Mehrere Tote im Libanon: Gewalt versetzt Beirut in Angst
Bei Schießereien in Beirut sind fünf Menschen getötet worden. Hintergrund ist ein Streit über die Ermittlungen zur Explosion im Hafen von Beirut.
Dieser ist für die Untersuchung der Explosion am Hafen von Beirut zuständig. Die Demonstrierenden wurden von bisher unidentifizierten Scharfschützen von Häuserdächern aus angegriffen. Auf Videos waren zudem Männer zu sehen, die mit Maschinengewehren durch die Straßen liefen und schossen.
Grund für die wohl parteipolitische geprägte Gewalt ist die juristische Aufarbeitung der Beiruter Explosion. Am 4. August 2020 war unsicher gelagertes Ammoniumnitrat im Hafen explodiert. Noch immer ist der genaue Hergang nicht aufgearbeitet worden. Kein hochrangiger Politiker wurde zur Verantwortung gezogen.
Dabei ist aus Berichten von ausländischen Journalist*innen und internationalen Untersuchungen bekannt, dass viele ranghohe Politiker über das unsicher gelagerte Ammoniumnitrat Bescheid wussten – sogar der damalige Regierungschef Hassan Diab und Präsident Michel Aoun.
Bitar hatte zuletzt zwei Ex-Minister zur Vernehmung vorgeladen. Daraufhin klagten diese und forderten seine Absetzung. Auf richterliche Anordnung hatte Bitar seine Ermittlungen am Dienstag vorläufig unterbrechen müssen, doch am Donnerstag entschied das Kassationsgericht, dass er weiterermitteln darf.
Hisbollah-Chef Hassan Nasrallah warf Bitar vor, voreingenommen zu sein. Andererseits verwehrt sich die Hisbollah, die Partei und Miliz in einem ist, einem internationalen Strafverfahren. Angehörige der Explosionsopfer haben Bitar öffentlich ihr Vertrauen ausgesprochen.
Ziad Saab (63), Friedensaktivist
Bitar ist nicht der erste mit dem Fall betraute Richter. Seinem Vorgänger, Fadi Sawan, wurde der Fall entzogen, nachdem Ex-Bauminister Ghazi Zeiter und der schiitische Ex-Finanzminister Ali Hasan Khalil gegen ihn klagten – dieselben Politiker, die auch Bitar zu Fall bringen wollten. Sie bezichtigten Sawan, nicht objektiv zu sein, da sein Haus bei der Explosion zerstört wurde.
Panik unter Stadtbewohner*innen
Die jüngste Gewalt kann als Ablenkungsmanöver gewertet werden. Dennoch sorgten die Schusswechsel für Aufruhr und Angst. Rund um den Verkehrskreisel Tayouneh und angrenzende Nachbarschaften mussten die Menschen zu Hause bleiben. Einige schlossen aus Angst Tür- und Fensterläden. Eltern kamen panisch an die Schulen, um ihre Kinder zu evakuieren, die zuvor in Fluren ausharren mussten. Lokale Medien berichteten, dass Bewohner*innen höherer Stockwerke in ihre Keller stiegen, um Schüssen von Scharfschützen zu entgehen.
Die Menschen werden an die Traumata des Bürgerkriegs (1975–1990), des Kriegs mit Israel (2006) oder an sektiererisch geprägte Straßenschlachten 2008 erinnert. Die Gefechte zwischen konfessionell verfeindeten Parteianhängern verliefen am Donnerstag entlang der Straße, die im Krieg einst das mehrheitlich christliche Ost- und muslimische Westbeirut trennte.
„Was heute passiert ist, ist die Folge dessen, was nach dem Bürgerkrieg passierte“, sagt Ziad Saab, Vorsitzender der Organisation Fighters for Peace. „Nach dem Krieg gab es keine Aufarbeitung. Es gab nur ein Amnestiegesetz, das alle Beteiligten von ihrer Schuld freisprach. Gleichzeitig fanden die ehemaligen Milizenführer Wege, ihre eigene Regierung zu errichten.“ Der 63-Jährige hat als Jugendlicher selbst im Krieg gekämpft, setzt sich heute aber für Aussöhnung ein.
Warum glauben junge Männer noch immer, straffrei schießen zu können? „Trauma kann von einer Generation zur nächsten transferiert werden“, erklärt Saab am Telefon. „Sie haben von der Gesellschaft und ihren Großeltern all die Informationen bekommen, sodass sie bereit sind, gewalttätig zu werden im Namen ihrer sektiererischen Religion.“
Der zweite Grund sei, dass sie keine Angst vor Konsequenzen hätten. „Sie denken, genug Macht zu haben, um nicht zur Rechenschaft gezogen zu werden. Einige Parteien glauben, sie stünden über dem Gesetz.“ Um dies zu ändern, brauche es einen neuen Gesellschaftsvertrag, glaubt Saab. Mitglieder der Gesellschaft müssten das Gemeinwohl im Blick haben, statt sich konfessionell geprägten Gruppen zu beugen.
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