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Maskenpflicht im ÖPNV in BerlinKaum Nackte in Bus und Bahn

Tag eins der Maskenpflicht bei BVG und S-Bahn – und erstaunlicherweise halten sich so gut wie alle BerlinerInnen dran. Noch jedenfalls.

So ist es richtig – bisschen bunter ginge es aber noch in punkto Gesichtsschutz Foto: imago images / Frank Sorge

Berlin taz | Das Humor-Team der BVG hat sich mal wieder ins Zeug gelegt: „4 gute Anlässe, um in Berlin eine Maske zu tragen“, projizieren die Werbe-Beamer auf die Wände des U-Bahnhofs Friedrichstraße: „1. Mai im Görli, Party im KitKat Club, verunglückte Nasen-OP, weltweite Corona-Pandemie“. Ein vergleichsweise dezenter Hinweis darauf, dass seit diesem Montag alle ÖPNV-NutzerInnen per Landesverordnung zum Tragen einer „Mund-Nase-Bedeckung“ verpflichtet sind.

Ja, auch ein Spruchband auf den elektronischen Infotafeln und regelmäßige Durchsagen einer Computerstimme erinnern an die neue Auflage. Aber wenn man sich so umschaut an Tag eins der Maskenpflicht, scheinen so gut wie alle schon Bescheid zu wissen. Mehr noch: Sie halten sich daran! Die nicht repräsentative Zählung des Autors ergab eine gefühlte Quote um die 97 Prozent, beflissener geht's kaum.

Entzückend die Vielfalt, die sich beobachten lässt: Neben den weißen und krankenhausgrünen Einwegmasken, die eine verlässliche Grundkonstante bilden, schmückt ein bunter Strauß an Formen und Farben die Gesichter. Geraffte und glatte, spitze und flache, flauschig-anschmiegsame und solche, die wie ein Brett vor dem Gesicht hängen, rote und schwarze, beige und blaue, gepunktete, geblümte, gesternte und, ja, auch eine mit Pailletten in allen Farben des Regenbogens.

Eher wenige Fahrgäste schützen sich und andere mit einem Schal, den sie bis über die Nase ziehen – erlaubt ist das. Immer noch häufig zu sehen: Arbeitsmasken mit Ventil. Diese versagen allerdings ausgerechnet in Sachen Fremdschutz: Sie sind mit Absicht so konstruiert, dass die ausgeatmete Luft ungefiltert und somit ungebremst entweichen kann. Für Handwerker, die mit gefährlichen Stäuben zu tun haben, genau das Richtige, für Menschen, die ihre potenzielle Virenlast anderen vorenthalten wollen, eher nicht.

Bei den wenigen Ausnahmen handelt es sich offensichtlich um die üblichen Verpeilten oder aber solche, die ohnehin auf Rücksichtnahme pfeifen – wie der junge Mann, der Sterni-Kronkorken als Buttons an der Lederjacke trägt und seine Stiefel auf der Bank abgelegt hat. Bei den beiden Jungs, die auf der Kantstraße maskenlos in den Bus in Richtung Zoo springen, ist die Sache unklar: „Ey Digga, mein Mundschutz!“, ruft der eine und macht Anstalten, wieder auszusteigen, dann lacht er und tut es doch nicht. Wollte er wirklich noch mal nach Hause oder war's ein Gag?

Blicke aus dem Augenwinkel

In jedem Fall ernten an diesem Tag alle mit nacktem Gesicht misstrauische Blicke aus den Augenwinkeln, manchmal werden sie unverhohlen vorwurfsvoll angestarrt. Die soziale Kontrolle scheint zu funktionieren, muss sie auch, denn BVG und S-Bahn überprüfen das Maskentragen nicht. Das bestätigt auch die Kontrolletti-Crew auf dem U-Bahnhof Hallesches Tor, die selbst mit OP-Mund-Nase-Schutz ausgerüstet ist. „Nicht unser Job“, bescheidet einer von ihnen knapp. Wobei nach Angaben der Verkehrsbetriebe die Bedeckungspflicht ohnehin nicht auf dem Bahnsteig gilt.

Ziemlich überflüssig sind im Übrigen die Rufe nach kontinuierlicher Desinfektion der Fahrzeuge: So gut wie niemand berührt noch mit bloßen Händen Stangen oder Sitze. Für den Druck auf den Türknopf – in den Waggons der Baureihen, die keine zentrale Öffnung kennen – wird der spitze Ellbogen genommen oder der Daumen mit dem Jackenärmel verhüllt.

Epidemiologisch betrachtet sind die meisten also inzwischen gut konditioniert – fragt sich nur, wie lange das Pflichtbewusstsein vorhält. Schließlich wird bislang auch kein Bußgeld bei Missachtung fällig. Dass es manchmal nicht ohne solche Anreize geht, hat jetzt auch Gesundheitssenatorin Dilek Kalayci (SPD) gemerkt. Sie hatte sich mal „genau angeschaut“, wie es die KundInnen im Einzelhandel mit der Empfehlung zum Maskentragen halten, und war – so sagte sie es am Sonntag der dpa – „wirklich erschrocken“, dass nur „ungefähr ein Fünftel“ sich daran hielt.

Während der Regierende Bürgermeister Michael Müller (SPD) noch vergangene Woche die fehlende Maskenpflicht in Läden damit begründet hatte, man könne sich im Gegensatz zu Bus und Bahn ja aus dem Weg gehen, weiß Kalayci nun: Auch in Supermarktgängen sind 1,5 Meter Abstand kaum einzuhalten. Ihr Fazit: „Ich halte deshalb auch dort eine Verpflichtung für unumgänglich.“ Berlins bundesweiter Alleingang dürfte bald ein Ende haben.

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1 Kommentar

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  • "soziale Kontrolle", "Konditionierung", "Misstrauen", " alle die sich nicht daran halten werden angestarrt", aber das sind ja sowieso nur die "üblichen Verpeilten".



    Liebe taz, was ist denn in euch gefahren? Jetzt wird die bereits an anderer Stelle bemängelte Blockwartmentalität auch noch mit der schamlosen Diskreditierung von Menschen mit anderen Ansichten verknüpft, die aus immer noch guten Gründen keine "Gesichtswindel" tragen wollen oder können.



    Ich erkenne meine tageszeitung nicht mehr wieder.