Maßnahmen der Erdogan-Regierung: Weitere Verhaftungen, mehr Polizei
Die türkischen Behörden nehmen weitere mutmaßliche Putschisten fest, die Polizeipräsenz wird hochgefahren. Und dann ist da noch die Diskussion um die Todesstrafe.
Die Zahl der Todesopfer bei dem gescheiterten Militärputsch stieg offiziellen Angaben zufolge auf 294. Mehr als 1.400 Menschen seien verletzt worden, teilte ein Regierungsvertreter mit. Von den Angaben zur Zahl der Todesopfer seien „Terroristen“ indes ausgenommen. So bezeichnet die Regierung die Putschisten. Jüngsten Angaben von Regierungsvertretern zufolge kamen mindestens 104 Umstürzler ums Leben.
Die Türkei ringt noch immer mit den Folgen der Spirale aus Chaos und Gewalt, die der Putschversuch am Freitag in Gang setzte. Die Behörden hielten die Gefahr eines neuerlichen Machtkampfs offenbar für nicht gebannt und riefen das Volk zur Wachsamkeit und zum Schutz der Demokratie auf.
In der Nacht kam es im ganzen Land zu neuen Solidaritätskundgebungen für Präsident Erdoğan. Regierungschef Binali Yıldırım wandte sich auf dem Kizilay-Platz in Ankara an versammelte Demonstranten und lobte den Widerstand der rivalisierenden politischen Parteien gegen den Umsturzversuch. Sie hätten trotz verschiedener Weltanschauungen Solidarität gezeigt, erklärte er. Dies zeige, dass alles andere nebensächlich sei, wenn es um das Land gehe.
Vorgehen gegen Justiz und Militär
Beobachter gehen davon aus, dass Erdoğan den gescheiterten Umsturz zur Festigung seiner Macht nutzen könnte. Den Putschversuch nannte er denn auch ein „Geschenk Gottes“ und kündigt eine „Säuberung“ an. Das Vorgehen gegen seine Gegner beschränkt sich indes nicht nur auf das Militär, auch die Justiz ist betroffen. Fast 3.000 Richter und Staatsanwälte wurden ihres Amtes enthoben und Dutzende Juristen auch festgenommen.
Am Wochenende hatten mehrere türkische Parlamentsabgeordnete die Wiedereinführung der Todesstrafe gefordert. Präsident Erdoğan sprach sich dafür aus, darüber Gespräche zu führen.
Luxemburgs Außenminister Jean Asselborn warnte die Türkei nach dem gescheiterten Putsch-Versuch davor, sich von ihren westlichen Partnern abzuwenden. „Die Nabelschnur überall durchzuschneiden, das wird den Menschen in der Türkei nicht helfen“, sagte der Diplomat im ZDF-Morgenmagazin am Montag. Sollte die Türkei die Todesstrafe wiedereinführen, dann würde sie die Beitrittsverhandlungen mit der EU selbst abwürgen. Asselborn forderte das Land und Präsident Erdoğan auf, mit rechtsstaatlichen Mitteln auf den Putsch-Versuch zu reagieren. „Dieser Putsch-Versuch ist keine Kleinigkeit.“
Asselborn fordert Rechtsstaatlichkeit ein
Die Mitgliedschaft der Türkei sowohl in der Nato, wie auch ihr Beitrittkandidaten-Status in der EU habe etwas zu tun mit Rechtstaatlichkeit, unterstrich Asselborn. Von einem Rechtsstaat könne man zum Beispiel erwarten, dass dort die Gewaltenteilung gelte. Da sei es befremdend, wenn nur wenige Stunden nach dem Putsch-Versuch fast 3.000 Richter abgelöst werden sollten. „Die Türkei wird nicht zur Ruhe kommen“, warnte der Politiker. Emotionen und starke Worte seien der falsche Weg. Die Türkei sollte selbstkritisch in sich gehen und sich fragen, wie es möglich sei, dass es überhaupt zu einem solchen Putsch-Versuch gekommen sei. Richtig sei aber auch, dass die Türkei für Europa bei der Lösung der Flüchtlingsfrage und im Kampf gegen die IS-Miliz ein wichtiger Partner sei.
Auch eine Reihe von Europapolitikern der Union äußerte sich mit Blick auf die EU-Beitrittsverhandlungen mit der Türkei skeptisch. Wenn Präsident Erdoğan die Situation ausnutze, „um weitere Verfassungsrechte einzuschränken, dann werden die Beitrittsverhandlungen schwierig bis unmöglich“, sagte der Vorsitzende des Auswärtigen Ausschusses im Europaparlament, Elmar Brok (CDU), dem in Düsseldorf erscheinenden Handelsblatt.
Der Vorsitzende des Europa-Ausschusses im Bundestag, Gunther Krichbaum (CDU), forderte die türkische Regierung auf, die demokratischen Prinzipien einzuhalten. Unrecht dürfe nicht mit Unrecht bekämpft werden, sagte er dem Blatt. „Eher geht ein Kamel durch ein Nadelöhr, als dass ein undemokratischer Staat Mitglied der EU wird.“
CSU-Generalsekretär Andreas Scheuer forderte, nun die Beitrittsverhandlungen ernsthaft zu überdenken. „Wer es spätestens bis jetzt nicht gemerkt hat: Die EU-Türkei-Politik muss vollständig auf den Prüfstand.“
Die EU hatte ihre Verhandlungen mit der Türkei über einen EU-Beitritt im Juni ausgeweitet. Beide Seiten vereinbarten damals den Beginn von Gesprächen über Verhandlungskapitel 33 zu Haushaltsfragen. Die Eröffnung hatten die EU-Staats- und Regierungschefs Ankara im März im Gegenzug für die Rücknahme von Flüchtlingen aus Griechenland versprochen.
Die Verhandlungen mit der Türkei über einen EU-Beitritt laufen seit Oktober 2005. Nun sind 16 von insgesamt 35 Verhandlungskapiteln eröffnet, in denen die EU-Standards für eine Mitgliedschaft festgelegt sind.
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