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Atommülllager AsseNoch mehr Lügen

Der Exbetreiber hat Informationen über Zuflüsse in das Bergwerk Asse unterdrückt. Auch das Bundesforschungsministerium unter Rüttgers soll am Vertuschen beteiligt gewesen sein.

Laugenzufluss? Sieht doch alles trocken aus hier... Bild: ap

GÖTTINGEN taz | Der Skandal um das Atommülllager Asse erreicht den Ministerpräsidenten von Nordrhein-Westfalen, Jürgen Rüttgers (CDU). In den 90er-Jahren sollen das damals von Rüttgers geführte Bundesforschungsministerium und der damalige Asse-Betreiber GSF Informationen über Wasserzuflüsse in das Bergwerk unterdrückt haben. Grüne und SPD wollen den CDU-Politiker im Asse-Untersuchungsausschuss des niedersächsischen Landtags dazu befragen.

Seit 1988 sickert Wasser in die Asse, täglich rund 12.000 Liter. In dem früheren Salzbergwerk liegen 126.000 Fässer mit Atommüll. Experten stellten 1995 fest, dass die Lauge aus dem Deckgebirge zufließt - die Grube hat also Kontakt zu Grundwasser. Einer der Gutachter wollte die Erkenntnis für seine Habilitationsschrift nutzen und legte dem Betreiber einen Entwurf zur Genehmigung vor. In dem der taz vorliegenden Antwortschreiben der GSF vom 1. 8. 1996 heißt es: "Wir möchten Ihr laufendes Habilitationsverfahren nicht behindern. Vor einer Veröffentlichung, das heißt vor Druck des Berichtes müssen jedoch neue Fassungen der betreffenden Kapitel […] vorgelegt werden." Die GSF bitte "um Verständnis für unsere geübte Zurückhaltung" und hofft "auf eine weitere gute Zusammenarbeit bei der Bewertung der Geochemie der im Grubengebäude zutretenden Lösungen".

Anders als im Entwurf ist in der erst im Jahr 2000 von der Bundesanstalt für Geowissenschaften und Rohstoffe (BGR) veröffentlichten Version nicht mehr von der Asse die Rede, sondern nur noch von einem "Salzbergwerk in Norddeutschland". Der Text erwecke den Eindruck, "dass es sich um eine quasi exemplarische Untersuchung ohne Bezug zu einem bestehenden Atommülllager handelte", urteilt der Fraktionschef der niedersächsischen Grünen, Stefan Wenzel.

Der GSF-Nachfolger, das Helmholtz Zentrum, bis Ende 2008 für die Asse zuständig, kann zur Aufklärung nichts beitragen. Zu den Schriftwechseln lägen keine weiterführenden Informationen vor, sagt Helmholtz-Sprecherin Ulrike Koller. Dem Spiegel zufolge haben GSF und Forschungsministerium die Erkenntnisse über Wassereinbrüche jahrelang vertuscht, um eine kritische öffentliche Diskussion zu vermeiden. So hätten Betreiber und Ministeriumsleute Ende 1995 auch verhindert, dass das Land Niedersachsen einen Bericht zur "Gefahrenabschätzung für die Schachtanlage Asse" publizierte, in dem ebenfalls der Wasserzufluss erwähnt wurde.

Das Papier gebe Umweltschützern "ohne Not" Argumente gegen eine Einlagerung von Atommüll in Salzgestein an die Hand. Bei Besucherführungen sahen Ministeriale offenbar ebenfalls die Gefahr, dass das Geheimnis bekannt werden könnte: Es müsse "eine öffentliche Diskussion der Laugenzutritte vermieden werden", zitiert das Magazin einen Vermerk von 1997. Zehn Jahre lang sei der Zufluss der Laugen geheim gehalten worden, sagt Wenzel. "Dass man dabei vor der Verfälschung wissenschaftlicher Arbeiten nicht zurückschreckte, passt ins Bild."

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5 Kommentare

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  • SE
    Spanner Ent

    Witzig wie ne zeitlang niemand wusste, wie viele Fässer drinn` sind , oder wo sie sonst sein könnten, und nun die beruhigende Antwort es ist alles da, auch Fässer die nicht drinn` sein sollten sind`s, und daher sind se zumindest nicht woanders. Das ist die gute Nachricht.

    Hätte doch der fehlende Mist auch auf den, vor Italien gesunkenen Schiffen gewesen sein können. Das sei aber nicht der Fall sagt die italienische Mafia.

    Nu hat Rüttgers schon für miese Umfragewerte gesorgt damit er dieser Story zuvor kommt, falls sie kommt.

    Unverantwortlich geht es nicht mehr...!

  • RH
    Rico Hörbs

    @ coco price: Staatsanwälte sind juristische Langzeit-Karrieregewächse im Dschungel höchst subjektiver, weil staatlicher Rechtsauffassungen. Der gut vernetzten Atomlobby nachhaltig ans Bein zu pinkeln, da braucht es schon ein paar entschlossene Richtigjuristen mehr, die auch vor einem EDEKA-Fall (Ende der Karriere) nicht zurückschrecken würden.

    Das Beispiel Asse zeigt allerdings überdeutlich die äußerste Dürftigkeit der Rechtsstaatsfassade in diesem Land. Die größten rechtsfreien Räume gibt es inmitten des Staatsapparats, doch niemand von den Verantwortlichen stört sich daran wirklich.

  • CP
    coco price

    Asse ist ein Bilderbuchbeispiel für organisierte Kriminalität und das systematische Versagen von Rechtsstaatlichkeit in Deutschland. Es gibt Gesetze im Umweltstrafrecht, es gibt Täter, Mittäter, Nutzniesser, Mitwisser, Vertuscher, es gibt Geschädigte, es gibt Motive, es gibt einen Tatort und tonnenweise Beweismittel in Form von Müll und Dokumenten, es gibt Zeugen, alles so offensichtlich und gut dokumentiert,dass selbst der dümmste Dorfstaatsanwalt genug belastendes Material für hunderte von Jahren Knast zusammenbekommen würde...nur strafrechtliche Ermittlungen gibt es nicht. Stattdessen den üblichen Untersuchungsausschuss,der am Ende nichts anderes als parteipolitische und beschwichtigende Funktion hat und den verantwortlichen Zeit lässt, Beweise verschwinden zu lassen, Mäuler zu stopfen, sich auf andere Pöstchen zu verpissen und Gras über die Sache wachsen zu lassen.

     

    Warum gibt es eigentlich in Deutschland nicht einen einzigen Staatsanwalt mit Eiern in der Hose? Ist es nicht geil am Ende seiner Karriere mal den grossen ans Bein zu pissen? Ist da nicht einer drunter, der noch eine Rechnung offen hat oder einfach seinen Lebensabend hindurch nachts mit gutem Gewissen pennen können will? Ich check es einfach nicht. Man kann sich doch mit so etwas ein echtes Denkmal schaffen.

  • W
    Wolfgang

    Als die Bilder im Fernsehen gezeigt wurden, wie die

    gefährlichen Fässer einfach in den Schacht gekippt wurden, habe ich nur gedacht, wie soll das enden, wenn ich daheim Farbdosen, Spraydosen, Lackdosen, Benzinkanister so in den Keller geschmissen hätte und wären da so 20 Jahre liegengeblieben.

    Und jetzt wird eifrig debattiert, wer das angeordnet hat? Ein trauriges aber tötliches Kasperletheater.

  • V
    vantast

    Die Geschichte der Atomenergie könnte so beginnen: Am Anfang war die Lüge. Und dabei ist es bis heute geblieben.