Medien und die G20-Straftäterverfolgung: Der Journalist, dein Freund und Helfer
Bei der Verfolgung mutmaßlicher G20-Straftäter leisten einige Hamburger Medien der Polizei gute Dienste und fungieren als willfährige Hilfssheriffs.
Erst nachdem ihre Vorgesetzten in der Redaktion durch einen taz-Artikel davon Wind bekommen hatten, dass die Reporterin und ihr Kollege Rüdiger G. sich als Zeugen im „G20-Prozess“ gegen Nico B. angedient hatten, zog die Journalistin es vor, sich hinter ihrer Krankschreibung zu verstecken. Das war am vergangenen Mittwoch. Dass die beiden KollegInnen sich ohne Absprache mit der Redaktionsspitze aus eigenem Antrieb bei der Staatsanwaltschaft als Belastungszeugen angeboten hatten, kam in der MoPo nicht gut an – verstößt es doch gegen alle journalistischen Grundsätze und Gepflogenheiten. Vor Gericht haben Journalisten ein umfangreiches Zeugnisverweigerungsrecht. Sie sollen über Prozesse berichten, nicht aktiv in sie eingreifen.
Doch eine Verurteilung des 27-jährigen Nico B., dem vorgeworfen wird, am Abend der „Welcome-to-Hell“-Demo einen Polizeihubschrauber mit einem Laserpointer attackiert zu haben, ist ohne die beiden MoPo-Reporter kaum denkbar. Nach dem Angriff hatten sie ein Interview mit Annika S.*, der Lebensgefährtin von Nico B., geführt. „Ihm war nicht bewusst, dass er jemandem schaden könnte“, nimmt sie darin ihren Partner in Schutz, behauptet damit aber auch seine Täterschaft. Ein Zitat, so räumte Rüdiger G. vor Gericht ein, das die Interviewte nie autorisiert habe.
Vor der Polizei hat die Frau diese Aussage nicht wiederholt und sich auf ihr Aussageverweigerungsrecht berufen. Auch der Angeklagte schweigt. Da beide den Laserpointer auf den Helikopter hätten richten können, ist das Interview ein zentrales Beweismittel, auf dem die Staatsanwälte ihre Anklage gegen Nico B. aufbauen und auf dem eine mögliche Verurteilung fußen könnte.
TV-Rohmaterial für die Ermittler
Kein Einzelfall: Seit dem G20-Gipfel im vergangenen Juli wurde in vielen Hamburger Redaktionen der Grundsatz, dass Journalisten Staatsanwaltschaft und Polizei kontrollieren, über Bord geworfen. Viele Medien signalisieren den Strafverfolgungsbehörden stattdessen: der Journalist, dein Freund und Helfer. Immer mehr Medienschaffende gefallen sich darin, bei der Enttarnung mutmaßlicher G20-„Krawallmacher“ mitzumischen.
So forderte die Polizei im Zuge der G20-Ermittlungen zahlreiche Medienhäuser auf, ihr nicht veröffentlichtes Bildmaterial zur Verfügung zu stellen, um StraftäterInnen zu identifizieren. Die öffentlich-rechtlichen Anstalten lehnten mit dem Hinweis ab, das Material diene der Berichterstattung und nicht der Strafverfolgung. Andere Medien aber, etwa die RTL-Gruppe und mindestens eine TV-Produktionsfirma, kamen der polizeilichen Bitte nach und lieferten Rohmaterial an die Ermittler.
Als die Polizei Ende 2017 104 Fotos von Verdächtigen veröffentlichte und damit die größte Öffentlichkeitsfahndung in der Geschichte der Bundesrepublik startete, druckten fast alle Hamburger Zeitungen die Porträts ab – ohne nachzuprüfen, was gegen die Abgebildeten vorliegt. Die Bild-Zeitung hob das Bild einer 17-Jährigen, deren Privatsphäre aufgrund ihres Alters unter besonderem Schutz steht, auf die Titelseite und brandmarkte sie als „Krawall-Barbie“. Der Presserat billigte das Vorgehen des Boulevardblattes später gar als presserechtlich in Ordnung.
Für die Polizei lohnt sich dieser Schulterschluss mit den Hamburger Medien. Mehr als zwei Dutzend Verdächtige wurden dank der multimedialen Hilfe identifiziert. Weil das lief wie geschmiert, kündigten die Ordnungshüter bereits die nächste öffentliche Großfahndung gegen G20-Täter für die kommenden Wochen an.
*Name geändert
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