Mediatorin über Energiewenden-Probleme: „Vom Ich zum Wir kommen“
Signe Stein vermittelt, wenn es Streit wegen Energiewende-Projekten gibt. Manchmal hilft es da, sich ein negatives Szenario auszumalen.
taz am wochenende: Frau Stein, warum führt die Energiewende zu Streit?
Signe Stein: Weil sie radikale Veränderungen mit sich bringt. Wir müssen unser Leben und unser Verhalten grundsätzlich umgestalten, um dem Klimawandel zu begegnen. Diese Veränderungen ziehen sich durch alle möglichen Lebensbereiche – und kommen alle auf einmal.
Sie arbeiten seit 2006 als Moderatorin und Mediatorin in der Bürgerbeteiligung, ab 2018 auch zum Thema Energiewende. Was unterscheidet das Thema von anderen?
Es braucht bei Konflikten um den Ausbau Erneuerbarer Energien andere Methoden. Im klassischen Wirtschaftsbereich, etwa im Bauwesen, hat man es mit Streit über zu spät gelieferte Fliesen und Bauverzögerungen zu tun, im Gemeinwesen zum Beispiel über zerstrittene Nachbarn wegen Lärm und Müll. Da kommen zwei, drei Konfliktparteien zusammen. Bei Verfahren rund um die Energiewende, also vor allem beim Bau von Solarparks oder Windkraftanlagen, sind sehr viel mehr Personen beteiligt, da wird mit sogenannten Großgruppenverfahren gearbeitet.
62, ist Architektin und vermittelt als Mediatorin in Bürger:innenbeteiligungsverfahren. Sie betreut vor allem Verfahren zum Ausbau Erneuerbarer Energien.
Wie sieht das aus?
Es gibt keine einheitlichen Richtlinien für Beteiligungsverfahren. In der Regel beginnt alles damit, dass ein Unternehmen auf einer Fläche zum Beispiel einen Windpark bauen möchte. Ein sogenannter Projektierer erstellt dann Pläne, dem Eigentümer der Fläche wird ein Angebot gemacht, die Gemeinde und die lokale Bevölkerung werden informiert. In einigen Fällen gründet sich recht schnell eine Bürgerinitiative dagegen. Manchmal wird aber schon vorher ein Bürgerbeteiligungsverfahren angestoßen. So ein Verfahren wird meist von einer Agentur begleitet, die Moderator:innen und – im Konfliktfall – auch Mediator:innen bereitstellt. Beide sind der Allparteilichkeit verpflichtet.
Gab es schon Versuche, Sie zu vereinnahmen?
Immer! Bei jeder Mediation versuchen die Kontrahenten, mich als Mediatorin für sich zu gewinnen. Da heißt es dann: „Aber Sie verstehen doch, worum es uns geht, Sie würden doch auch keinen Solarpark vor Ihrer Haustür haben wollen!“ Meine persönlichen Interessen spielen aber keine Rolle.
Stichwort Allparteilichkeit: Wer finanziert Sie als Mediatorin?
Es heißt ja, von wem ich Geld bekomme, dem bin ich auch verpflichtet. Deshalb versucht man, eine Finanzierung über alle beteiligten Gruppen auf die Beine zu stellen. Für die Kommunen ist das schwierig, weil ihre Haushaltspläne für zwei Jahre aufgestellt werden, die Gelder zweckgebunden sind und meist kein Posten für Mediation vorgesehen ist. In Brandenburg hat das Land deshalb einen Fördertopf für Anschubfinanzierungen bereitgestellt.
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Welche Gegenargumente gegen Energieprojekte begegnen Ihnen?
Beim Bau von Windrädern höre ich auf dem Land öfter: Warum sollen wir unsere Landschaft verschandeln, und das Windrad verschattet auch noch unsere Häuser, während die Städter davon profitieren? Leute sehen zunächst keine Vorteile für sich oder ihre Gemeinde. Und der Nutzen auf nationaler und letztlich globaler Ebene erklärt sich nicht von selbst.
Ein Stadt-Land-Konflikt?
Einerseits ja, aber es gibt auch Leute, deren Grundstücke sich plötzlich für viel Geld verpachten lassen, weil sie sich für eine Anlage eignen, während der Nachbar leer ausgeht. Und der Windpark bringt der Gemeinde Geld ein. Da kann es auch zu Konflikten innerhalb der lokalen Bevölkerung kommen.
Und dann gibt es vielerorts Städter, die zu Ländlern werden, in Teilzeit oder Vollzeit, in schön hergerichteten Bauernhäusern mit Garten …
Genau, und auch da entstehen Ambivalenzen. Es gibt die, die auf der Ökowelle surfen und Klima und Natur schützen wollen, gleichzeitig aber jedes Wochenende 100 Kilometer mit dem Auto hin- und herfahren. Ihnen geht es dann um den Rotmilan, den Schwarzstorch oder den Seeadler, die durch den Bau von Windrädern gefährdet sein könnten. Eigentlich geht es manchen dabei aber auch um den Wertverlust ihres Grundstücks, nur sprechen sie das nicht so gern aus, weil es ihrem am Gemeinwohl orientierten Selbstbild widerspricht.
Bei Gegnern spricht man oft von den Nimbys, ein Akronym für „Not in my backyard“ – „Nicht in meinem Garten“.
Die Menschen auf dem Land sagen: Die Zugezogenen kommen hierher, sind die ganze Woche nicht da, kennen das Dorfleben überhaupt nicht und wollen jetzt den Windpark verhindern, weil sie Tiere und Pflanzen schützen wollen. Für uns aber ist es wichtig, in unserer strukturschwachen Region eine wirtschaftliche Entwicklung zu sehen. In den neuen Bundesländern kommt auch das Ost-West-Thema immer wieder hoch. Dann heißt es: Ihr kommt hierher, kauft hier alles auf. Das hatten wir doch schon mal!
Stoßen Sie bei so viel Abwehr auch an Ihre Grenzen?
Ja, aber dafür gibt es Kollegen, mit denen ich mich austausche. Wichtig ist ja: Diese Personen haben auch Gründe, warum sie so denken und handeln. Ich will herausarbeiten: Was sind die Befürchtungen? Was kann man den Menschen anbieten, damit ihre Vorbehalte oder Sorgen vielleicht nicht gleich ganz verschwinden, aber zumindest kleiner werden? Es geht darum, vom Ich zum Wir zu kommen.
Was ist das Schwerste?
Die Menschen an einen Tisch zu bekommen. Erst wenn das geschafft ist, kann eine Mediation auch Wirkung zeigen. Freiwilligkeit ist da ein Muss.
Haben Sie einen Trick, um Vertrauen aufzubauen?
Es gibt zum Beispiel die Kopfstandmethode. Da spielt man zuerst das negative Szenario durch und fragt, was wäre das Schlimmste, das passieren kann? Die Antwort ist meist: Man zerstreitet sich, und jeder geht seiner Wege. Dann die Gegenfrage: Wie sieht ein positives Szenario aus? Wir gehen aufeinander zu und sprechen miteinander. Und was muss dafür passieren? Das überlegt man gemeinsam.
Welche Rolle spielen die Unternehmen?
Manchmal richten sie ein Dorffest aus, mit Grillwürstchen und Limo. Da gibt es dann ein Informationsangebot, aber Leute, die fürchten ihr Gesicht zu verlieren, können eben auch sagen: Ich geh da wegen des Würstchens hin. Manchmal braucht es so eine Brücke, über die man gehen kann.
Was gibt es außer Würstchen noch für Anreize?
Den Gemeinden steht Geld zu, sobald da ein Windpark steht. Das ist gesetzlich geregelt. Die Höhe der Summe richtet sich nach den Erlösen des Betreibers, da kann es um mehrere zehntausend Euro im Jahr gehen. „Wind-Euro“ wird es umgangssprachlich genannt. Die Gelder sind zwar zweckgebunden und müssen für umwelt- oder klimaschutzorientierte Projekte ausgegeben werden. Aber oft haben sie einen doppelten Nutzen. Ein neues Umwelt-Schulungszentrum oder ein Naturschwimmbad können auch eine touristische Funktion erfüllen.
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