen und auch hier wären durchaus höhere Hürden parat.

      Deswegen ist Bürokratie in Deutschland vielleicht zäh, aber nicht ganz verkehrt.

      - Und bei dieser Willkür, ist man froh eine rechtskräftige Entscheidung anzuzweifeln Widerspruch einzulegen und auch vor Gericht prüfen zu lassen.



      Das nennt man eben Rechtsordnung im Rechtsstaat.



      Da gibt es bei richtiger Anwendung, kein "Teegeld"! Sondern ein letztes Wort evtl. nach Revision.

  • Dass Vietnam auf das Schweigen Deutschlands zu Gaza verweist, ist rhetorisch geschickt und verweist auf Doppelstandards.



    Deutschland beansprucht universelle Werte, wendet sie aber selektiv an, abhängig von politischen und wirtschaftlichen Interessen.

    Die Aussage der Menschenrechtsbeauftragten zu Gaza:



    „Wir müssen in Europa stärker werden, um in der Durchsetzung unserer Werte nicht abhängig von anderen zu sein“ verrät einen instrumentellen Umgang mit Werten.



    Als Werkzeug geopolitischer Einflussnahme und nicht als unbedingter ethischer Imperativ.



    Und so gerät das Leid des vietnamesischen Bauern en passant unter die bundesrepublikanischen Menschenrechtsräder.