Medienethik im Internetzeitalter: „Wer soll es sonst machen?“
Robert Hodonyi wurde zum neuen Vorsitzenden des Bremer Medienrats gewählt. Im Interview erzählt er, wo er die Aufgaben des Gremiums sieht
Taz: Herr Hodonyi, warum haben Sie sich zum Vorsitzenden eines Gremiums wählen lassen, das niemand kennt?
Robert Hodonyi: Es stimmt, dass von 100 Bremern und Bremerinnen 95 wahrscheinlich nicht wissen, was der Medienrat ist. Aber gerade das möchte ich gemeinsam mit den Mitgliedern ändern. Ich möchte, dass er sichtbarer wird und Debatten über Entwicklungen in der Medienlandschaft anstößt.
Welche meinen Sie?
Zum Beispiel über die Weiterentwicklung des Bürgerrundfunks. Dem sollte gerade in diesen Zeiten, die geprägt sind von einem Vertrauensverlust in Demokratie und Medien – Stichwort „Lügenpresse“ – eine größere Bedeutung als partizipatives Medium zukommen. Und das ist wichtig, gerade jüngeren Leuten zu vermitteln, denen als „Generation Youtube“ ganz andere Kanäle offen stehen.
39, war freier Journalist und arbeitet seit 2010 als wissenschaftlicher Mitarbeiter der grünen EU-Abgeordneten Helga Trüpel . Er vertritt die Grünen in der parlamentarischen Kulturdeputation und hat zur Intermedialität in der klassischen Moderne promoviert. Dem Medienrat gehört er seit knapp drei Jahren an.
Und die einen Bürgerrundfunk deshalb nicht mehr brauchen.
Das sehe ich anders. Es gibt in Nordrhein-Westfalen den crossmedialen Sender Nrwision, eine gelungene Zusammenarbeit mit dem Institut für Journalistik an der Universität Dortmund. Etwas ähnliches könnte ich mir für Bremen auch vorstellen.
Der Studiengang Journalismus an der Hochschule Bremen wurde abgewickelt…
Aber es gibt in Bremerhaven den Studiengang Mediendesign und an der Bremer Universität Digitale Medien und Medienkultur. Ich möchte Denkanstöße für neue Kooperationen in diesem Feld geben.
Der Medienrat ist das ehrenamtlich tätige Beschlussgremium der Bremischen Landesmedienanstalt (Brema), die als Anstalt des öffentlichen Rechts die Aufsicht über den privaten Rundfunk inne hat und Medienkompetenz fördern soll.
Mit einfacher Mehrheit stimmen die maximal 33 Mitglieder des aktuellen Medienrats über Zulassungen und Frequenzzuweisungen sowie über die Haushalts- und Wirtschaftsführung der Brema ab.
Im November entscheidet der Medienrat über die Vergabe einer Frequenz.
Welche noch?
Wir haben in Bremen immer noch keine Gesamtstrategie zum Thema Medienkompetenz. Gewünscht ist diese, das steht so auch im Koalitionsvertrag.
Warum braucht es die?
Wir sind von einer unüberschaubaren Vielzahl von Medien umgeben, der größte Teil der 14- bis 49-Jährigen sind über ihr Smartphone ständig verbunden mit sozialen und anderen Medien. Da ist es zum Teil existenziell wichtig, souverän mit persönlichen Daten in einem öffentlichen Raum umgehen zu können oder sich vor Cyber-Mobbing schützen zu können. Es gibt Schulen und Kindertagesstätten, die zu dem Thema arbeiten, aber auch immer noch viele Lehrkräfte und Erzieherinnen, die sehr verunsichert sind. Und Medienkompetenz brauchen alle, altersunabhängig.
Als Landesmedienanstalten und Medienräte gegründet wurden, ging es um private Sender. Überfordern Sie sich nicht, wenn Sie sich jetzt auch noch ums Internet kümmern?
Wer soll es denn sonst machen? Natürlich ist es total schwierig, auf die fundamentalen Umbrüche, die die Digitalisierung mit sich bringt, zu reagieren – und das Netz wird immer einen Schritt voraus sein. Aber die medienethischen Ansprüche, die wir haben, können wir deshalb doch nicht aufgeben, zumal auch Rundfunk- und Fernsehsender immer stärker die digitale Schiene nutzen.
Wenn ein Privatsender etwa Werbung nicht kennzeichnet, dann haben Sie eine Adresse und können einschreiten. Für wen wollen Sie im weltweiten Netz als Bremer Einrichtung zuständig sein?
Wenn wir einen Youtuber hätten, der aus Bremen sendet mit Hunderttausenden Abonnenten und gegen Gesetze verstößt, dann wäre es Aufgabe der Bremischen Landesmedienanstalt (Brema), auf ihre Einhaltung zu pochen. Der Medienrat ist aber ohnehin kein reines Wächterorgan, sondern hat ebenso wie die Brema auch den Auftrag, Medienkompetenz zu fördern. Und da gibt es einiges zu tun, ich denke dabei auch an den Umgang mit Hasspropaganda, Islamismus und Rechtsextremismus im Netz. Interessant wäre in diesem Zusammenhang eine verstärkte Zusammenarbeit mit Akteuren der politischen Bildung.
Ich würde gerne über die Zusammensetzung des Medienrats sprechen. Nur ein Viertel der Mitglieder sind Frauen.
Das ist nicht gut, das stimmt. Da müsste man an die Organisationen appellieren, mehr Frauen zu entsenden.
Die müssten sich untereinander abstimmen: Ich schicke eine Frau, du einen Mann. Vor der Novelle des Landesmediengesetzes 2012 wurde die Hälfte der Mitglieder von der Bürgerschaft gewählt.
Die Novelle sieht ja auch einen Wechsel zwischen Männern und Frauen bei Neuentsendung vor. Zum zweiten Punkt: Generell finde ich es richtig, dass die Parteien nicht mehr so einen großen Einfluss haben wie früher.
Der Medienrat von Berlin und Brandenburg hat nur sieben Mitglieder, alles Medienexperten. In Bremen sind 33 Organisationen vertreten. Wäre es nicht sinnvoll, das Gremium zu verkleinern und mit Profis zu besetzen?
Nein, ich finde es richtig, nicht nur Personen dort drin zu haben, die beruflich mit Medien zu tun haben, sondern darin die gesellschaftliche Vielfalt abzubilden.
Aber die findet sich ja nie wieder. Irgendwer fehlt immer und sei es der Landesbauernverband.
Was „gesellschaftliche Vielfalt“ bedeutet, muss immer wieder geprüft und debattiert werden. Wer aus meiner Sicht wirklich fehlt, sind jüngere Menschen. Es wäre schön, wenn die verfassten Studierendenschaften ihren Sitz noch besetzen würden. Und eigentlich müsste man auch der Gesamtschülervertretung einen Platz einräumen. Wir haben ein Wahlalter ab 16, aber im Medienrat sind die Schüler und Schülerinnen nicht vertreten.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
Starten Sie jetzt eine spannende Diskussion!