Mein Probetag als Bäckereiverkäufer: In der Brötchenhölle
Ich wollte einen einfachen Job ohne viel Kopfarbeit. Also heuerte ich in einer Hamburger Bäckerei an – und war komplett überfordert.
W eil ich dringend Geld brauchte, musste ich mir 2019 einen Zweitjob suchen. Der Journalismus erfordert viel Denkarbeit und ließ meinen Blutdruck täglich steigen. Also wollte ich einen Job, bei dem ich nicht viel nachdenken musste. Schnell fand ich einen Minijob in einer Bäckerei in einem Schickimicki-Stadtteil. Mein Deutsch war noch nicht gut und ich war schüchtern, aber ich wollte schnell arbeiten, also vereinbarten wir einen Probetag.
Dieser Tag war die Hölle. Ich fand mich unvorbereitet in einer Welt von Brot und Brötchen wieder, die ich nicht kannte. Mohn, Dinkel, Kürbis … die Liste hörte nicht auf. Dann kamen noch die belegten Brötchen dazu. Und die süßen Sachen. Ich fragte mich zum ersten Mal, wer Kuchen mit Karotten kauft.
In Syrien, wo ich aufgewachsen bin, gibt es nur eine Sorte Brot und eine Sorte Brötchen. Das Brot, Khubz, ist das Grundnahrungsmittel und wird zu jeder Tageszeit gegessen. In jedem Stadtteil gibt es Bäckereien, die eigentlich nur Läden mit großen Öfen sind. Zu besonderen Anlässen gab es bei uns süßliche Milchbrötchen, Samun, die in kleineren Bäckereien teuer verkauft werden.
An meinem Probetag in der Hamburger Bäckerei sollte ich mir mehr oder weniger alles in einer halben Stunde merken und dann mit dem Verkaufen anfangen. Dabei ist es schon schwer für mich, mir fremdsprachige Namen zu merken. Ich habe ungefähr sechs Monate gebraucht, bis ich den Namen meines Kollegen „Sven“ richtig sagen konnte. Bei fast 300 deutschen Brot- und Brötchensorten hätte ich wohl 150 Jahre gebraucht, um das alles zu lernen.
Manche Kund*innen sprachen sehr leise. Wenn ich sie bat, ihre Bestellung zu wiederholen, wurden sie so laut, dass ich rot anlief und die gute deutsche Grammatik vergaß, besonders wenn viele Leute im Laden waren. Und das kam oft vor, denn die Bäckerei öffnete morgens früh und nach einer halben Stunde bildete sich eine Schlange. Damals verstand ich, dass die deutsche Kultur nicht nur christlich-jüdisch-humanistisch geprägt ist, sondern auch vom Brot. Und vom Schlangestehen.
Als ich nach Hause kam, war ich zu nichts mehr zu gebrauchen. Ich fiel in einen tiefen Schlaf, den ich brauchte, weil ich in zwei verschiedenen Welten lebte: einer als Minijobber und einer als Journalist. Dort wurde ich völlig unterschiedlich behandelt, obwohl ich den gleichen Namen trug und die gleiche Sprache sprach.
Ich will mich nicht beschweren. Ich kenne harte Arbeit, seit ich sechzehn Jahre alt bin. Während meiner Flucht musste ich Geld zum Überleben verdienen, ich arbeitete viele Stunden unter viel härteren Bedingungen. Der Unterschied ist, dass ich während meiner Zeit in der Bäckerei ein Gefühl der Peinlichkeit erlebt habe, das ich davor noch nicht kannte.
Dieses Gefühl wurde immer stärker, denn nur für kurze Zeit verziehen die Kund*innen meine schlechte Bedienung. Sie kamen mit der Erwartung, dass ihre Bestellungen schnell und perfekt ausgeführt wird, weil sie dafür bezahlten. Das kann ich gut verstehen. Aber als Kund*innen vergessen wir zu oft, dass die Beschäftigten auch Menschen sind.
Klar, die Kund*innen denken beim Bestellen nicht darüber nach, warum die Eigentümer der Bäckerei unerfahrene Leute wie mich einstellen, oder wie die Arbeitsbedingungen oder die Bezahlung sind. Es ergibt aus Unternehmenssicht nur kurzfristig wirtschaftlichen Sinn, Menschen wie mich einzustellen: Ich bekomme keine Ausbildung, keine umfangreiche Einarbeitung – aber alle Beteiligten wissen, dass ich nicht lange bleiben werde.
Dass ich von den Kund*innen als das Gesicht des Unternehmens wahrgenommen wurde, obwohl ich dort am wenigsten Einfluss hatte, habe ich erst Jahre später verstanden. Zwischen den Brötchenbestellungen in der Bäckerei blieb für solche Gedanken keine Sekunde.
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