Maßnahmen für EU-Wirtschaft: Deutschland muss ran
Sind die EU-Staaten finanziell stark genug, um die Corona-Krise zu meistern? Möglich ist, dass Deutschland andere Länder mit absichern muss.
Zuvor senkte die US-Notenbank Fed die Zinsen fast auf null und koordinierte sich mit der Europäischen Zentralbank und den Notenbanken Kanadas, Großbritanniens, Japans und der Schweiz wie schon während der Weltfinanzkrise 2008. Am Freitag vergangener Woche hatten Finanzminister Olaf Scholz (SPD) und Wirtschaftsminister Peter Altmaier (CDU) angekündigt, die Wirtschaft mit Krediten in unbegrenzter Höhe stützen zu wollen. Italien will seine Hilfen von 25 Milliarden Euro aufstocken, Frankreich hat ein Paket von 45 Milliarden Euro für seine Unternehmen angekündigt. Die EU-Staaten stützen ihre Wirtschaft also primär auf nationaler Ebene.
“Liquiditätshilfen“ ist das Wort der Stunde. Was im Prinzip heißt, dass Staaten die Rolle von Banken übernehmen und dafür sorgen, dass Unternehmen flüssig, also liquide bleiben, Rechnungen bezahlen können und später nahtlos den Betrieb wiederaufnehmen können. Doch viele Banken strauchelten bereits vor der Krise und sind in Europa kaum in der Lage, das Risiko zu tragen, selbst gesunden Unternehmen Kredite zur Krisenfinanzierung zu geben.
Was bleibt, sind Staaten. Doch die stehen in der EU finanziell sehr unterschiedlich da. Die Folge ist, dass Italien derzeit Zinsen zahlen muss, wenn es sich Geld leiht, um seine Hilfen zu ermöglichen. Deutschland dagegen gilt als so sicher, dass Investoren dem Land eine Prämie dafür zahlen, wenn sie ihm Geld leihen dürfen. Die Frage ist, ob es deshalb europäische Lösungen geben muss, um die Wirtschaft zu sichern. Sonst retten überschuldete Staaten überschuldete Banken in einer überschuldeten Wirtschaft. Ein Teufelskreis, der zu einer Krise der gesamten Währung führen könnte.
Der ESM soll einspringen
Ein positiver Effekt der vergangenen Krise ist, dass es bereits Institutionen gibt, die gemeinsame Finanzhilfen in die Wege leiten können. Der ESM, der Europäische Stabilitätsmechanismus mit Sitz in Luxemburg, ist eine solche. Er kann zahlungsunfähige Eurostaaten mit Krediten stützen, im Gegenzug müssen Sparmaßnahmen versprochen werden. „Die Zinssätze für Italien gehen hoch, dagegen sollte man das Land jetzt absichern“, sagt deshalb der grüne Finanzexperte Sven Giegold. Er fordert, ESM-Kredite ohne komplizierte Sparauflagen zu gewähren. Schon allein die Ankündigung könnte dafür sorgen, dass Länder wie Italien auch am freien Markt günstiger an Geld kommen.
Weil der ESM von allen Euro-Staaten finanziert wird, hieße das nichts anderes als: Der Euroraum handelt gemeinsam gegen die Krise, auch finanziell. Das wäre vor allem ein politisches Signal, denn derzeit hat Italien noch keine Probleme, sich Geld zur Krisenbekämpfung zu leihen. Das aber könnte sich mittelfristig ändern. Auch der Ökonom Markus Brunnermeier von der Princeton University stützt die Forderung, den ESM entsprechend einzusetzen, und fordert europäische Solidarität. “Wenn sie nicht kommt, werden sich die Bürger fragen, ob wir Europa wirklich brauchen, wenn die EU in einer solchen Krise die Auswirkungen nicht abfedert“, schreibt er der taz.
Das würde auch nicht zu Anreizverzerrungen führen. Während der Eurokrise herrschte bei der Bundesregierung die Meinung vor, wenn Länder wie Italien schlampig haushalten, dürfte man ihnen danach nicht die Schulden abnehmen. Solche falschen Anreize würden nur erneut zu schlechtem Haushalten führen. Brunnermeier hält das Argument nun für überholt: Die Coronavirus-Krise habe niemand durch schlechte Haushaltsführung verschuldet.
Infos über das Corona-Virus in Leichter Sprache gibt es auf https://www.bundesregierung.de/breg-de/leichte-sprache/corona-virus
Der Ökonom Peter Bofinger geht sogar noch einen Schritt weiter. Er fordert, die EU sollte zur Bekämpfung der Krise gemeinsame Anleihen ausgeben. Also als Gemeinschaft kollektiv Schulden aufnehmen, in Form einer Corona-Anleihe. Während der Eurokrise ist das bereits unter dem Stichwort Eurobonds diskutiert worden, fand aber nie eine Mehrheit. „Viele argumentierten damals, gemeinsame Anleihen würden Schlendrian und Reformmüdigkeit belohnen“, sagte Bofinger er taz. Das sei aber nun obsolet. „Es wäre vollkommen gerechtfertigt, die Risiken jetzt gemeinsam abzusichern“, sagte er.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Nan Goldin in Neuer Nationalgalerie
Claudia Roth entsetzt über Proteste
Politikwissenschaftlerin über Ukraine
„Land gegen Frieden funktioniert nicht“
Krieg in der Ukraine
Kein Frieden mit Putin
Scholz und Pistorius
Journalismus oder Pferdewette?
Krieg in der Ukraine
Geschenk mit Eskalation
taz-Recherche zu Gewalt gegen Frauen
Weil sie weiblich sind