Medien in Spanien: Im Griff der Mächtigen
Die spanische Regierung hat Angst vor Podemos. Deswegen werden Journalisten nun auf Linie gebracht, versetzt oder sogar entlassen.
MADRID taz | Zwei Wochen dauerte es, bis der spanische TV-Moderator Jesús Cintora auf dem Kurznachrichtendienst Twitter erste Worte fand. „Ihr wisst, dass sie beschlossen haben, dass ich nicht weitermache. Es ist nicht leicht, aber ich lass mich nicht unterkriegen“, lautete die Nachricht Cintoras an seine Fans, nachdem er pünktlich zur Osterwoche als Moderator der allmorgendlichen Politiktalkshow im Privatsender Cuatro abgesetzt worden war. Betreiber Mediaset begründete dies mit dem „klaren Ziel, die Zuschauer mit Pluralismus zu informieren, mit Moderatoren, die die Informationen objektiv darstellen“.
Die Entscheidung kam überraschend und war doch die Chronik eines angekündigten Todes. Cintora war vielen zu kritisch. Er überging keinen noch so kleinen Fehltritt der regierenden konservativen Partido Popular (PP) unter Ministerpräsident Mariano Rajoy. Seine Gäste debattierten über die tiefe Krise des Zweiparteiensystems, das Spanien seit Ende der Diktatur regiert. Korruption war ein wichtiges Thema. Berichte über die Opfer der Sparpolitik durften nicht fehlen. Cintora ließ neue Stimmen aus der Mitte der krisengeschüttelten Gesellschaft zu Wort kommen. Allen voran Vertreter der neuen Protestpartei Podemos (Wir können). Dem Fernsehmoderator wurden gute Beziehungen zu deren Gründer Pablo Iglesias nachgesagt.
Cintoras Linie hatte Erfolg. In seinen zwei Jahren bei „Las manañas de Cuatro“ stieg die Zuschauerquote von gerade einmal sechs Prozent auf über 13 Prozent. Seine Nachrichtenshow war immer wieder das meistgesehene Programm am Morgen.
Doch was dem Publikum gefällt, war nicht nach dem Geschmack der Mächtigen im Lande. Es war ein offenes Geheimnis, dass immer wieder vor allem Vertreter der regierenden PP beim Sender vorstellig wurden, um sich über Themenwahl und Gäste Cintoras zu beschweren. Die Chefetage bei Mediaset gab dem Druck nun nach. In zwei Monaten stehen Kommunal- und Regionalwahlen und im Herbst Parlamentswahlen an. Die beiden großen Parteien – PP und die sozialistische PSOE – rutschen seit Monaten bei den Umfragen ab. Spanien steht – darauf deutet alles hin – vor dem Ende des Zweiparteiensystems. Fernsehauftritte neuer Kräfte wie Podemos sind deshalb nicht länger erwünscht.
Das Druckmittel der Regierung: Es ist geplant, zusätzliche Frequenzen für das Digitalfernsehen zu vergeben. Alle in der Branche wissen, nur wer sich gut benimmt, wird etwas vom Kuchen abbekommen.
Das mediale Ende von Podemos
Seit etwas mehr als drei Jahren ist Ministerpräsident Rajoy im Amt. Noch nie hat eine Regierung in Spanien so wenig vor der Presse Rede und Antwort gestanden wie das derzeitige Austeritätskabinett. Und noch nie hatte eine Regierung die Medien so im Griff wie die Konservativen. Im öffentlichen Radio und Fernsehen RTVE wurden alle kritischen Geister abgesetzt.
Podemos wurde ausdrücklich von den neuen Chefs zum unerwünschten Thema erklärt. Seit die neue Kraft bei den Europawahlen im vergangenen Mai überraschend acht Prozent erzielte, verging mehr als ein halbes Jahr, bevor Gründer Iglesias interviewt wurde – mit dem Ziel, ihn völlig zu diskreditieren. Unvergessen bleibt die Frage, ob er mit seiner Partei die Freilassung zweier ETA-Terroristen ordentlich gefeiert habe.
„Der Redaktionsrat der Nachrichtenabteilung beim staatlichen Funk und Fernsehen beschwert sich immer wieder über die fehlende Unabhängigkeit der redaktionellen Inhalte“, erklärt Miguel Álvarez, Professor an der Fakultät für Journalismus der Universität im zentralspanischen Cuenca.
Die Liste der Themen, bei denen RTVE der Informationspflicht nicht genüge tut, ist lang: Podemos, die Sozialproteste oder die Mobilisierungen für die Unabhängigkeit im nordostspanischen Katalonien. „Das gilt auch für die regionalen, öffentlichen Fernsehsender“, weiß Álvarez, der auch im Parteivorstand von Podemos in der Region Madrid für das „Recht auf Information“ zuständig ist.
Zuschauer bemerken die Manipulation
Telemadrid ist eines der traurigen Beispiele für die Medienpolitik der PP. Zuerst wurde eine Schattenredaktion eingerichtet, die streng über die Inhalte wachte. Als die Zuschauer ausblieben, weil sie es leid waren, statt eines öffentlichen Fernsehens einen Parteisender vorgesetzt zu bekommen, geriet Telemadrid in die roten Zahlen. Ein Großteil der Belegschaft wurde entlassen. Die Programme werden seither von PP-nahen Unternehmen produziert. In Valencia wurde das Regionalfernsehen gar ganz geschlossen. „Sie treiben die Sender gezielt in den Ruin“, beschwert sich Professor Álvarez.
RTVE – so befürchtet die Belegschaft – soll ähnlich gegen die Wand gefahren werden. „Die semitotalitäre Tendenz der PP gegenüber den öffentlichen Medien ist ziemlich eindeutig. Doch der qualitative Sprung, der die bedauernswerte Lage der Medienlandschaft in Spanien besiegelt, ist die Unterwerfung der großen privaten Mediengruppen“, //:schreibt der Blogger Pere Rusiñol auf der beliebten, unabhängigen Online-Nachrichtenseite El Diario. Nirgends in Europa sind die privaten Medien in den Händen so weniger wie in Spanien. Diese Wenigen sind hochverschuldet.
Als in Folge der Krise die Werbeeinnahmen dramatisch zurückgingen, einigten sich die Unternehmen mit den Banken. Statt Schuldentilgung akzeptierten die Finanzinstitute Aktienpakete und wurden so Teilhaber an den Medienkonzernen. Dies wirkte sich auf die redaktionelle Linie aus.
Bei der katalanischen Vanguardia, der Madrider El Mundo und selbst bei der größten spanischen Tageszeitung El País wurden die Chefredakteure durch der Regierung wohlgesonnene Journalisten ersetzt. El País ging noch einen Schritt weiter. Der Journalist, der bisher über die PP schrieb, wurde als Korrespondent nach Argentinien versetzt. „Auf Druck der Regierung“, heißt es unter Kollegen.
Alle Blätter reden mittlerweile unisono vom Aufschwung, auch wenn die Bürger nichts davon spüren. Alle schießen sich auf Podemos ein – beschimpfen die neue Partei als populistisch, suchen verzweifelt nach Skandalen, um die jungen Politiker in Misskredit zu bringen. Das bisherige Parteiensystem soll gerettet werden, selbst zum Preis der eigenen Glaubwürdigkeit.
Boykottkampagne auf Twitter
Wie es mit Cintora weitergehen wird, weiß keiner. Mediaset plane ihn – so heißt es im Kommuniqué zu seiner Absetzung – „für neue Projekte“ ein. Seit Cintoras Entlassung ist eine Boykottkampagne auf Twitter gegen Cuatro und Mediaset jeden Tag Trending Topic, also Hauptthema im sozialen Netzwerk. Über 90.000 Zuschauer haben eine Solidaritätserklärung mit Cintora auf der Petitionsplattform change.org unterzeichnet.
Petra Reski hat am eigenen Leib erfahren, wie schwer es ist, das Treiben der Mafia in Deutschland publik zu machen. Das liegt nicht nur am Presserecht, sondern auch an der Weigerung, das Problem sehen zu wollen. Mehr in der taz.am wochenende vom 11./12. April 2015. Außerdem: Auf dem Amerikagipfel treffen sich Obama und Raúl Castro. Was bedeutet die angekündigte Öffnung für das Land, das seit fast sechs Jahrzehnten seinen eigenen sozialistischen Weg geht?. Und: Die Codes der Kunstszene und die Gerüche der Rebellion: eine Begegnung mit der Autorin Rachel Kushner. Am Kiosk, eKiosk oder gleich im praktischen Wochenendabo.
„Wenn selbst das rentabelste Fernsehen seine Söhne opfert, um die Götter zu besänftigen, was können wir dann vom Rest erwarten?“, fragt Blogger Rusiñol und gibt die Antwort gleich selbst: „Der Kopf Cintoras ist eine klare Nachricht an die restliche Branche im Superwahljahr mit neuen politischen Kräften, die nicht nur die Regierung, sondern das ganze System in Frage stellen.“ Jetzt wüssten alle – bei den Führungskräften angefangen –, dass die Politik Ernst mache.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Nan Goldin in Neuer Nationalgalerie
Claudia Roth entsetzt über Proteste
Politikwissenschaftlerin über Ukraine
„Land gegen Frieden funktioniert nicht“
Juso-Chef über Bundestagswahlkampf
„Das ist unsere Bedingung“
Internationaler Strafgerichtshof
Ein Haftbefehl und seine Folgen
Verein „Hand in Hand für unser Land“
Wenig Menschen und Traktoren bei Rechtspopulisten-Demo
taz-Recherche zu Gewalt gegen Frauen
Weil sie weiblich sind