Medikament gegen das Coronavirus: Kein Wunder, aber ein Mittel
Remdesivir soll als Mittel gegen Covid-19 bald vorläufig zugelassen werden. Meldungen, es rette Menschenleben, sind verfrüht, zeigen taz-Recherchen.
Es war eine große Hoffnung im Kampf gegen das neue Coronavirus, als am 29. April das Nationale Institut für Allergien und Infektionskrankheiten (NIAID) der USA verkündete: Der Wirkstoff Remdesivir verkürzt die Dauer der Erkrankung Covid-19, die das Virus Sars-Cov-2 verursacht, um vier auf 11 Tage.
Und nicht nur das: Auch die Sterblichkeit von Patienten sinke, um ungefähr ein Viertel. Sollte also das vom US-Pharmaunternehmen Gilead ursprünglich gegen Ebola entwickelte Remdesivir das Mittel sein, das endlich gegen Corona hilft? Der Gamechanger im Kampf gegen die Pandemie? Keine Impfung, aber eine Therapie?
Präsident Donald Trump drängte auf eine Notfallzulassung, die auch einige Tage später in den USA folgte, kurz darauf zog Japan nach. Anthony Fauci, Direktor des Nationalen Instituts für Infektionskrankheiten, Präsidentenberater und mittlerweile die rationale Stimme in den USA im Kampf gegen die Pandemie, verwies allerdings darauf, dass die gesunkene Sterberate statistisch noch nicht signifikant sei. Genau genommen lag die Wahrscheinlichkeit, dass die höhere Zahl an Überlebenden nur Zufall war, bei 5,9 Prozent. Ab fünf Prozent gilt die Wirksamkeit eines Medikament als erwiesen.
taz-Recherchen zeigen nun, dass es mit den vorläufigen Ergebnissen der Studie ein zweites Problem gibt: Die Daten zur Sterblichkeit haben nicht nur die statistische Signifikanz verpasst, sie sind auch schlicht nicht vollständig. Weil „eine signifikante Anzahl der Patienten noch nicht Tag 28 erreicht hatte, als die vorläufige Analyse erstellt worden ist“, wie die Europäische Arzneimittel-Agentur EMA auf taz-Anfrage mitteilte. Sprich, viele Patienten der Studie waren noch gar nicht zu Ende behandelt, als die US-Behörden verkündeten, Remdesivir rette Menschenleben. Auch eine Studie aus Wuhan in China kam zu dem Schluss, Remdesivir helfe nicht, die Sterblichkeit zu senken – sie galt aber als nicht aussagekräftig, weil sie wegen Patientenmangel abgebrochen werden musste.
Es gibt ein Medikament. Nebenwirkungen? Vertretbar.
Die besagte internationale Doppelblindstudie unter US-Führung startete am 21. Februar zunächst in einer Klinik in den USA. Später beteiligten sich weltweit über 60 Kliniken mit 1.063 Patient*innen. Behandelt worden sind Erkrankte mit verschiedenen Verläufen. Von leichten bis zu solchen, die bereits künstlich beatmet werden mussten – von denen in der Regel die Hälfte stirbt, wie die EMA schreibt. Finanziert hat das alles das US-Gesundheitsministerium, nicht der Hersteller. Doppelblind heißt, dass weder die Patient*innen noch die behandelnde Ärzte wissen, wer das Medikament und wer ein Placebo verabreicht bekommt.
Das Geschenk Gottes
Trump pries es als „Geschenk Gottes“. Der US-Präsident nimmt seit eineinhalb Wochen das Malaria-Medikament Hydroxychloroquin als Corona-Prophylaxe. Die US-Arzneibehörde warnt: Es gebe keine belastbaren Beweise einer Wirksamkeit, das Mittel erhöhe das Risiko lebensgefährlicher Herzrhythmusstörungen. Derzeit läuft eine Studie mit 2.000 Proband*innen, die klären soll, ob Hydroxychloroquin gemeinsam mit einem Antibiotikum hilft.
Impfungen
Therapien gegen Covid-19 sind wichtig, wirklich beenden können die Pandemie aber nur Impfstoffe. Das US-Biotech-Unternehmen Moderna hat diese Woche von „positiven Zwischenergebnissen“ in der ersten Phase von klinischen Tests berichtet. Allerdings nur bei 8 von 45 Studienteilnehmenden. Kaum aussagekräftig.
Fazit
Laut WHO werden derzeit weltweit acht Impfstoffe klinisch an Menschen getestet, mit dabei das deutsche Unternehmen BioNTech mit Sitz in Mainz. An 110 weiteren Impfstoffen wird weltweit geforscht. (ia/dpa/afp)
Noch ist es gut möglich, dass die endgültige Auswertung der Studie auch bestätigt, dass Remdesivir tatsächlich Menschenleben rettet. In den kommenden Tagen sollen die Ergebnisse veröffentlicht werden. Am Montag dieser Woche löcherten die Parlamentarier des Gesundheitsausschusses im EU-Parlament den Direktor der EMA, Guido Rasi, zu möglichen Impfstoffen gegen Sars-Cov-2 und zu Medikamenten gegen die Krankheit Covid-19. Auf eine Frage zu Remdesivir sprach Rasi in seine Webcam: „Eine bedingte Zulassung könnte in den nächsten Tagen möglich sein.“ Dann wäre es amtlich: Es gibt ein Medikament gegen das Virus. Nebenwirkungen: Vertretbar. Vermutlich. Bei einigen Studienteilnehmern sind Leberschäden aufgetreten, selten auch schwere.
Rasis Satz ging durch die Presse, allerdings oft ohne einen wichtigen Zusatz: Die Aussage gelte vorbehaltlich.
Weil ganz Europa sehnsüchtig nach Erfolgen im Kampf gegen Corona an der Medizinfront wartet, hat die EMA ein vor vier Jahren eingeführtes Notfallprogramm aktiviert: Normalerweise müssen alle Studien zur Zulassung eines Medikaments vor einem Prüfverfahren durch die EMA eingereicht werden, das dauert. Bei Medikamenten gegen das neue Coronavirus soll es nun deutlich schneller gehen: Da sondiert eine Art ständiger Expertenausschuss die Lage bei aussichtsreichen Mitteln permanent. Sobald vorläufige Daten ergeben, dass eine Zulassung medizinisch Sinn macht, also mehr Nutzen als Schaden bringt, wird sie auf Antrag der herstellenden Firma vorläufig erteilt. Ändert sich die Datenlage, kann sie auch wieder entzogen werden. In Sachen Remdesivir postet die EMA die Updates, sobald sie vorliegen – und hat in ihrem jüngsten vom 11. Mai Remdesvir empfohlen, zum Einsatz bei Covid-19-Patienten mit schwerem Verlauf.
Man möchte keine falschen Hoffnungen wecken
Jedoch sagte EMA-Chef Rasi vor dem EU-Parlament auch in Bezug auf Impfstoffe immer wieder, dass er keine Hoffnungen wecken wolle, die später enttäuscht würden. Auch Hersteller Gilead, der in eigenen Studien eine Wirksamkeit des Medikaments gezeigt hat, betreibt ein eher zurückhaltendes Erwartungsmanagement: „Bitte verstehen Sie unsere zurückhaltende Kommunikation: Bei Remdesivir handelt es sich um eine Substanz in der klinischen Prüfung [...] und es wurde noch kein Nachweis für seine Wirksamkeit und Sicherheit in irgendeiner Indikation erbracht“, schreibt ein Sprecher auf Anfrage.
In Deutschland nahmen drei Klinken an der internationalen Studie unter der Leitung von Gerd Fätkenheuer von der Uniklinik Köln teil. Er geht davon aus, dass sich am wesentlichen Ergebnis der Studie nichts mehr ändern werde. Die Datenlage, dass Remdesvir helfe, sei Ende April so klar gewesen, dass sich die Studienleitung in den USA entschieden habe, die Studie zu „entblinden“. Sprich, Patient*innen, die bisher das Placebo erhalten haben, sind auf Remdesivir umgestellt worden. Einfach deshalb, weil behandelnden Ärzte darum baten; sie wollten nicht Patienten sterben lassen, denen sie möglicherweise helfen könnten.
In Deutschland selbst sind im Rahmen der Studie bisher 13 Patient*innen behandelt worden, die Ärzte wissen bis heute nicht, wer Remdesivir und wer das Placebo bekommen hat. Aber die Datenlage sei eindeutig, sagt Fätkenheuer. „Ich warne vor Übertreibungen in beide Richtungen: Remdesivir ist auf kein Fall ein Wundermittel. Aber es wirkt definitiv gegen das neue Coronavirus“, sagt er der taz. Möglicherweise würden sich künftig auch noch bessere Ergebnisse erzielen lassen: So hätten an der Studie auch bereits schwerst Erkrankte teilgenommen, bei denen Remdesivir vermutlich zu spät kam. Hätten sie das Mittel früher bekommen, hätten sie vielleicht überlebt.
Ähnlich beschreibt es Peter Liese, CDU-Politiker, selbst Arzt und gesundheitspolitischer Sprecher der EVP-Fraktion im EU-Parlament, nach Gesprächen mit der EMA und Virologen: „Man kann Remdesivir nicht jedem geben, der hustet“, sagt er. Es gebe wahrscheinlich nur ein kleines Zeitfenster, in dem der Wirkstoff helfe. Dann, wenn ein schwerer Verlauf von Covid-19 absehbar ist und noch genug Virus im Körper sei. Zu einem bestimmten Zeitpunkt sei die Viruslast geringer, aber die Krankheit gehe in ein tödliches Stadium. Dann helfe wohl auch Remdesivir nicht.
Das Mittel könnte zum Politikum werden
Eine Hilfe scheint Remdesivir also zu sein – und so könnte das Mittel zu einem Politikum werden. Weil es schlicht noch nicht ausreichend verfügbar ist. Bis Ende des Jahres könne man eine Million Behandlungen sicherstellen, schreibt Gilead, weil möglicherweise geringere Dosen bereits helfen, eventuell auch mehr. Man sei dabei, ein internationales Konsortium aufzubauen, um die Produktion zu steigern, so die Firma auf Anfrage.
Die BBC berichtet, mit fünf Generika-Herstellern in Indien und Pakistan seien bereits Vereinbarungen getroffen worden, um das Medikament gebührenfrei herzustellen. Ob in Deutschland oder Europa produziert werden soll, dazu macht die Firma keine Angaben – das Bundesgesundheitsministerium teilte mit, man stehe mit Gilead und Frankreich in Kontakt, um die Produktion zu erhöhen.
CDU-Politiker Liese sagt nach Gesprächen mit der Firma, dort fürchte man, dass Donald Trump einen Exportstopp verhängen könnte – was aber unklug wäre: Laut dem Fachmagazin Statnews ist die Produktion eines Medikaments wie Remdesviri alles andere als trivial und vor allem von Zulieferern aus China und anderen Staaten abhängig.
Doch auch ohne Trump-Spinnereien ist völlig unklar, wie das Medikament verteilt werden soll, wenn vor allem in den nächsten Monaten die Nachfrage die Produktion um ein Vielfaches übersteigen könnte. Auch der Preis ist offen: Den kann das Unternehmen in Deutschland im ersten Jahr frei festlegen, erst dann wird mit den Kassen verhandelt. Und möglicherweise wird das Medikament nur ein Jahr lang benötigt, weil es danach einen Impfstoff gegen Sars-Cov-2 geben könnte.
Keinen Einfluss auf die Debatte um Lockerungen
Als Gilead 2014 das Medikament Sovaldi auf den Markt brachte, das Hepatitis C heilen kann, war es zwischenzeitlich das teuerste Medikament der Welt. Eine Therapie kostete bis zu 120.000 Euro. Erst nach einem Untersuchungsausschuss in den USA und intensiven Verhandlungen in Deutschland senkte Gilead die Preise. Damals habe sich das Unternehmen sehr unbeliebt gemacht. „Ich habe den Unternehmen klar signalisiert: Wenn ihr dauerhaft hier verkaufen und forschen wollt, dann müsst ihr uns in der Krise auch entgegenkommen“, sagt Liese heute. Er bringt Zwangslizenzen ins Spiel, die EU-Staaten koordiniert auf nationaler Ebene einführen könnten. Dann müsse Gilead anderen Herstellern Lizenzen erteilen – und der Staat bestimmt den Preis.
Selbst wenn Remdesivir in den nächsten Tagen in der EU vorläufig zugelassen wird: Auf die aktuellen Debatte um Lockerungen dürfte es keinen Einfluss haben. „Remdesivir ist kein Argument gegen die immer noch nötige Abstandsregeln im öffentlichen Lebens“, sagt Liese. Das Gegenteil sei der Fall: Der Wirkstoff sei ein Baustein, der dabei helfe, Menschenleben zu retten.
Auch der Einsatz anderer Medikamente, um Symptome von Covid-19 einzudämmen, werde immer effektiver. Wenn eher im Dezember als im September genug Remdesivir zur Verfügung stehe, dann sei das ein Argument, die Einschränkungen so lange fortzuführen.
Der Mediziner Fätkenheuer sieht ebenfalls viele Fragen rund um Remdesivir offen. Es sei noch deutlich zu früh einzuschätzen, ob das Mittel die öffentliche Situation beeinflusse. „Was wir aber sicher sagen können: Wir haben jetzt zum ersten Mal ein Medikament mit nachgewiesener Wirksamkeit.“
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