Medizinisches Cannabis aus Sachsen: Gras aus dem Hochsicherheitstrakt
Seit März 2017 hat die Bundesregierung Cannabis für Schwerkranke freigegeben. Die Firma Demecan produziert die Blüten für die Medizin.
Ebersbach taz | Weiße Wände, trockene Luft und ein spiegelnd sauberer grauer Fußboden. Wer den Gang betritt, wähnt sich in einem Labor, wären da nicht die riesige Lüftungsanlage unter der Decke und dieser unverkennbare Geruch: scharf würzig und etwas grasig. Beim zweiten Blick fallen auch die zahlreichen Kameras an den Wänden auf. Und hinter der nächsten Tür stehen sie sattgrün im grellen Licht der Pflanzlampen: mannshohe Cannabispflanzen voller üppiger Blüten, reif zur Ernte. Willkommen im hochtechnisierten Anbau der Zukunft.
Von außen deutet nichts darauf hin, dass hier, gut 20 Kilometer nördlich von Dresden, Medizinalcannabis mit 20 Prozent THC-Wirkstoff wächst: Ein etwas in die Jahre gekommener Gewerbebau aus den Neunzigern, drum herum Acker und Wald, davor ein großes Schild: Demecan. Im ersten Stock sitzen die drei Freunde Constantin von der Groeben, Jurist, Adrian Fischer, Arzt, und Cornelius Maurer, Ökonom, die das Unternehmen in Berlin gegründet haben, im Konferenzraum und strahlen.
Kürzlich haben sie zum ersten Mal geerntet, waren selbst ein bisschen überrascht, wie gut es lief. Jetzt wird die Produktion hochgefahren. Vorgesehen sind etwa 20 Ernten pro Jahr. Die Blüten gehen über die Cannabisagentur des Bundes an Ärzte und Apotheker.
Es geht natürlich um Geld und darum, auf einem wachsenden Markt mitzumischen. 2021 erhielten Apotheken nach Zahlen des Bundesgesundheitsministeriums mehr als 9 Tonnen (Vorjahr 6,3 Tonnen) Cannabisblüten. Die meiste Ware wird bisher importiert, auch Demecan hat eine entsprechende Zulassung. Doch zumindest ein Teil des deutschen Bedarfs soll auch aus Deutschland kommen.
Mehr als ein Geschäft
Die Cannabisagentur hat 2019 nach einem aufwendigen Verfahren und unter strengen Auflagen, was Sicherheit und Geschäftskonzept betrifft, drei Lizenzen für den Anbau vergeben: an die großen kanadischen Firmen Aurora und Tilray. Und an das Start-up Demecan (Deutsche Medizinal Cannabis). Das Verfahren dauerte einige Zeit, deutsche Gründlichkeit, schließlich geht es um ein Produkt, das dem Betäubungsmittelgesetz unterliegt. Angelegt ist alles als Test zunächst auf vier Jahre. Die drei Firmen dürfen jährlich 2,6 Tonnen ernten, Demecan allein rund einer Tonne.
Den drei Gründern geht es um mehr als reines Geldverdienen: Als Fischer später im neuen Labor für die Zellvermehrung steht, erklärt er, sie wollten nicht nur Cannabis anbauen, sondern Produkte und Forschung wirklich vorantreiben. Perfekte Pflanzen, perfekter Anbau, ein Naturprodukt mit großem medizinischen Potenzial in einem neuen Markt, da wollen die Demecan-Gründer auch technologisch vorn mit dabei sein.
Im März 2017 hat die Bundesregierung Cannabis zu medizinischen Zwecken für Schwerkranke freigegeben. Ärzte verschreiben getrocknete Blüten und Extrakte meist, um Schmerzen bei chronischen Erkrankungen zu lindern. Auch gegen Übelkeit bei einer Chemotherapie kommt Medizinalcannabis zum Einsatz, ebenso bei Appetitlosigkeit im Zuge einer HIV-Erkrankung. Die Krankenkassen übernehmen die Kosten nach einer Prüfung.
2020 verordneten Ärzte rund 340.000 Mal Cannabis im Gesamtwert von 165,3 Millionen Euro, wie die Kassenärztliche Vereinigung ermittelt hat. Zahlen für 2021 liegen noch nicht vor. Nach drei Quartalen lag das Plus bei rund 17 Prozent.
Hochsicherer Anbau
Demecan startete kurz nach der Freigabe von Medizinalcannabis. Inzwischen beschäftigt die Firma gut 70 Mitarbeiter, rund 50 in der Anlage nördlich von Dresden. „Wir wollten nicht auf der grünen Wiese bauen“, sagt von der Groeben. Also haben sie in immer größeren Kreisen um Berlin, dem Sitz der Firma, nach einem geeigneten Standort gesucht. Und fanden den ehemaligen Schlachthof, den sie kurzerhand kauften.
„Schlachthöfe sind ideal für Cannabisanbau, weil nicht nur Böden und Wände dick sind, sondern auch die Decken“, sagt von der Groeben. Weil dort die Transportbänder für die Kühe und Schweine hingen, entsprechend stabil wurde gebaut. Das Gebäude muss den Anforderungen des Betäubungsmittelgesetzes entsprechen, praktisch zum Tresor taugen. 24 Zentimeter Stahlbeton rundum sind Pflicht. Insgesamt haben sie in die 5.000 Quadratmeter rund 20 Millionen Euro gesteckt, knapp 30 Prozent davon aus einem Strukturfonds der EU. Unter anderem für jede Menge Sicherheitstechnik.
Überall sind Kameras montiert und Sensoren, die Erschütterungen erkennen, sollte jemand versuchen, mit Gewalt einzudringen. Und rein geht es nur durch die sechs Tonnen schwere, zertifizierte Wertschutzraumtür aus Stahl und das dahinter liegende Gitter. Zunächst geht es durch zwei Schleusen, desinfizieren, Schutzanzug anziehen, Haube und Maske aufsetzen. Dann der helle Gang und rechts in den Raum für die Mutterpflanzen.
Die Anlage hat mit dem klassischen Acker so viel gemein wie ein Tretroller mit einem Tesla
„Wir haben etwa ein Jahr gesucht, bis wir aus 50 verschiedenen die optimale Pflanze gefunden haben“, sagt Adrian Fischer, zuständig für den Anbau. Er streicht über die Blätter. „Perfekt.“ Setzlinge der Mutterpflanze werden dann im nächsten Raum angezogen und wandern nach 20 Tagen über den Gang in einen der vier Blühräume. „Das sind praktisch Klone. So garantieren wir die immer gleich bleibende Qualität.“
Pflanzen lieben ihr Zuhause
Die Anlage hat mit dem klassischen Acker so viel gemein wie ein Tretroller mit einem Tesla. Und das hat mit den Anforderungen an das Produkt zu tun. Demecan verkauft mit den Blüten ein Medikament. Und das Naturprodukt muss bei jeder Ernte dieselbe Qualität und denselben Wirkstoffgehalt aufweisen. Demecan versucht deshalb, möglichst viel zu kontrollieren. Die Luft in den Räumen ist gefiltert und mit UV-Licht behandelt, damit keine Schädlinge eindringen können. „Wir haben hier ja eine Monokultur, da wäre ein Virus das Ende“, sagt Fischer.
Die Feuchtigkeit ist konstant, der CO2-Gehalt, ebenso die Temperatur, hier im Blühraum 3 beträgt sie 24 Grad. Die Luft streicht von unten her an den Pflanzen entlang und wird unter der Decke wieder abgesaugt. „Wir tauschen sie mehrfach in der Stunde aus“, sagt der Arzt. Die Pflanzen wachsen auf Steinwolle, aus der Kanülen mit Klarsichtschläuchen ragen wie bei einer Infusion. Das Wasser wird entsalzt, die Nährstoffe dann nach einem bestimmten Mix wieder hinzugefügt.
3.200 Pflanzen wachsen in den Blühräumen den lichttemperaturoptimierten künstlichen Sonnen unter der Decke entgegen. Für den Menschen ist das vielleicht zu grellgelb, manch Mitarbeiter trägt Sonnenbrille. Die Pflanzen lieben es. Bis zu 40 Zentimeter stehen die Blüten hoch, das wirkstoffreiche Harz schimmert weißlich – das ist nur unter den Laborbedingungen möglich, wie Fischer erklärt. „Im Gewächshaus würde das alles schimmeln.“
Und dann wieder draußen, zurück im Hier und Jetzt, leichtes Kopfweh. Tief einatmen, es riecht nach Wald, Regen, ein Hauch von Abgasen der nahen Straße. Bleibt noch die Frage: was Demecan mit dem riesigen Gelände noch vorhat. „Zunächst bauen wir eine Extraktionsanlage auf“, sagt Maurer. „Das ist nötig, um perspektivisch eigene Fertigarzneimittel anzubieten.“ Und eine Voraussetzung, um nach der geplanten Freigabe von Cannabis für den Freizeitgenuss dabei sein zu können. Von der Groeben nennt Kartuschen für E-Zigaretten und Zutaten für Kekse.
Gute Geschäftschancen durch Hightech
Der Freizeitmarkt ist riesig. Der Deutsche Hanfverband schätzt die derzeit illegal konsumierte Menge auf jährlich 200 bis 400 Tonnen. Ökonom Justus Haucap von der Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf hat berechnet, dass die Freigabe von Cannabis allein dem Staat 4,7 Milliarden Euro jährlich bringen würde – aus einer Cannabissteuer, aus Gewerbe- und Umsatzsteuer sowie zusätzlicher Lohnsteuer und Sozialabgaben. Zudem spart der Staat Ausgaben für Strafverfolgung und Justiz. Seine Studie geht von einem Cannabis-Endpreis von unter zehn Euro je Gramm aus einschließlich Steuern.
Die drei von Demecan rechnen sich gute Geschäftschancen aus. Sie vermuten, dass der Staat eine gewisse Qualität vorgeben wird, was aus ihrer Sicht klassischen landwirtschaftlichen Anbau eher ausschließen dürfte, ihre Hightech-Fabrik würde profitieren. „Wir könnten bereits jetzt Geld verdienen“, sagt von der Groeben. „Wir wollen aber lieber weiteres Geld bei Investoren einsammeln, um vorbereitet zu sein für die Freigabe.“ Platz haben sie genug: Der Schlachthof bietet weitere 25.000 Quadratmeter. Für eine Menge von mehr als zehn Tonnen.
Leser*innenkommentare
Ingo Bernable
"24 Zentimeter Stahlbeton rundum"
"sechs Tonnen schwere, zertifizierte Wertschutzraumtür aus Stahl"
Irgendwann wird es auch absurd. Man fragt sich ob die Sicherheitsauflagen bei Heckler & Koch oder Urenco auch nur annähernd ähnlich hoch sind.
Šarru-kīnu
Die Regieurng wird es zielsicher schaffen, dass bei Freigabe von Cannabis der Preis der legalen Alternative doppelt so hoch wird wie der aktuelle Straßenpreis. So ein sinnloser Aufriss für eine Pflanze die im richtigen Klima wie in Afrika wächst wie Unkraut. Die deutschen Unternehmen werden sich außerdem wundern wie direkt nach der Freigabe der Markt von den amerikanischen Unternehmen audfgerollt wird, die seit Jahren Erfahrung haben und ein bereits ausdifferenziertes Produktportfolio anbieten.