Medien in der Türkei: Linke gucken Fox News
Fox News gilt als stramm konservativ. Nicht so in der Türkei: Das türkische Fox TV ist der letzte große und unabhängige Kanal des Landes.
Auch bei den meisten anderen Sendern und Printmedien im weltweiten Imperium des australischen Medienmoguls Rupert Murdoch kann man sicher sein, dass sie ein stramm konservatives bis rechtsradikales Publikum bedienen.
Doch es gibt eine Ausnahme im Murdoch-Reich: Wenn in der Türkei ein linker Intellektueller Nachrichten im Fernsehen schaut, kann man fast sicher sein, dass er die türkische Ausgabe von Fox News eingeschaltet hat. Wenn sich ein Sender in der Türkei überhaupt noch traut, einen kurdischen Politiker zu einer Diskussionsrunde einzuladen, kann man sicher sein, dass es Fox TVist. Und wenn in einem Mainstreamkanal die enormen Preiserhöhungen von Lebensmitteln aufs Korn genommen werden, kann es wiederum nur Fox News sein.
Die Regierung von Recep Tayyip Erdoğan wollte den Sender stoppen und ließ über die Medienaufsicht ein dreitägiges Sendeverbot für den 4., 5. und 6. Februar verhängen. Doch ein Gericht hob das Sendeverbot auf und Fox News konnte seine Zuschauer auch an den vergangenen drei Tagen mit Infos über explodierende Zwiebelpreise versorgen.
Aufruf zu Gelbwesten-Protest
Als Murdoch 2006 für nur 96 Millionen Dollar den Sender kaufte, wurden dort vor allem Seifenopern und Spielshows abgespult. Doch je mehr Fernsehsender die Regierung unter ihre direkte Kontrolle zwang, umso mehr wuchs Fox News in seine Rolle als letzter großer regierungsunabhängiger Fernsehkanal.
Das Gesicht dieses unabhängigen Programms ist Fatih Portakal, der Anchorman für die Nachrichtenprogramme des Senders. Jeden Abend führt er sein Publikum eine Stunde lang mit Mut, Verve und Witz durch das politische Geschehen.
Manches Mal, wenn er die Regierung wieder einmal besonders pointiert kritisierte, fürchtete seine zunehmend größer werdende Fangemeinde, Portakal werde wie so viele kritische Journalisten vor ihm vom Bildschirm verschwinden und als angeblicher „Terror-Propagandist“ vor Gericht auftauchen. Doch Portakal blieb. Selbst einen direkten Angriff von Erdoğan auf ihn persönlich hat er bislang überstanden.
Als die türkische Regierung sich im Dezember besonders heuchlerisch über Polizeiübergriffe auf Gelbwesten-Demonstranten in Frankreich beklagte, rief Portakal seine sechs Millionen Follower auf Twitter auf, in der Türkei dem Beispiel der Gelbwesten zu folgen: „Los, lasst uns einen friedlichen Protest machen gegen die Preissteigerungen, gegen die hohen Erdgaspreise. (…) Wie viele Menschen werden sich wohl trauen, in der Türkei auf die Straße zu gehen?“ Erdoğan griff Portakal daraufhin öffentlich an, die Medienaufsichtsbehörde verhängte eine hohe Geldstrafe und das nun wieder aufgehobene Sendeverbot.
Regierung kontrolliert 90 Prozent aller TV-Kanäle
Dass der Murdoch-Mutterkonzern seine türkische Tochter gewähren lässt und sogar hinnimmt, dass Portakal auch lautstark den amerikanischen Imperialismus im Nahen Osten beklagt, hat einen guten Grund: Fox News ist zum meistgesehenen und damit hochprofitablen Sender in der Türkei geworden.
Nach einer Studie, die die Nachrichtenagentur Reuters und die Universität von Oxford durchgeführt haben, nennt jeder zweite türkische Fernsehzuschauer Fox News als Hauptnachrichtenquelle. Wichtigstes Argument: Fox News sei der letzte unabhängige Fernsehkanal in der Türkei.
Tatsächlich kontrolliert die Regierung direkt oder indirekt rund 90 Prozent aller TV-Kanäle, seit im letzten Frühjahr auch der Doğan-Konzern gezwungen wurde, seine Mediensparte mit dem Fernsehsender Kanal D und der Zeitung Hürriyet an einen Erdoğan nahestehenden Geschäftsmann zu verkaufen.
Gerade jetzt vor den Kommunalwahlen im März, bei denen die Regierungspartei AKP die Metropolen Istanbul und Ankara verlieren könnte, ist Fatih Portakal mit Fox News zur wichtigsten Stimme in der türkischen Medienlandschaft geworden.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Internationaler Strafgerichtshof
Ein Haftbefehl und seine Folgen
Krieg in der Ukraine
Geschenk mit Eskalation
Umgang mit der AfD
Sollen wir AfD-Stimmen im Blatt wiedergeben?
Krieg in der Ukraine
Kein Frieden mit Putin
Warnung vor „bestimmten Quartieren“
Eine alarmistische Debatte in Berlin
Nan Goldin in Neuer Nationalgalerie
Claudia Roth entsetzt über Proteste