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Mehr Schutz für unrentable KükenSchredderstop ist auch keine Lösung

Die Rettung für nicht benötigte Lebewesen – oder ein weiterer deutscher Alleingang? Seit einem Jahr dürfen männliche Haushuhn-Küken am Leben bleiben.

Das grüne darf leben, das rote nicht? Ein Straßenhändler in Bangladesch mit gefärbten Hühnerküken Foto: Rafayat Haque Khan/ZUMA Wire/dpa

Hamburg taz | Seit einem Jahr ist das Töten männlicher Küken in Deutschland verboten. Bis zur damaligen Änderung des Tierschutzgesetzes wurden männliche Küken der Gattung „Haushuhn“ üblicherweise vergast oder geschreddert. Denn sie legen weder Eier noch setzen sie viel Fleisch an – Tod wegen Unwirtschaftlichkeit. Das Verbot haben indes nicht nur Land­wir­t*in­nen kritisiert: Auch Ver­tre­te­r*in­nen des Tierschutzes äußerten sich dazu schon skeptisch. Dieser Tage wird eine erste Bilanz gezogen. Sterben durch die neue Rechtslage tatsächlich weniger Küken?

„Mitnichten“, sagt Carsten Bauck vom Bauckhof im niedersächsischen Klein-Süstedt. Er ist Mitbegründer der „Brudertier“-, ehemals „Bruderhahn“-Initiative. Bruderhähne werden die männlichen Küken genannt, von denen in Deutschland im Jahr 2019 rund 45 Millionen getötet wurden. Die Initiative gründete sich 2013 mit dem Vorhaben, das zu beenden. Durch einen Aufschlag von vier Cent pro Ei wird die vergleichsweise unwirtschaftliche Aufzucht der Hähne finanziert – eine der Alternativen zu Gaskammer und Schredder.

Eine weitere Möglichkeit ist laut Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft (BMEL), das Geschlecht der Küken noch vor dem Schlüpfen zu bestimmen: Männliche Küken sollen erst gar nicht ausgebrütet werden, die entsprechenden Eier verfüttert. Ein Verfahren zur Geschlechtsbestimmung ist ein Lichttest, bei dem die Eier nach drei Tagen Brutzeit durch ein kleines Loch in der Schale bestrahlt werden. Ein anderes Verfahren setzt auf einen Hormontest an Tag neun.

Bauck bezeichnet das als „grobe Täuschung“ der Ver­brau­che­r*in­nen – „weil wir das Tier so einfach in einem anderen Zustand töten“. Das Sterben werde so nicht verhindert. Es wird also nur vorverlegt – aber auch räumlich verlagert: Der Zentralverband der Deutschen Geflügelwirtschaft (ZDG) vermeldete im Juni 2022 per Pressemitteilung den „Exportschlager Kükentöten“. Nach Angaben des Verbands haben in Folge des Tötungsverbots zahlreiche Brütereien aufgegeben, von Januar bis März 2022 wurde demnach rund ein Drittel weniger Küken in Deutschland ausgebrütet als im Vergleichsquartal des Vorjahres. Deutsche Legehennen-Halter*innen seien dadurch auf den Import von Junghennen angewiesen – aus Herkunftsländern ohne Tötungsverbot.

Neben solchen Junghennen sind außerdem Eier aus dem Ausland gefragt: Die Deutsche Presseagentur berichtete dieser Tage über Mehrkosten von 2,5 Cent pro deutschem Ei und berief sich dabei auf Aussagen von Dietmar Tepe vom Verein für kontrollierte alternative Tierhaltungsformen. Insbesondere in verarbeiteten Produkten, sprich: Nudeln, aber etwa auch Backwaren, würden Eier aus Produktionen mit Kükentöten verwendet.

Verbands-Präsident warnt vor Alleingang

Aus Sicht des ZDG dringend erforderlich ist daher ein europaweites Verbot der Tötung männlicher Küken. Auf einer Pressekonferenz anlässlich der Grünen Woche in Berlin, der weltweit größten Agrarmesse, kritisierte Verbandspräsident Friedrich Otto Ripke, im Alltag auch niedersächsischer CDU-Politiker, am vergangenen Donnerstag den deutschen Alleingang. Der Tierhaltungsstandort Deutschland, so Ripke gar, stehe vor einer Zerschlagung durch die Politik. Dazu trage auch die bevorstehende Umsetzung weiterer Hühnerei-Verbote bei. So sollen ab Anfang 2024 Verfahren zur Geschlechtsbestimmung der Küken nur noch bis zum siebten Bruttag erlaubt sein. Die dann noch erlaubten Methoden, beispielsweise der Lichttest nach drei Bruttagen, bezeichnete Ripke als noch nicht marktreif. Damit verbliebe als einzige Option, um männliche Küken nicht zu töten, ihre Aufzucht. Das aber ist für Ripke keine sinnvolle Alternative, weder ökologisch noch ökonomisch.

Bei einem „Fachgespräch Legehenne“ sagte Karen Schemmann von der ausrichtenden Landwirtschaftskammer Niedersachsen im Mai vergangenen Jahres, die Aufzucht der Bruderhähne sei im Vergleich zu Mastzuchten sogar eine Umweltbelastung, da jene Tiere weniger schnell wüchsen und somit in der Summe mehr CO2 ausstießen.

Eine Ausdehnung des Kükentötungsverbots fordert Öko-Landwirt Bauck, dessen „Brudertier“-Initiative rund 30.000 Hähne pro Jahr aufzieht: „Wir müssen unbedingt vermeiden“, sagt er, „den in Deutschland besseren Zuständen zugunsten von günstiger Tierhaltung im Ausland den Garaus zu machen.“ Dass die Politik überhaupt Schritte hin zu mehr Tierwohl geht, findet er gut.

Wie auch seine konventionell arbeitenden Kol­le­g*in­nen appelliert Bauck für mehr Transparenz und eine Veränderung der Kommunikation: Die Konsument*in­nen müssten darüber informiert werden, welche Verfahren der Geschlechtsbestimmung Anwendung erführen.

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9 Kommentare

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  • Kastrieren und Kapaune verkaufen. Die gelten z.B. in Frankreich und Spanien immer noch als Delikatesse.

  • "Denn sie legen weder Eier noch setzen sie viel Fleisch an – Tod wegen Unwirtschaftlichkeit."

    Männliche Küken werden seit Jahrzehnten getötet, um den Genpool "rein" zu halten. Inzuchtlinien und ein dadurch immer verkleinerter Genpool führen zu Leistungsverminderung und einer erhöhten Krankheitsanfälligkeit bis hin zur völligen Degeneration. D.h., dass "Bruderküken" von ihren Schwestern immer getrennt werden müssen.

    • @blapmap:

      Ob Ihr Schluß stimmt, wage ich zu bezweifeln. Die mickrigen Hähne sind erst durch die Zucht auf hohe Legeleistung der Hennen entstanden und deshalb Gegenstand ihrer geburtsnahen Entsorgung. Vater oder Mutter des etwas engen Genpools sind wir Menschen, nicht die "Bruderküken" mit inzestuösen Neigungen.

      • @0 Substanz:

        Wie kommen Sie darauf, dass unsere Hähne durch die Hochzucht von Hennen "mickrig" geworden sind?

        Inzucht führt zu einem verkleinertem Genpool und Degeneration, das ist ein Fakt. Daher müssen die Männchen von den Weibchen getrennt werden.

        Hähne lassen sich aber nicht wie Hennen zusammenhalten. Sie werden aggressiv und sehr gewalttätig. (=mehr Einzäunung, mehr Wunden, mehr Arzneimittel, mehr Betreuung, viel mehr Aufwand) Eine Wirtschaftlichkeit aufgrund des fehlenden Fleisches ("mickrige Hähne") ist nur dann ein Argument, wenn man alles andere ausblendet.

        • @blapmap:

          "Wie kommen Sie darauf, dass unsere Hähne durch die Hochzucht von Hennen "mickrig" geworden sind?"

          Aus einer Vorlesung über die Genetik der Nutztiere an der TUM.

  • Die einzige Lösung ist der Umstieg zur veganen Lebensweise. Die Initiative "Bruder Hahn" ist kein Teil der Lösung, sonders des Problems.

    Würden wir schwärmerisch den Begriff Bruder auch für Menschen verwenden, wenn wir diese dann kurze Zeit später töten?

    Das, was die Initiative "Bruder Hahn" tut, ist in keiner Weise ein Fortschritt. Sie mästen und töten vollauf leidensfähige Vögel.

    So etwas tun wir weder mit Brüdern noch Schwestern, wir tun es auch nicht mit unseren Hunden und wir sollten es ebenfalls nicht mit Vögeln tun.

    Das Argument, das Töten werde nur vorgezogen, ist im übrigens zu kurz gedacht, denn die Leidensfähigkeit nach drei Tagen im Ei ist sicherlich bei weitem geringer als die eines geborenes und sich im Jugendalter befindenden Tieres.

    Das gesamte System der Nutztierhaltung ist grausam, brutal, tierverachtend, menschenverachtend (weil es Menschen zu Täter:innen macht) und zerstört unsere Umwelt. Es ist nicht reformierbar, sondern nur abschaffbar.

    • 3G
      39538 (Profil gelöscht)
      @PolitDiscussion:

      Der Hahn ist keinesfalls Ihr Bruder, Herr Gebauer — der Hahn ist des Huhnes Bruder. Die männlichen Tiere von Legehennen-Zuchtlinien nennt man Bruderhähne; es sind also männliche Küken aus der Legehennenbrüterei, die aufgezogen werden und nicht gekeult.

      Verstehe zudem nicht ganz, was Sie sich über den stehenden Begriff so aufregen. Brudermord ist doch an der Tagesordnung — seit dem Urbild von Kain und Abel, bis hin zum Zwist mit dem Mammaoperateur, der sich nie wirklich um Mutter gekümmert hat.

    • 1G
      14397 (Profil gelöscht)
      @PolitDiscussion:

      "So etwas tun wir weder mit Brüdern noch Schwestern"



      Wir Menschen lassen jeden zehnten unserer Brüder oder Schwestern auf der Welt HUNGERN, obwohl genügend Lebensmittel vorhanden sind.

  • "Qualzucht för klimatet!" - muss einem auch erst mal einfallen...