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Medien nach Machtübernahme der TalibanSchaut wieder nach Afghanistan!

Nach der Machtübernahme der Taliban im August 2021 sollte das deutsche Bundesaufnahmeprogramm Journalisten helfen. Doch es hat große Tücken.

Frauen als Reporterinnen sind in Afghanistan doppelt gefährdet Foto: ddp images

Es scheint lange her und weit weg: Bewaffnete Kämpfer nehmen Kabul ein, verzweifelte Menschen strömen zum Flughafen und versuchen, das Land zu verlassen. Im August 2021 kamen die Taliban in Afghanistan erneut an die Macht. Die chaotischen Szenen der Evakuierung gehen damals um die Welt. Heute, mehr als zweieinhalb Jahre später, hat die internationale Aufmerksamkeit stark abgenommen. Anders als das Leid vieler Menschen vor Ort.

Reporter ohne Grenzen (RSF) erreichen weiter verzweifelte Anfragen von Jour­nalist*in­nen, die wegen ihrer kritischen Recherchen von den Taliban verfolgt werden. Manche müssen das Land verlassen, um nicht im Gefängnis zu landen. Die Taliban gehören zu den größten Feinden der Pressefreiheit weltweit.

Gerade meldete sich eine Journalistin bei Reporter ohne Grenzen, die sich trotz der Risiken entschieden hat, im Land zu bleiben und weiter zu berichten. Nun wurde sie festgenommen und kam erst nach mehreren Tagen frei. Die Journalistin – als Frau und Reporterin gleich doppelt gefährdet – überlegt, zu fliehen. Das Dilemma: In einem Nachbarland wäre sie zwar erst mal vor den Taliban sicher. Dort kann RSF ihr aber nicht mehr helfen, im Bundesaufnahmeprogramm Afghanistan (BAP) der deutschen Bundesregierung berücksichtigt zu werden.

Das am 17. Oktober 2022 angelaufene BAP war ein Hoffnungsschimmer für viele afghanische Journalist*innen. Jeden Monat wollte die Bundesregierung 1.000 gefährdete Af­gha­n*in­nen nach Deutschland holen. Doch die eigentlich begrüßenswerte Initiative erfüllt aus Sicht von RSF nicht das, was sie versprochen hat: Anderthalb Jahre nach dem Start sind über das BAP erst rund 350 Personen nach Deutschland eingereist.

Unter ihnen sind zwei von RSF vorgeschlagene Familien. Rund ein Dutzend weitere Jour­na­lis­t*in­nen haben zumindest schon Aufnahmezusagen erhalten. Ein zentrales Problem: Das BAP schließt zunächst in Drittstaaten geflohene Medienschaffende aus.

Organisationen wie RSF können nur Fälle von Personen einreichen, die sich zu dem Zeitpunkt noch in Afghanistan aufhalten. Doch nach dem Fall Kabuls im August 2021 sind zahlreiche gefährdete Jour­na­lis­t*in­nen auf eigene Faust in Nachbarländer geflüchtet. Mitarbeitende der Bundesregierung hatten afghanischen Medienschaffenden damals geraten, schnellstmöglich dorthin auszureisen. Langsame, intransparente Prozesse und eine komplizierte Sicherheitsüberprüfung in Islamabad bremsen das Programm zusätzlich.

Medienpluralismus zerstört

Was die Taliban angerichtet haben, zeigt sich auch im Vergleich mit der Zeit vor ihrer Machtübernahme. So hatte sich in den vorangegangenen 20 Jahren in Afghanistan eine lebendige und plurale Medienlandschaft entwickelt. Die Taliban haben große Teile davon zerstört. Mehr als die Hälfte der 547 Medien, die noch 2021 registriert waren, sind nach Angaben einer Studie der Afghan Independent Journalists Association (AIJA) aus dem Jahr 2023 verschwunden. Von den rund 12.000 Medienschaffenden, die 2021 noch in Afghanistan arbeiteten, haben inzwischen mehr als zwei Drittel ihren Beruf aufgegeben.

Nach ihrer Machtübernahme haben die Taliban zudem Frauen weitgehend aus der Medienlandschaft verdrängt. Mehr als 80 Prozent der afghanischen Journalistinnen mussten inzwischen ihre Arbeit aufgeben.

Die Medienschaffenden, die nicht ihren Beruf aufgeben mussten oder das Land verlassen haben, arbeiten unter prekären Bedingungen. Ihre Arbeit war zwar schon vor August 2021 gefährlich. Neben den Taliban hat auch der „Islamische Staat“ (IS) Anschläge verübt. Doch mit dem Machtwechsel kamen zahlreiche Vorschriften der Taliban hinzu.

In der Provinz Kandahar etwa dürfen Jour­na­lis­t*in­nen keine Fotos und Videos mehr während Treffen von lokalen Taliban-Vertretern aufnehmen. In der Provinz Chost dürfen Frauen nicht mehr in Radio-und Fernsehsendungen sprechen. Hinzu kommen strikte Kleidervorschriften für Journalistinnen im ganzen Land. Die Taliban machen Medien auch inhaltliche Vorgaben, sie drohen und verfolgen Jour­nalist*in­nen, greifen sie körperlich an, nehmen Re­por­te­r*in­nen fest, zensieren Berichte und durchsuchen Redaktionen. Auch Exilmedien müssen daher unter strikten Sicherheitsvorkehrungen arbeiten: Re­por­te­r*in­nen in den verschiedenen Provinzen des Landes kennen einander nicht und veröffentlichen unter Pseudonym.

Widerstand aus dem Exil

RSF erinnert aber auch an den Widerstand afghanischer Journalist*innen. Sie recherchieren trotz schwierigster Bedingungen vor Ort weiter oder informieren die Bevölkerung aus dem Exil – auch wenn der Weg ins Exil für die meisten Medienschaffenden voller Fallstricke und Umwege ist.

Der Gründer des investigativen Online-Magazins Etilaatroz, Zaki Daryabi, floh im Oktober 2021 aus Kabul. Vor seiner Abreise wurden sein jüngerer Bruder und ein Etilaatroz-Kameramann festgenommen und verprügelt, als sie über einen Frauenprotest in Kabul berichteten. Auch Daryabi erhielt eine Vorladung. Er ging aber nicht zur Polizei, um nicht festgenommen zu werden. Ihm und anderen Mitarbeitenden des Magazins gelang es vielmehr, Flugtickets zu bekommen und das Land zu verlassen. In den USA konnte Daryabi einen Teil des über die ganze Welt verstreuten Teams von Etilaatroz wieder zusammenbringen, um sein Online-Magazin und die Online-Zeitung KabulNow neu zu starten. Beide Medien haben inzwischen mehrere Mitarbeitende im US-Bundesstaat Maryland und Kor­re­spon­den­t*in­nen in Afghanistan. Ihre Online-Le­ser*in­nen­schaft wächst.

Diese Entwicklung haben die Taliban nicht vorausgesehen: Eine neue Generation von vernetzten Afghan*innen, die sich seit zwei Jahrzehnten an den Konsum relativ freier und pluralistischer Medien gewöhnt hatten und sich von den Taliban nicht vorschreiben lassen, wie sie denken und kommunizieren sollen, ist entstanden.

Die Autorin ist Pressereferentin bei Reporter ohne Grenzen in Berlin mit dem Schwerpunkt Asien

Afghanistan: Rangliste der Pressefreiheit: Platz 178

Dieser Artikel ist am 3. Mai 2024 als Teil einer gemeinsamen Sonderbeilage der taz Panter Stiftung und Reporter ohne Grenzen zum Tag der Pressefreiheit erschienen. Weitere Infos hier.

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4 Kommentare

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Kommentarpause ab 30. Dezember 2024

Wir machen Silvesterpause und schließen ab Montag die Kommentarfunktion für ein paar Tage.
  • Der Rückzug der ISAF war ein großer Fehler! Nur deshalb gibt es jetzt wieder Steinigungen!

  • Wir haben 20 Jahre lang nach Afghanistan geschaut. Das Ergebnis ist niederschmetternd. Finger weg von Afghanistan, Mali und Sudan.

    • @Kurt Kraus:

      Leider wahr.

  • "Jeden Monat wollte die Bundesregierung 1.000 gefährdete Af­gha­n*in­nen nach Deutschland holen."



    Da hilft wohl auch keine "feministische Aussenpolitik" mehr; Frau Baerbock!



    Es ist unerträglich wie schlafwandlerisch unsere Verwaltung mit der Situation umgeht.



    Wie weltentfremdet unsere Verwaltung mit den menschlichen Tragödien von verfolgten Demokraten und Journalisten umgeht und durch dieses unzureichende Handeln den betroffenen Menschen noch zusätzlich schadet. In "unserem Paradies lebend" sind wohl immer mehr Bürger dem wahren Leben mehr und mehr mental entrückt.



    Auch in diesem Zusammenhang stellt sich wiederholt die Frage, wie es uns selbst im Falle einer Notlage im Ausland ergehen wird, wenn wir um Hilfe bei unserer Regierung und deren Verwaltung bitten. Ich bin da mittlerweile mehr als enttäuscht und erhoffe mir in solchen Fällen keinerlei Unterstützung mehr. Die Ignoranz und Unfähigkeit Menschen aus Notsitutionen zu helfen ist scheinbar grenzenlos gewachsen.



    Und das bittere daran, wir bezahlen dieses Verhalten zudem noch mit unseren Steuergeldern. Daher meine Empfehlung, spart Steuern und unterstützt die wahren Helfer in der Not; NGO`s, auch wenn von von unserem Finanzministerium versucht wird einigen die Gemeinnützigkeit zu verweigern.