Massentierhaltung in Europa: Frau Vdovichenko gegen die Hühner

Die Europäische Union fördert mit Krediten Massenställe in der Ukraine. In den betroffenen Dörfern protestieren die Menschen dagegen. Ein Besuch.

Eine Fraiu mit bunter Schürze und kurzen grauen Haaren sitzt auf einer Bank

Ljudmilla Vdovichenko führt den Protest gegen die Hühnerfarmen an Foto: Niels Ackermann/Lundi13

LADYSCHYN/OLJANIZA taz | Nur eben so zum Spaß schwingt sich Igor Leschtschenko plötzlich an die Stange, macht 20 Klimmzüge und setzt das Gespräch, etwas außer Atem, fort. Die Klimmzugstange hat er gegenüber dem Schreibtisch in seinem Büro in der Geflügelfabrik Winnyzjaer Masthuhn aufgehängt. Leschtschenko ist hier der Direktor. In seiner Freizeit stemmt er Gewichte, war 2015 Europameister im Powerlifting in der Gewichtsklasse 110 Kilogramm. Tätowierungen bedecken seine Arme, kein Gramm Fett ist an dem schwergewichtigen Mann erkennbar. Er trainiere auch eine Wehrsportkampfgruppe für Jugendliche, sagt er.

Mit derselben Energie verteidigt Leschtschenko seine Arbeit hier im Gebiet Winnyzja, im Herzen der Ukraine. Es ist die Region, in der Petro Poroschenko, der Oligarch und „Schokoladenkönig“, seine Süßwarenfabrik aufgebaut und Milliarden erwirtschaftet hat, bevor er sich als Politiker an die Spitze des Staates kämpfte.

„Meine Hühnerfabrik ist die größte in Europa“, sagt Leschtschenko. „Und das wird auch so bleiben.“ Es ist ein heißer Sommertag, aber das Büro ist angenehm kühl. Hier Direktor der Geflügelfabrik zu sein bedeutet, ein Großunternehmen zu managen: Leschtschenko ist Chef von knapp 5.000 Mitarbeitern.

In den nächsten Jahren sollen die Mastkapazitäten verdoppelt werden, sagt er, ein weiteres Schlachthaus sei in Planung. Bereits jetzt baue man eine weitere Produktionseinheit, die „Brigade Nr. 13“. Zwei weitere Produktionseinheiten seien genehmigt.

Eine sogenannte Brigade besteht aus 38 weiß gestrichenen länglichen Gebäuden. In jeder dieser Brigaden leben 1,5 Millionen Masthühner. Zum Vergleich: Ein deutscher Hähnchenmastbetrieb hat im Durchschnitt 21.500 Hühner. In Leschtschenkos Fabrik werden 110 Millionen Tiere jährlich geschlachtet, das sind mehr als in allen Schlachthöfen Bayerns und Baden-Württembergs zusammen.

27.000 Tonnen Fleisch von hier landen in der EU

Leschtschenkos Unternehmen ist eine Tochter des Agrokonzerns Mironivsky Hliboproduct, kurz MHP, des größten ukrainische Geflügelproduzenten. Der Konzern gehört dem Oligarchen und Poroschenko-Freund Jurij Kosjuk. Er ist auch langjähriger Partner internationaler Finanzinstitutionen. Über eine halbe Milliarde Dollar hat der Agrokonzern in den vergangenen Jahren von Entwicklungsbanken bekommen – unter anderem von der Europäischen Bank für Wiederaufbau und Entwicklung und von der Europäischen Investitionsbank. Letztere ist ein Finanzinstrument der Europäischen Union mit dem Ziel, Entwicklungspolitik mit Partnerländern zu unterstützen.

Verkauft wird das Geflügel nicht nur in der Ukraine. Großbritannien, Deutschland, die Niederlande und über ein Dutzend weiterer EU-Staaten sind genauso Abnehmer von Geflügel der MHP wie Republiken der ehemaligen Sowjetunion, über ein Dutzend afrikanischer und arabischer Staaten und Länder wie Vietnam, Laos und die Mongolei. 2015 exportierte MHP 132.000 Tonnen Geflügel, über 27.000 Tonnen davon in die Europäische Union. Damit stiegen die Lieferungen in EU-Länder um 65 Prozent gegenüber dem Vorjahr.

Noch 2008 herrschte in der Ukraine Fleischmangel. In der Folge begann man die Hühnerproduktion zu industrialisieren. Huhn – das ist billiges Protein, leicht massenhaft herzustellen. Nur wenige Agrarholdings konnten in diesem Wettbewerb mithalten, allen voran die MHP. 2009 hatte das Unternehmen die Bevölkerung noch auf ihrer Seite. Man erhoffte sich mehrere Tausend neue Arbeitsplätze, glaubte den Versprechungen, Straßen und andere Infrastruktur zu verbessern. Viele verpachten dem Konzern gerne ihr Land für 210 Euro pro Jahr und Hektar oder einen einmaligen Betrag von 5.000 Euro für die 49-jährige Pacht eines Hektars.

Ljudmilla Vdovichenko

„Wir sind hier von Hühnerfabriken eingekesselt“

Es waren Orte wie das 1.300-Einwohner-Dorf Oljaniza, in denen die Menschen langsam begriffen, was für Auswirkungen das für sie hat.

Die Rentnerin Ljudmilla Vdovichenko sitzt in ihrer geblümten Küchenschürze auf einer Bank in ihrem Garten in der Mittagssonne. Vor dem Eingang ihres kleinen Einfamilienhäuschens in Oljaniza ist ein Rosenbeet angelegt, daneben ein Gemüsegarten. Über dem Zaun zum hinteren Teil des Grundstücks ragt das Dach eines blau bemalten Plumpsklos hervor. Ljudmilla Vdovichenko bietet Äpfel aus dem eigenen Garten und Maiskolben an. Im Nachbargarten streiten freilaufende Hühner.

Doch an der scheinbaren Landidylle brettern im Minutentakt schwere Lastwagen vorbei. Sie rauschen über den bröckeligen Asphalt der engen Dorfstraße direkt vor Vdovichenkos Gartentür und lassen jedes Mal das Gespräch für einen Augenblick verstummen. Viele dieser Lkws sind offene Tiertransporter, die acht Etagen mit eng zusammengepferchten Hühnern sind von Ljudmilla Vdovichenkos Bank gut zu erkennen. Kommen die Lastwagen aus der entgegengesetzten Richtung, sind sie bereits leer.

„Wir leben hier im Epizentrum der Agrarindustrie“, schimpft Ljudmilla Vdovichenko. Bereits jetzt stehen vor ihrem Dorf zwei Brigaden Mastanlagen, das bedeutet: drei Millionen Hühner. Bald sollen es doppelt so viele sein. Was für den gewichthebenden Geflügeldirektor Igor Leschtschenko unternehmerischen Erfolg verspricht, bedeutet für Ljudmilla Vdovichenko: Gestank. Unter anderem.

Hinter einem Zaun und einem geschlossenen Tor sind mehrere weiße Baracken zu sehen

Eine der Fabriken. 38 Gebäude mit 1,5 Millionen Hühnern bilden eine Brigade Foto: Niels Ackermann/Lundi13

Je nach Windrichtung riecht es in den Dörfern der Gegend mal mehr, mal weniger. „Wir sind hier von Hühnerfabriken eingekesselt, da spielt die Windrichtung keine große Rolle“, sagt Vdovichenko.

Ljudmilla Vdovichenko holt aus der Küche eine Tragtasche voller Dokumente. Als Parteilose sitzt sie für die Fraktion „Block Petro Poroschenko“ im Bezirksrat. Außerdem ist sie Vorsitzende einer Gruppe, die sich Komitee zur Rettung des Dorfes Oljaniza nennt. Aus der zerknitterten Tragtasche, die irgendwann einmal blau war, holt sie Kopien der von ihr organisierten Unterschriftensammlungen gegen den weiteren Ausbau der Hühnerfabriken. Sie bewahrt darin auch die Unterlagen über die erhöhte Belastung des Wassers in ihrem Dorf mit Nitrat und anderen Giftstoffen auf. Und dann ist in der Tragtasche noch die Einladung zu einer Informationsveranstaltung von den Behörden und der Mastfabrik, in der diese für die Erweiterung der Anlagen geworben hatten.

Dorfbewohner blockieren die Zufahrtsstraßen

Es ist 2010, als die Menschen in ihrem Dorf unter Leitung von Ljudmilla Vdovichenko zum ersten Mal gegen Bauarbeiten protestierten. Damals wird auch das Komitee zur Dorfrettung gegründet. Ein Jahr später schreiben die Bewohner einen offenen Brief an den damaligen Präsidenten Janukowitsch, in dem sie öffentliche Anhörungen zu den ökologischen Auswirkungen der Hühnerfabrik fordern. Dann suchen sie nach anderen Mitteln: 2012 wird in Oljaniza erstmals die Durchgangsstraße blockiert. Die Bewohner fordern eine Umgehungsstraße, eine Geschwindigkeitsbegrenzung auf 20 Kilometer pro Stunde, Schadenersatz für durch den schweren Verkehr entstandene Risse in den Häusern. Im November 2015 blockieren Bewohner eines Nachbardorfs aus Protest gegen den geplanten Ausbau der Hühnerfabrik drei Tage lang die Zufahrtswege zu den Mastanlagen.

Doch der Protest hat plötzlich ganz andere Folgen als erhofft: 2015 und 2016 werden vier Gegner des Ausbaus der Hühnerfabriken von Unbekannten so schwer zusammengeschlagen, dass sie ärztliche Hilfe benötigten. Zwei weitere Aktivisten werden plötzlich zur Armee einberufen und müssen an die Front.

Im Sommer diesen Jahres wendet sich Jurij Urbanskij, der Vorsitzender der ukrainischen Umweltorganisation Necu, an den ukrainischen Innenminister. Die Gewalt gegen Gegner der Hühnerfabriken nehme zu. Er möge doch die jüngsten Überfälle gegen diese Aktivisten zur Chefsache machen, bittet Urbanskij den Innenminister. Regelmäßig suchen Umweltschützer des Necu die Anwohner der Ortschaften auf, in denen sich Betroffene über Mastanstalten beschweren, bieten ihnen Beratung und juristische Unterstützung an.

Eine Gruppe von Menschen im Gespräch. Die meisten sind Frauen

Bewohner des Dorfes Welika Stratiewka im Gespräch mit Umweltschützern aus Kiew Foto: Niels Ackermann/Lundi13

Gemeinsam mit Bankwatch, einer international agierenden bankenkritischen Umweltgruppe, kritisiert Necu die Unterstützung der Massentierhaltung durch europäische Banken wie die Europäische Bank für Wiederaufbau oder die Europäische Investitionsbank.

Die halbe Milliarde Dollar hätten die Banken besser für andere Projekte verwendet, kritisieren die Aktivisten. Zur Förderung kleiner und mittlerer Unternehmen, zum Beispiel in den Bereichen ökologische Landwirtschaft oder Tourismus. „Die Europäische Bank für Wiederaufbau erklärt, dass sie nur Projekte fördere, die nachhaltig und demokratiefördernd seien und kleine und mittlere Unternehmen stärken. Mir scheint, die Förderung des ukrainischen Agro-Giganten MHP erfüllt keines dieser drei Kriterien“, sagt Fidanka Bacheva McGrath von der Organisation Bankwatch.

Man habe nichts zu verbergen, sagt der Fabrikdirektor

Die Europäische Bank für Wiederaufbau weist diese Kritik zurück. Man habe das Unternehmen geprüft und sei zu der Auffassung gekommen, dass die MHP in Übereinstimmung mit Umweltstandards der EU arbeite, erklärt Gilles Mettetal, der Direktor der Bank für den Bereich Landwirtschaft. „Wir sind der Auffassung, dass diese Firma in der Lage war, eine sehr effektive und konkurrenzfähige Geflügelproduktion aufzubauen und gleichzeitig gute Standards bietet. In der Folge bringt sie dem Land zunehmende Exporteinnahmen, schafft eine beträchtliche Zahl an Arbeitsplätzen.“ Die Ukraine, so Mettetal, brauche Firmen wie die MHP.

Es sind vor allem die Umweltschützer aus Kiew, London und Brüssel, die in den Geldern europäischer Banken ein Druckmittel erkennen. Die Aktivistinnen wie Ljudmilla Vdovichenko vor Ort sehen vor allem einen lokalen Oligarchen, der mit Hühnerfabriken reich wird. Sie sehen die Berge von Kot, abgekippt neben den Maisfeldern, und die toten Hühner am Straßenrand, die Lkws ohne Nummernschilder verloren haben.

Das Produkt: Der Pro-Kopf-Verbrauch von Geflügelfleisch steigt sowohl in Deutschland als auch weltweit. Ein Deutscher isst davon durchschnittlich 19,6 Kilogramm im Jahr.

Der Konzern: Die größte Hähnchenfabrik Europas ist die GeflügelfabrikWinnyzjaerMasthuhn in der Zentralukraine. Hier werden im Jahr 440.000 Tonnen Fleisch produziert. Die Fabrik ist eine Tochter des Agrokonzerns MHP des Milliardärs Jurij Kosjuk – eines Geschäftspartners des Präsidenten Poroschenko.

Die Förderer: Die EU fördert über Kredite von Entwicklungsbanken Unternehmen in der Ukraine. MHP bekam von der ­Europäischen Bank für Wiederaufbau 246 Millionen und von der Europäischen Investitionsbank 82 Millionen Dollar.

Am meisten fürchten Ljudmilla Vdovichenko und ihre Nachbarn um die Qualität des Wassers. In den Dörfern um Ladyschyn gibt es keine zentrale Wasserversorgung. Wer in seinem Garten keinen eigenen Brunnen hat, holt sich vom Brunnen auf der gegenüberliegenden Seite der Straße sein Wasser. Eine Nachbarin von Ljudmilla Vdovichenko beklagt schon, dass seit einigen Jahren der Wasserspiegel in ihrem Brunnen sinke. Sie zeigt einen der vielen Abfallberge von Hühnermist unweit ihres Hauses vor dem Ortseingang. Die Nachbarin hält sich die Nase zu. Einige dieser Abfallberge liegen auf einem Betonboden, sind mit einer meterhohen Mauer umgeben. Ein Schutz vor einem Eindringen der gefährlichen Stoffe in den Boden ist das nicht. Jedes Mal nach dem Regen sei das Wasser hier ungenießbar.

Wer die werkseigene Kläranlage sehen wolle, könne das gerne tun, sagt der Fabrikdirektor Igor Leschtschenko in seinem Büro mit der Klimmzugstange. Zu verbergen habe man nichts, im Gegenteil. Gerade hatte Leschtschenko noch erklärt, dass es in der Regel 41 Tage dauere, bis die Küken, die in den Nachbardörfern von Ljudmilla Vdovichenko zur Welt kommen, in der Hühnerfabrik geschlachtet werden. Man habe allerdings auch Kunden aus Asien und die bevorzugten jüngere Masthähnchen. „Bei denen ist schon nach 30 Tagen Schluss“, sagt er und macht mit seinen gekreuzten flachen Händen eine vielsagende Geste.

Leschtschenkos Mastfabrik hat eigene Umweltbeauftragte, Ökologen, angestellt. Sie würden sogar eine Übererfüllung der Umweltauflagen umsetzen, sagt der Direktor.

Und so führt Valerij Korol, der Chefökologe der Fabrik, die Besucher stolz durch die werkseigene Kläranlage. Alles ist vollautomatisiert, pro Schicht seien nur vier Personen im Einsatz. „Die Anlage entspricht modernsten europäischen Standards“, sagt der Chefökologe und zeigt auf Fische, die sich in einem Klärbecken tummeln.

Jeden Monat entnehme ein unabhängiges Labor in Kiew Grundwasserproben, sagt Korol. Der Chef des Kiewer Labors bestätigt am Telefon, dass sein Betrieb unabhängig von der Mastfabrik in Winnyzja sei. Allerdings werde das Labor von MHP, dem Mutterkonzern, also dem Agrargiganten selbst, finanziert.

Und es landen längst nicht alle Verunreinigungen in der Kläranlage. Man reinige lediglich die Abwässer von Schlachthaus, Inkubator und Futtermittelanlagen, erklärt der Chefökologe Korol. Die Abwässer der Masthäuser werden eine gewisse Zeit in Sedimentierbecken gehalten und würden dann auf die Felder gekippt. Was mit dem Sediment geschieht, kann er nicht sagen.8.400 Tonnen des Treibhausgases Methan, haben lokale Umweltschützer berechnet, gebe die Hühnerfabrik Winnyzja jährlich an die Umwelt ab. Auch 250.000 Tonnen Kohlendioxid und knapp 100 Tonnen Ammoniak würden jährlich erzeugt.

Ljudmilla Vdovichenko ist jetzt auf dem Weg zur anderen Seite ihres Dorfes. Sie wird schon erwartet. „Sehen Sie sich meine Beine an, meinen Bauch. Überall Flecken, Ausschläge. Solche allergische Reaktionen habe ich früher nie gehabt“, schimpft eine ältere Frau. Ihr Blick schweift zu den Dutzenden weiß gestrichene Bauten, ungefähr 300 Meter vom Dorfeingang entfernt. Früher seien die Enkelkinder noch häufig wegen der Landluft aus Kiew gekommen, sagt sie. Heute fährt sie nach Kiew, um sich zu erholen.

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