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Medizinisches Rätsel in FrankreichNeugeborene ohne Arme und Hände

Frankreich sucht Ursachen für Fehlbildungen bei Babys in drei ländlichen Gebieten. Spekuliert wird unter anderem über Umwelteinwirkungen.

Zwischen 2000 und 2014 kamen in drei Gebieten rund zwei Dutzend Babys mit Fehlbildungen zur Welt Foto: dpa

Berlin taz | Die Geburt von Kindern mit Fehlbildungen beunruhigt Frankreich. Betroffen sind davon ländliche Regionen in der Bretagne, an der Loire sowie im Departement Ain (Region Auvergne-Rhone-Alpes). Insgesamt waren dort zwischen 2000 und 2014 rund zwei Dutzend Kinder ohne Arme oder Hände zur Welt gekommen.

Die Gesundheitsbehörden hatten zunächst darauf hingewiesen, dass die Häufigkeit von Fehlbildungen nicht über dem Durchschnitt liege. Tätig wurden sie erst, nachdem die Leiterin der öffentlichen Dokumentationsstelle für angeborene Fehlbildungen Remera (Registre de Malformations en Rhone Alpes), Emmanuelle Amar, ihre Warnung in die Öffentlichkeit getragen und auf die auffällige räumliche Konzentration der Fälle hingewiesen hatte. Im Departement Ain waren zwischen 2000 und 2014 in einem Gebiet von nur 17 Quadratkilometern 8 Kinder betroffen. Darauf hatte sie bereits 2016 in einem Artikel hingewiesen.

Seitdem wird in der öffentlichen Diskussion auch an die deutsche Contergan-Katastrophe erinnert, bei der Anfang der 60er Jahre zwischen 5.000 und 10.000 Kinder mit schweren Behinderungen geboren worden waren. Ihre Mütter hatten während der Schwangerschaft das Schlafmittel Contergan eingenommen. Gesundheitsministerin Agnès Buzyn hat unterdessen eine neue, umfassende Untersuchung in Auftrag gegeben, die in drei Monaten abgeschlossen sein soll.

Die Ursachen sind einstweilen völlig unklar, neben Umwelteinwirkungen, etwa durch die Intensivlandwirtschaft, wird auch über Ernährung, Medikamente oder Baustoffe spekuliert. Erschwert wird die Ursachenforschung durch die Tatsache, dass viele Fälle Jahrzehnte zurück reichen. Parallel wurde auch eine Untersuchung zu auffälligen Fehlbildungen bei Tieren wie Hühnern oder Kälbern in Auftrag gegeben.

Hinter der Debatte verbirgt sich der Zeitung Le Monde zufolge auch ein politischer Konflikt. So stand die Dokumentationsstelle Remera zwischenzeitlich vor dem Aus, weil das Departement seinen Anteil an der Finanzierung gestrichen hatte. Nach dem Wunsch des Präsidenten der Region Laurent Wauquiez, zugleich Vorsitzender der Partei Les Republicains und voraussichtlicher Präsidentschaftskandidat der Rechten, sollten Gelder für andere Schwerpunktsetzungen frei gemacht werden, wie etwa die üppige Förderung der örtlichen Jägervereine. Inzwischen hat das Gesundheitsministerium zusätzliche Mittel zugesagt.

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16 Kommentare

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  • Genetik. Genetische Abnormitäten. Der Klassiker für die Deutschen. Da kann man toll zwei Wochen drüber reden.

  • Zwei Dutzend Kinder ohne Arme oder Hände sind weit mehr Kinder mit dieser Mißbildung, als in diesem Zeitraum normalerweise zu erwarten gewesen wäre. Die Ursache ist derzeit unbekannt und bloße Spekulationen sind für eine Aufklärung grundsätzlich wenig hilfreich.



    Die Konzentration der Fälle auf ein überschaubares Gebiet spricht klar für gebietsspezifische Ursachen. Mehr lässt sich dazu doch im Moment noch gar nicht sagen - ausser dass bislang offensichtlich grob fahrlässig versäumt wurde, nach den Ursachen dieser Mißbildungen zu forschen.

  • taz: „Erschwert wird die Ursachenforschung durch die Tatsache, dass viele Fälle Jahrzehnte zurück reichen. Parallel wurde auch eine Untersuchung zu auffälligen Fehlbildungen bei Tieren wie Hühnern oder Kälbern in Auftrag gegeben.“

    Die Frage ist doch, möchte man die Wahrheit überhaupt wissen oder wäre es für einige Konzerne (und auch Politiker) nicht besser, wenn man überhaupt keine Ursachenforschung betreibt?

    Glyphosathaltige Pflanzenschutzmittel sind seit Oktober 2017 bei uns in Deutschland zugelassen. Mal sehen, was da noch auf uns in den nächsten Jahrzehnten zukommt – aber dann sind die verantwortlichen Politiker ja auch schon lange Geschichte und keiner will es wieder gewesen sein.

    Leid können einem jetzt nur die französischen Eltern tun und natürlich die Kinder, die mit dieser Behinderung "leben" müssen. Irgendwie erinnert mich das an den Contergan-Skandal Anfang der 1960er Jahre, der aber auch mehr oder weniger im Sande verlaufen ist.

  • 8G
    82236 (Profil gelöscht)

    Es gab auch Fälle in der Bretagne und im département Loire Atlantique. Auffallend ist, dass diese Missbildungen nur in ländlichen Gebieten auftreten, da wo massiv Chemie auf den Feldern verspritzt wird und ausgiebig veterinärische Produkte den Tieren eingespritzt werden. Ja das gesunde Landleben!

  • Der Kommentar wäre gar nicht entstanden, wenn ich den Unsinn von der bereichernden Behinderung nicht immer wieder lesen würde.

    Ebenso beliebt ist die Phrase von der Behinderung als "sozialem Konstrukt". Ohne Hände geboren zu werden, ist nach dieser Denkweise kein Defizit, sondern so etwas wie eine andere Haut- oder Augenfarbe. Erst die gesellschaftliche Benachteiligung macht aus der neutralen Abweichung eine Behinderung. Wir müssen also nur die Gesellschaft ändern, dann ist es egal, wie viele Menschen ohne Hände und Arme geboren werden.

    Wie gesagt: Nicht meine Meinung, sondern der Zynismus von einigen "Linken", die Präventionsmethoden wie PID und PND auf der Grundlage dieser Position verbieten wollen. Und nein, es macht keinen relevanten Unterschied, ob eine Behinderung genetisch oder chemisch bedingt ist.

    • @Thomas Friedrich:

      Hä? Meinen Sie, man hätte diese Menschen wegen Ihnen töten sollen? Verzeihung, denen "das Leben ersparen" sollen?

      Die Zeiten sind zum Glück vorbei, daß man auf Grund der Ideologie - und sei es zum Gewinn von Konzernen - Menschen gerne umbringt.

  • Das sind im Durchschnitt weniger als zwei Fälle im Jahr. Rein theoretisch könnten die auch nur einige wenige Personen betreffen, bei denen individuelle Faktoren die Fehlgeburten ausgelöst haben (Drogenmißbrauch während er Schwangerschaft, Kontakt mit bestimmten Chemikalien...) Mehr Details bitte!

  • Im Departement Ain arbeitet mein Vater als Elektrotechniker beim Atomkraftwerk Bugey (ich weiß leider nicht genau, welcher Block vom AKW). Dort wird gerade eine Anlage geplant und gebaut, die radioaktiven Müll zerkleinert und in Gefäße abfüllt, damit der Müll dann endgelagert werden kann.

    Das klingt nicht gut, da könnte es einen Zusammenhang geben mit der Häufung von Fehlbildungen in dem Gebiet...

    Dazu kommt noch, dass von der Baufirma, die an diesem Bauprojekt beteiligt ist, wahrscheinlich bei einem Hackerangriff sehr viele Daten gestohlen wurden: www.tagesschau.de/...efaengnis-101.html

    Wenn mein Vater am Montag nächste Woche wieder nach Frankreich fährt zum Arbeiten (diesmal mit einem 8-Sitzer-Auto statt Flugzeug, weil die Flugzeuge ständig Verspätung haben), gibt es wahrscheinlich sehr viele schlechte Nachrichten.

    Ich befürchte das Schlimmste...

  • Ich dachte, Behinderungen wären kein Problem, sondern eine Bereicherung menschlicher Vielfalt. Ist es da nicht ableistisch, von einer Contergan-Katastrophe zu sprechen und Behinderungen als vermeidenswert darzustellen?

    • @Thomas Friedrich:

      Regel Nummer 1 in Foren und Kommentaren: Ironie nur mit

    • @Thomas Friedrich:

      Ich frage mich ja ernsthaft, wie innerlich verdorben man sein muss, um solche Kommentare von sich zu geben. Aber vermutlich können Sie inzwischen gar nicht mehr anders, so hasszerfressen wie Sie zu sein scheinen.

      Wenn körperliche Behinderungen eine unnatürliche Ursache, sprich Radioaktivität, Medikamente, Umweltbelastung etc, haben, dann muss man dem nachgehen.

      Worauf Sie so zynisch verweisen ist die einfache Tatsache, dass man Menschen mit Behinderung nicht ausgrenzen darf. Das bedeutet nicht, dass man die Ursachen von Behinderungen nicht minimieren darf.

      Trauen Sie sich eigentlich einem Menschen mit Behinderung ins Gesicht zu sagen, dass seine/ihre Behinderung was tolles ist und die Gesellschaft das so wollte? Vermutlich nicht.....Feigling!

    • 9G
      91672 (Profil gelöscht)
      @Thomas Friedrich:

      Ihre zynische Betrachtung ist jedenfalls keine Bereicherung der taz-Kommentar-'Vielfalt' und wäre sehr wohl 'vermeidenswert'.



      Außerdem beschäftigt sich der Artikel mit möglicherweise menschengemachten Ursachen von Behinderungen und nicht mit dem Ableismus.

  • Glyphosat vielleicht?

  • Ähnliche Berichte gab es vor ca 30 Jahren auch schon über Englands Ostküste und Holland sowie Teile Niedersachsens.

    • @aujau:

      ehrlich? Da war ich noch Teenager und dahre nicht so interessiert daran wie heute. Hätten Sie evtl. ein, zwei Links für mich?

      • @mokka flo:

        Tut mir Leid, leider nicht. Der Bericht kam in einem der Politmagazine Kontraste, Monitor oder sowas.