Mehr Atommüll ist verfassungswidrig: "Wir haben kein Endlager"
Laut einem aktuellen Rechtsgutachten verletzt der Staat seinen Schutzauftrag, wenn er die Atomreaktoren länger laufen lässt, obwohl es nach wie vor kein Endlager gibt.
BERLIN taz | Es ist ein neuer Gedanke über die schwarz-gelbe Abkehr vom Atomausstieg: Die Bundesregierung handelt verfassungswidrig, wenn sie die 17 Atomkraftwerke in Deutschland länger laufen lässt – ohne die Entsorgung des hochgiftigen Atommülls zu klären. Zu diesem Fazit kommt die Deutsche Umwelthilfe (DUH) in einem Rechtsgutachten, das sie am Donnerstag vorgestellt hat.
Rainer Baake, Geschäftsführer der Umwelthilfe, geht ein paar Jahre zurück, um die Argumentation zu erklären: 1998 bis 2002, Rot-Grün regiert, Baake ist noch Staatssekretär im Bundesumweltministerium, er verhandelt mit den Energiekonzernen den Atomausstieg. Es sei darum gegangen, so erzählt er, die Schutzpflichten des Staates für die Bevölkerung abzuwägen mit den Eigentumsrechten der Atomkraftwerksbetreiber. Sie haben geredet über das Risiko eines schweren nuklearen Unfalls, über die Gefahr, dass die Nukleartechnik militärisch genutzt wird. "Beides Bewertungsfragen", sagt Baake. Eindeutig sei indes das Problem mit dem hochgiftigen Atommüll. "Wir haben kein Endlager und wir werden es auch in absehbarer Zeit nicht haben."
Am Ende stand der Atomkonsens, wonach die Uraltmeiler Neckarwestheim und Biblis zum Beispiel bald abgeschaltet werden müssen. "Wer diese Abwägung aufbricht, handelt einseitig zu Gunsten der Betreiber", erklärt Baakes Kollegin, die Rechtsanwältin Cornelia Ziehm. "Der Staat würde sich in Widerspruch zu den ihm obliegenden Schutzpflichten begeben." Der Bund habe eine "Entsorgungsvorsorgepflicht", das sei nicht Sache der Betreiber. So reiche es nicht, wenn diese neben ihre Atomkraftwerken Zwischenlager bauen.
In den deutschen Atomkraftwerken entstehen jedes Jahr rund 400 Tonnen abgebrannte Brennelemente, also über Jahrtausende strahlender Abfall. Bisher weiß die Regierung nicht, wohin damit, und eine Lösung scheint weniger in Sicht denn je. Im Atommülllager Asse tauchen Lecks auf. Zum geplanten Endlager Gorleben wollen SPD, Grüne und Linke einen Untersuchungsausschuss einsetzen. Die Auswahl des Salzstocks im niedersächsischen Wendland soll politisch manipuliert worden sein. Alternativen werden nicht geprüft. Die Regierung könne das Atommüllproblem nicht ignorieren, meint Ziehm. "Tut sie es doch, müssen Gerichte entscheiden." Das Bundesumweltministerium wollte sich am Donnerstag nicht äußern.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Bis 1,30 Euro pro Kilowattstunde
Dunkelflaute lässt Strompreis explodieren
Studie Paritätischer Wohlfahrtsverband
Wohnst du noch oder verarmst du schon?
Ex-Wirtschaftsweiser Peter Bofinger
„Das deutsche Geschäftsmodell funktioniert nicht mehr“
Ansage der Außenministerin an Verbündete
Bravo, Baerbock!
Wissenschaftlerin über Ossis und Wessis
„Im Osten gibt es falsche Erwartungen an die Demokratie“
Armut in Deutschland
Wohnen wird zum Luxus