Medizinisches Rätsel in Frankreich: Neugeborene ohne Arme und Hände
Frankreich sucht Ursachen für Fehlbildungen bei Babys in drei ländlichen Gebieten. Spekuliert wird unter anderem über Umwelteinwirkungen.
Die Gesundheitsbehörden hatten zunächst darauf hingewiesen, dass die Häufigkeit von Fehlbildungen nicht über dem Durchschnitt liege. Tätig wurden sie erst, nachdem die Leiterin der öffentlichen Dokumentationsstelle für angeborene Fehlbildungen Remera (Registre de Malformations en Rhone Alpes), Emmanuelle Amar, ihre Warnung in die Öffentlichkeit getragen und auf die auffällige räumliche Konzentration der Fälle hingewiesen hatte. Im Departement Ain waren zwischen 2000 und 2014 in einem Gebiet von nur 17 Quadratkilometern 8 Kinder betroffen. Darauf hatte sie bereits 2016 in einem Artikel hingewiesen.
Seitdem wird in der öffentlichen Diskussion auch an die deutsche Contergan-Katastrophe erinnert, bei der Anfang der 60er Jahre zwischen 5.000 und 10.000 Kinder mit schweren Behinderungen geboren worden waren. Ihre Mütter hatten während der Schwangerschaft das Schlafmittel Contergan eingenommen. Gesundheitsministerin Agnès Buzyn hat unterdessen eine neue, umfassende Untersuchung in Auftrag gegeben, die in drei Monaten abgeschlossen sein soll.
Die Ursachen sind einstweilen völlig unklar, neben Umwelteinwirkungen, etwa durch die Intensivlandwirtschaft, wird auch über Ernährung, Medikamente oder Baustoffe spekuliert. Erschwert wird die Ursachenforschung durch die Tatsache, dass viele Fälle Jahrzehnte zurück reichen. Parallel wurde auch eine Untersuchung zu auffälligen Fehlbildungen bei Tieren wie Hühnern oder Kälbern in Auftrag gegeben.
Hinter der Debatte verbirgt sich der Zeitung Le Monde zufolge auch ein politischer Konflikt. So stand die Dokumentationsstelle Remera zwischenzeitlich vor dem Aus, weil das Departement seinen Anteil an der Finanzierung gestrichen hatte. Nach dem Wunsch des Präsidenten der Region Laurent Wauquiez, zugleich Vorsitzender der Partei Les Republicains und voraussichtlicher Präsidentschaftskandidat der Rechten, sollten Gelder für andere Schwerpunktsetzungen frei gemacht werden, wie etwa die üppige Förderung der örtlichen Jägervereine. Inzwischen hat das Gesundheitsministerium zusätzliche Mittel zugesagt.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Nahost-Konflikt
Alternative Narrative
Putins Atomdrohungen
Angst auf allen Seiten
Nach der Gewalt in Amsterdam
Eine Stadt in Aufruhr
+++ Nachrichten im Nahost-Krieg +++
IStGH erlässt Haftbefehl gegen Netanjahu und Hamas-Anführer
Krise der Linke
Drei Silberlocken für ein Halleluja
Die Wahrheit
Der erste Schnee