: Mehr Posten als Frauen?
Die Frauen in der SPD kommen nicht recht an die Macht. Dabei gibt es jetzt eine offene Stelle: den Fraktionsvorsitz ■ Aus Bonn Markus Franz
Was wäre wohl gewesen, fragt sich die SPD-Abgeordnete Edith Niehuis, wenn Frauen den Streit um den Fraktionsvorsitz angezettelt hätten? „Die wären wohl alle einen Kopf kürzer gemacht worden.“ Haben sie aber nicht, und vielleicht ist das ja eine Empfehlung dafür, es mal mit einer Fraktionsvorsitzenden zu versuchen. Denn eins ist nach dem Showdown um den Fraktionsvorsitz klar: Die drei am geeignetsten erscheinenden Bewerber, Scharping, Müntefering und Lafontaine, sind ausgebootet, niemand drängt sich jetzt noch als Bewerber auf. Überraschungen sind möglich, warum also nicht eine Frau?
Oder gerade eine Frau? Die Männer halten sich in dieser Frage bedeckt, aber auch die Frauen in der Fraktion stehen nicht gerade wie ein Mann hinter der Forderung nach einer Fraktionsvorsitzenden. Es sind eher Frauen aus der zweiten Reihe wie Karin Junker, die Vorsitzende der Arbeitsgemeinschaft sozialdemokratischer Frauen, die „verlangen“, das Amt mit einer Frau zu besetzen. Für Edith Niehuis, die Vorsitzende des Familienausschusses, ist zwar „klar, daß die Frauen in der Fraktion eine Fraktionsvorsitzende haben wollen“, aber diese Meinung bleibt nicht ohne Widerspruch.
Anke Fuchs, stellvertretende Fraktionsvorsitzende und selbst für eine Beförderung im Gespräch, kritisierte den Vorstoß von Karin Junker mit den Worten: „Es gibt in der SPD Frauen und Frau- Frauen“. Die „Frau-Frauen“ äußerten sich, so Junker, manchmal zu ungünstigen Zeitpunkten. „Die Rufe immer zum aktuellen Zeitpunkt sind überflüssig und schädlich.“ Frau Fuchs will nicht antreten. Zum einen, weil sie das Amt der stellvertretenden Bundestagspräsidentin anstrebt, zum anderen weil die 61jährige nur noch eine Legislaturperiode in der Fraktion mitwirken will.
Auch die als erste für das Amt der Fraktionsvorsitzenden ins Spiel gebrachte Finanzexpertin, Ingrid Matthäus-Maier, lehnte ab. Dabei hätte die stellvertretende Fraktionsvorsitzende alle Chancen, in dieses Amt gewählt zu werden. Nach Meinung der Abgeordneten Ulla Schmidt würde Frau Matthäus-Maier sogar „mit Sicherheit“ gewählt. Kolleginnen loben sie als integrativ, kompetent, rhetorisch gut, durchsetzungsstark und als eine mit Steherqualitäten. Aber möglicherweise ist der bekennende Familienmensch Matthäus-Maier nicht karriereorientiert genug – diese Ansicht wird von Männern verbreitet – um sich das Amt der Fraktionsvorsitzenden anzutun.
Eine Carte blanche für den Fraktionsvorsitz haben Frauen nicht, wie schon das eindeutige Ergebnis der Abstimmung des Fraktionsvorstandes über das Amt des Bundestagspräsidenten zeigt. Die Abgeordnete Christel Hanewinckel unterlag ihrem Mitbewerber Wolfgang Thierse mit sieben zu 29 Stimmen. Die endgültige Nominierung Thierses am kommenden Dienstag gilt als Formsache. Auch daran zeigt sich, daß es den Frauen meist an den gehörigen Bataillonen mangelt, um sich durchsetzen zu können.
Abgeordnete wie Edith Niehuis und Ulla Schmidt fordern daher, daß künftig mehr Frauen in den Führungsgremien vertreten sein müssen. Bislang sind nur zwei der sechs Stellvertreterposten des Fraktionsvorsitzenden mit Frauen besetzt. Nun räche es sich, sagt Edith Niehuis, daß für den Ernstfall nicht genügend vorgebaut worden sei. Aber auch die Frauen müßten sich ändern. Sie müßten mehr „hier“ schreien, und zwar auch mal vor den Männern. Ansonsten seien sie als Angreifer in einer schlechteren Position.
Vieles deutet jetzt darauf hin, daß das Amt des Bundespräsidenten mit einer Frau besetzt wird. In diesem Sinne werden Äußerungen von Parteichef Oskar Lafontaine verstanden, der am Montag im Präsidium gefordert hatte, auch hohe Staatsämter mit Frauen zu besetzen. Aber zunächst muß erst einmal über den Fraktionsvorsitz entschieden werden, und dafür kommt nach jetzigem Stand der Dinge nur ein Mann in Frage, und zwar der erste parlamentarische Geschäftsführer, Peter Struck. Struck war in den vergangenen Tagen bereits öfters als Alternative genannt worden. Allerdings sprachen einige in der Fraktion die Vermutung aus, Struck habe sich selbst ins Spiel gebracht. Schließlich ist der 55jährige nicht unumstritten (siehe Porträt unten).
Die SPD-Führungsspitze hat also einen schönen Salat angerichtet. Dabei wird es hauptsächlich Parteichef Oskar Lafontaine angekreidet, daß die Fraktion nun nach einer „Notlösung“ suchen muß. Indem er sich vehement gegen Scharping als Fraktionsvorsitzenden und für Müntefering engagiert habe, habe er Scharping keine Wahl gelassen, sich frühzeitig für das Amt des Verteidigungsminister zu entscheiden. Aus Scharpings Umgebung heißt es: Möglicherweise hätte er von alleine verzichtet. Aber nicht, weil Oskar es so will.
Aus Schröders Umkreis verlautete, der künftige Bundeskanzler habe schließlich keine andere Wahl mehr gehabt, als Scharping zum Amt des Verteidigungsminister zu drängen. Ansonsten wäre Lafontaine zu stark beschädigt worden. Diese Lösung sei erst dadurch möglich geworden, daß Müntefering von sich aus auf den Fraktionsvorsitz verzichtet habe. Denn sonst hätte Scharping sein Gesicht verloren. Eine Bedingung Scharpings für den Wechsel ins Verteidigungsministeriums war, die Fraktion selbst über ihren Vorsitzenden entscheiden zu lassen. Bitte schön.
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