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Meme über KopfbedeckungenCute oder gefährlich?

Weiße Frauen tragen stolz Balaclava, während Hijabs problematisiert werden. Ist Coolness nur die ästhetisierte Version von Privileg?

Balaclava tragen, ohne Angst vor Diskriminierung zu haben, ist ein Privileg Foto: Jeremy Moeller/getty images

Kaltes Wetter hat auch etwas Gutes, zum Beispiel süße Outfits. Hoch im Kurs ist aktuell das Balaclava. Nein, nicht die vor Honig triefende Süßigkeit. Das Balaclava ist eine Art Neuinterpretation der Sturmhaube, eine Mischung aus Kapuze und Schal.

Tiktok zeigt, wie man es am besten trägt: locker, Haaransatz sichtbar, zwei Locken dürfen das Gesicht umrahmen. Ursprünglich stammt das Kleidungsstück aus dem Krimkrieg (1853–1856), als britische Soldaten sich damit vor Kälte schützten. In den 2000er Jahren wurde es zum aktivistischen Symbol – man denke nur mal an Pussy Riot.

Mittlerweile ist es ein Staple Piece geworden, jede Marke produziert ihre eigene Variante davon. Aber deswegen ist es nicht weniger politisch. Während sich viele über Stylingtipps austauschen, gibt es auch Stimmen, die eine Frage in den Raum stellen: Worin unterscheidet sich das Balaclava eigentlich vom Kopftuch? Und wieso wirkt Balaclava süß und trendy, aber Hijab problematisch?

Balaclava tragen, ohne Angst vor Diskriminierung zu haben, ist ein Privileg, sagen einige Creator*innen. Und falls es doch einmal zu unangenehmen Situationen kommen sollte, zieht man das Ding einfach schnell wieder aus. Spätestens, sobald es wieder wärmer wird. Der Hijab bleibt.

Parallel dazu läuft eine Diskussion zu Sprache. Auch hier geht es um Privilegien. Das Wort „Tamam“ oder in Chat „tmm“ geschrieben, kommt ursprünglich aus dem Arabischen und Türkischen, ist aber schon längst auch in der deutschen Jugendsprache zu Hause. Meistens wird es als Zustimmung wie „okay“ oder „in Ordnung“ verwendet.

In den vergangenen Wochen hat das Wort besonders auf Social Media Konjunktur. Scheinbar als Gegenbewegung zu „d’accord“. Denn während das französische Wort gebildet und vornehm wirkt, wird „tamam“ belächelt und als Kanak Sprak abgetan.

Stigmatisierung statt Mode

Nun stellt sich wieder einmal die Frage: Wer darf eigentlich was sagen? Ist es solidarisch, wenn weiße Menschen das Wort nutzen und dadurch normalisieren? Oder ist es eine oberflächliche Aneignung, von der nur jene profitieren, die nicht Gefahr laufen, rassifiziert und diskriminiert zu werden?

Es sind zwei Symptome desselben Problems: Antimuslimischer Rassismus ist immer noch omnipräsent. Und der Umgang damit erfordert eine intersektionale Perspektive. In beiden Fällen. Weiße Frauen mit Balaclava gelten als harmlos, während Hijabis oft des Islamismus verdächtigt werden.

Kindern, die mit Englisch oder Französisch aufwachsen, wird Intelligenz zugeschrieben, dagegen bekommen Kinder, die in einem türkischen oder arabischen Elternhaus mehrsprachig aufwachsen, meist etwas aus dem „In Deutschland spricht man Deutsch“-Spektrum zu hören. Alles nicht neu, aber auch nach wie vor nicht gelöst.

Das Gute ist: Das Netz diskutiert darüber, dass cool oft mit privilegiert zusammenhängt und dass, im Gegensatz dazu, Markierung in Stigmatisierung endet. Ob die Diskussionen in ein konstruktives Umdenken führen wird oder nur zu Kommentar-Schlachten werden wir sehen.

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7 Kommentare

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  • In den 60er/70er Jahren hieß sowas Strickmütze und wurde im Winter allgemein getragen, vom Kind bis zu hin zu den Alten, weiblich wie männlich. Heutzutage scheint das ein Problem zu sein.

    Naja.

  • Gegen Wind und Kälte eine praktische und gleichzeitig hübsche Kombination aus Schal und Mütze zu tragen, ist völlig ok. Kann man von mir aus auch Balaclava nennen.



    Der Hijab ist ein Zeichen der Unterdrückung von Frauen unter dem Deckmantel der Religion. Wer sowas trägt, verstärkt den sozialen Druck auf andere Mädchen, sich an die entsprechenden Vorschriften und Erwartungen ihrer Familien und ihres Milieus anzupassen und sich den strengen Reglementierungen für Frauen zu unterwerfen.



    Die deutsche Regierung hat die Protestierenden im Iran nicht unterstützt. Mir ist bis heute nicht klar, was feministische Außenpolitik sein soll. Den Frauen im Iran in den Rücken zu fallen, indem man hier leichtfertig ein Kopftuch trägt, ist definitiv nicht cool.

  • Was nicht auf einmal alles ein Privileg ist... Man schaue mal nach, was das Wort eigentlich bedeutet: Ein Vorrecht. Hier haben aber alle dieselben Rechte, siehe GG.

    • @PeterArt:

      Leider ist der von ihnen verwendete Indikativ tatsächlich wünschenswert aber leider realitätsfern. Konjunktiv wäre richtiger. "Hier sollten alle dieselben Rechte haben." Haben sie aber nicht. Versuchen sie mal in Bayern als gläubige Muslima eine Anstellung als Lehrerin zu bekommen, trotz Art. 4 GG und einem 10 Jahre alten Urteil des Bundesverfassungsgerichts (1 BvR 471/10, 1 BvR 1181/10) undenkbar.



      Sicherlich erinnern sie sich auch noch an die Rede unseres BK das Stadtbild betreffend. Genau dieses Geblubbere sorgt für eine "jetzt erst recht" Haltung und es wird noch intensiver auf Mädchen eingewirkt ein Kopftuch zu tragen. Dabei wollen die meisten doch nur sein, wie all ihre Klassenkameradinnen. Wo ist also bitteschön deren Grundrecht sich frei entfalten zu dürfen? (Art. 2 GG)



      Papier ist geduldig und unser GG steht leider nur auf Papier, nicht in unseren Köpfen und auch nicht im Kopf unseres BK, sonst hätte er sich den Spruch vom Stadtbild verkniffen.



      Ja, im Konjunktiv stimme ich ihnen zu, alle sollten die gleichen Rechte haben! "SOLLTEN!"

  • Interessant, das tragen einer Kopfbedeckung von der Jahreszeit abhängig zu machen, wie in einem vorausgegangenen Kommentar.



    Machen wir uns nichts vor, Trägerinnen einer Kopfbedeckung fallen uns dann unangenehm auf, wenn sie keine europäische Hautfarbe haben. Ob das dann eine Balaklava oder ein Hijab ist, spielt keine Rolle. Es ist einfach nur rassistisch.



    Meine Großmutter, streng katholisch und sie möge in Frieden ruhen, trug tagaus tagein, Sommer wie Winter, ein Kopftuch. Niemals wäre irgendjemand darauf gekommen sie deshalb anzufeinden.



    Wir messen mit zweierlei Maß und haben schon lange vergessen welche Traditionen unsere Vorfahren pflegten. Wir sollten uns besser schämen, statt zu erheben.

  • "Nun stellt sich wieder einmal die Frage: Wer darf eigentlich was sagen?"

    Muss das wirklich sein? Muss jede Debatte, die vielleicht nützlich zum Vermitteln von Perspektiven sein könnte, umgehend auf die Frage heruntergebrochen werden, wer was sagen [oder anziehen] darf?

  • Wenn man die Wikipedia befragt, bekommt man bei Eingabe von "Balaklava" eine Weiterleitung zu "Sturmhaube". Dort wird als Beispiel für die Verwendung als Modeartikel ein bunte Sturmhaube der Wintermode 2018/19(!) gezeigt, inklusive der im Text oben beschriebenen Tragemöglichkeiten. Also ein neuer Trend ist das nicht, aber das nur am Rand.



    Der Unterschied zu einem (oder einer?) "Hijab" ist der: Eine Balaklava (oder welche Bezeichnung auch immer) wird als Winterbekleidung getragen (abgesehen von schwarzen Versionen im Fall der Absicht, eine Straftat zu begehen oder (bunt) definiert als Symbol polit. Widerstandes (Push Rot)). Sie ist also im Normalgebrauch ein Bekleidungsstück (auch beruflich) für den Winter, nichts sonst.



    Ein "Hijab" wird aber entweder als religiöses oder politisches Symbol wahrgenommen, sei es, dass sich eine Frau damit zum Islam bekennt, sei es als Symbol der Frauenunterdrückung durch die Religion (und ihrer männlichen Repräsentanten), sei es zum Zeichen der Unterstützung sog. "antikolonialer" Bewegungen im arabisch-islamischen Raum. Eher unwahrscheinlich, dass eine Frau im Sommer bei 30 Grad C. einen (womöglich schwarzen) Hijab als Modeartikel/Kleidung trägt.