#MeToo-Affäre in der Linkspartei: Ein kultureller Wandel ist nötig
Mit der MeToo-Affäre in den eigenen Reihen könnte die Linkspartei in der Bedeutungslosigkeit versinken.
Sag nix, es ist irre.“ Und „Du Hengst! Du Sugardaddy! Du Roman Polanski!“ Bei solchen Sätzen muss man nicht lange grübeln, worum es in der Unterhaltung geht. Auf jeden Fall um Sex. Im schlimmsten Fall um sexuelle Gewalt. In diesem Fall um die Linkspartei. Die Sätze stammen aus einem Chatverlauf zweier Männer, von denen der eine, der Prahler, der „Hengst“, der „Sugardaddy“, eine bekannte Figur in der hessischen Linken ist und der andere dessen Bekannter. Mit der Enthüllung dieser widerlichen Details hat die Partei nun ihre ganz eigene #MeToo-Affäre. Warum ausgerechnet diese in der Selbst- und Außendarstellung feministische Partei?
Warum nicht? Die Linkspartei ist eine Organisation, wie andere Organisationen auch. Mit klassischen Hierarchien und Abhängigkeitsverhältnissen, mit Menschen, die sich wichtig (und wichtiger) nehmen, die Konkurrent:innen fertigmachen. Die eigene Strahlkraft für politische oder – wie in diesem Fall – private Zwecke nutzen. Mit Menschen, die fertiggemacht werden und sich schlecht zur Wehr setzen können. Daran ändert offenbar auch das feministische Profil der Partei nichts.
Aber ist es tatsächlich so einfach? Auf den ersten Blick scheint die Sache klar: Ein älterer Mann nutzt seinen Bekanntheitsgrad, seine Lebenserfahrungen, seine Machtposition aus, um sich an eine Untergebene ranzumachen, die zu diesem Zeitpunkt auch noch minderjährig ist. Das geht gar nicht, so viel ist klar. Zudem sollte Opfern körperlicher, psychischer, sexueller Übergriffe zunächst unvoreingenommen zugehört und geglaubt werden. Nur spielen bei Vorwürfen dieser Art viele weitere Fragen eine Rolle, auf die es in diesem Fall bislang keine eindeutige Antwort gibt. Was ist genau passiert? Wer hat davon gewusst? Wer hat eingegriffen? Und wer zugeschaut? Wer hat welche politischen Interessen innerhalb der Partei? Und setzt dafür welche Mittel ein?
Um das zu klären, verweist die Bundespartei auf eine sogenannte Vertrauensgruppe im Parteivorstand. Und neuerdings auch auf einen unabhängigen Expertenrat, der eingesetzt werden soll. Der ist auch nötig. Um Machtstrukturen, die Missbrauch jeglicher Art erlauben, zu analysieren und aufzulösen, bedarf es professioneller und vor allem unabhängiger Hilfe von außen. Das ist kein Prozess, der sich mal eben von heute auf morgen erledigt. Da reicht auch kein Verhaltenskodex, da ist ein kultureller Wandel nötig. Was allerdings schon jetzt feststehen dürfte: Mit dieser #MeToo-Affäre schlittert die Linkspartei in eine massive Krise. Und am Ende möglicherweise in die Bedeutungslosigkeit.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Nan Goldin in Neuer Nationalgalerie
Claudia Roth entsetzt über Proteste
Juso-Chef über Bundestagswahlkampf
„Das ist unsere Bedingung“
Politikwissenschaftlerin über Ukraine
„Land gegen Frieden funktioniert nicht“
Bündnis Sahra Wagenknecht
Ein Bestellerautor will in den Bundestag
Internationaler Strafgerichtshof
Ein Haftbefehl und seine Folgen
Nukleare Drohungen
Angst ist ein lautes Gefühl