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Masken-Projekt in ThüringenWie Migranten gegen Corona nähen

Mit Mundschutz und Betreung: Im thüringischen Gera helfen Flüchtlinge jetzt den Deutschen aus der Coronakkrise.

Die Maskenäher: Mitglieder des Vietnamesischen Vereins in Gera stiften Gesundheit Foto: Michael Bartsch

Gera taz | Im Rehabilitationszentrum des Arbeiter-Samariterbundes im Geraer Stadtteil Lusan ist ein Tisch aufgebaut, vor dem ein Korb mit 250 Gesichtsmasken steht. Deren Vorführung käme einem Maskenball gleich, so bunt und vielfältig leuchten die verwendeten Stoffe.

Die, die sie genäht haben, sind zur Übergabe an den Arbeiter-Samariterbund erschienen: acht Frauen vom Vietnamesischen Verein und deren Vorsitzender Nguyen Chinh Duc. Seit Wochen dürfen auch sie ihre Gaststätten und Imbisse nicht mehr öffnen. Also setzten sich die Frauen an ihre Nähmaschinen und beteiligten sich am Volkssport des Maskennähens. „Wir haben schon beim Elster-Hochwasser 2013 geholfen und gespendet. Das ist unsere Mentalität“, lobt der Vorsitzende die Vereinsgemeinde.

70 Familien mit etwa 300 Personen haben sich in dem Verein zusammengeschlossen. Sie kamen zum Teil schon zu DDR-Zeiten aus Vietnam. In der Coronakrise nähen sie gratis Masken für die Wohlfahrtsverbände. Die 250 für den Arbeiter-Samariterbund sind schon die zweite Charge. „Wir tun das von Herzen, denn wir fühlen uns hier zu Hause“, betont Huong Nguyen, eine selbstbewusste Frau in eng anliegenden Hosen. Man sieht ihr nicht an, dass sie schon 1987 in einem DDR-Textilbetrieb arbeitete, bevor sie 1991 ihren eigenen Laden eröffnete.

Wir haben schon beim Elster-Hoch­wasser 2013 geholfen

Nguyen Chinh Duc, Gera

„Sie können gut nähen“, lobt Sa­mariterbund-Heimleiterin Doreen Wiesner die Nadelkünste der asiatischen Frauen, „das ist ihnen in die Wiege gelegt.“ Sie seien überhaupt sehr geschickt, meint sie beim Betrachten der kreativ gestalteten Masken-Unikate. Schon früher habe man defekte Dinge „zum Vietnamesen“ gebracht. Das Zusammengehen mit Ausländern, die eigentlich schon lange gar keine Ausländer mehr sind, findet Heimleiterin Wiesner in der akuten Belastungssituation nicht ungewöhnlich. „Im Sozialbereich wachsen wir ohnehin eher zusammen!“

Das Stadtteilzentrum von Gera-Lusan befindet sich etwa einen Kilometer vom Haus des Arbeiter-Samariterbunds entfernt in einer ehemaligen Kindertagesstätte. Hier hat der Interkulturelle Verein Gera seinen Sitz. Auf den zusammengeschobenen Tischen im größten Raum stapeln sich die Hilfsgüter. Nesrin Bakkour, eine aus Syrien stammende stille Frau mit Kopftuch, sitzt hinter einer originalen Veritas-Nähmaschine aus DDR-Zeiten. Die Herkunft der stellvertretenden Vereinsvorsitzenden Olga Lange verrät nur noch ihr Vorname, so akzentfrei spricht sie Deutsch. Sie kam als Spätaussiedlerin nach Gera, als es noch die Sowjetunion gab. Der Raum war einst die russische Bibliothek, verrät sie, und an der Wand hängt ein Plakat mit dem kyrillischen Alphabet.

Hier wird eine Flüchtlingshilfe in umgekehrter Richtung praktiziert, bei der die Migranten zu Helfern für ihre deutschen Mitbürger avancieren. Schon seit drei oder vier Jahren leben sie in der Bundesrepublik, ihr Asylverfahren ist längst abgeschlossen und sie besitzen eine Aufenthalts- und Arbeitserlaubnis. Automechaniker, Tischler oder Zahntechniker nennen sie als ihre erlernten Berufe.

Es begann schon lange vor Ausbruch der Pandemie. Der Interkulturelle Verein hatte eine Vereinbarung mit dem Jugendamt der Stadt Gera über Hausaufgabenhilfe für Migrantenkinder getroffen. Dazu gehört auch interkulturelle Bildung bei Veranstaltungen in Schulen und Jugendeinrichtungen. Jetzt aber sind diese geschlossen, und auch der Vereinssitz im Stadtteilzentrum musste dichtmachen. Für die dezentral untergebrachten Geflüchteten fallen dadurch viele der täglichen Kontakte weg. Die beiden Vereinsvorsitzenden Evelyn Fichtelmann und Olga Lange beobachten bei ihren Schützlingen in diesen Wochen gar den Verfall ihrer gerade erworbenen sprachlichen Fähigkeiten.

Ausschließlich positive Reaktionen

Die beiden Frauen erfuhren vom Aufbau einer Nachbarschaftshilfe in Krisenzeiten und boten der Geraer Ehrenamtszentrale die Unterstützung des Interkulturelle Vereins an. Eine riskante Idee, so schien es. Ob sich die Männer arabisch-muslimischer Prägung an Hilfsdiensten für bedürftige, in ihren Wohnungen festsitzende Deutsche beteiligen würden? Ob die Adressaten, häufig ältere Angehörige von Risikogruppen, diese Hilfe überhaupt akzeptieren würden?

Also rief die Vereinsleitung bei ihren Klienten an und klärte sie über die bevorstehenden Besuche hilfsbereiter Migranten auf. „Es gab ausschließlich positive Reaktionen“, berichtet Evelyn Fichtelmann, selbst noch ganz erstaunt. Die anfängliche Skepsis einer lungenkranken Frau sei nach den ersten Erfahrungen verflogen. Ein „ganz Lieber“ sei ihr afghanischer Helfer, und er mache das „ganz toll“.

Vereinbart sind klare Regeln, die solche Zustimmung durch die Eingeborenen erleichtern. „Unsere Migranten übernehmen keine Betreuungs- oder Pflegeaufgaben und betreten die Wohnungen nicht“, erklärt Fichtelmann. Wenn sie die Arzneien und Lebensmittel vor der Wohnungstür ablegen, tragen sie Atemschutzmasken und Handschuhe. Sie wechseln ihre Klienten nicht und bauen so eine persönliche Verbindung auf.

Die Männer bestätigen die ihnen entgegengebrachte Aufgeschlossenheit, wenn sie an den Türen klingeln. „Der Einkauf kostete 11 Euro, aber der Mann bestand darauf, dass ich 15 nehme“, berichtet der Kaukasusdeutsche Andrei Kazalikashvili. Auch der junge Syrer Mirie Almohammad spricht von „dankbaren Deutschen“, die stets 50 Cent Taschengeld drauflegen wollten, was wiederum die Helfer nicht annehmen. Almohammad ist so etwas wie der Sprecher der syrischen Community im knapp 100.000 Menschen zählenden Gera. Er ist in einem Flüchtlingsprojekt angestellt. Die anderen 13 Helfer erhalten vom Bundesfreiwilligendienst 200 Euro Aufwandsentschädigung monatlich.

Mirie Almohammad schildert die Lern- und Anpassungsprozesse an die deutsche Essens- und Einkaufskultur. Die Migranten sind es gewohnt, in den vier vorhandenen Spezialitätengeschäften Geras nach ihren Gewohnheiten einzukaufen. Nun steht plötzlich „Scheibenkäse“, „Leberwurst“ oder „Wurst vom Netto“ auf dem Einkaufszettel. Darf es auch Wurst vom Kaufland sein? Eine Herausforderung bedeutet auch die aufwändige Beschaffung der Arzneimittel. Es gilt eine Vollmacht zu beschaffen, dann das Rezept einzulösen. Den Begriff „Kundenkarte“ lernen die Geflüchteten nebenbei. Das sei „gelebte Integration“, schwärmt Vereinschefin Olga Lange.

Rassismus nicht verschwunden

Das Geraer Beispiel bedeutet freilich nicht, dass damit alle Ressentiments gegen Migranten verschwinden würden. Yamen Chuieb ist der Stillste und der Älteste in der Runde und der Einzige, der indirekt auch schon Undank für seine Hilfe erfahren hat. Seine zufriedene Adressatin, eine Krebspatientin, hat ihm von den aufgebrachten Äußerungen ihrer Nachbarin erzählt. „Was macht der hier, der soll zurück“, habe diese gerufen, woraufhin sie sich für ihre Nachbarin geschämt habe.

Bei der Verabschiedung ist es wieder Yamen Chuieb, der die versöhnliche Stimmung zwischen deutschen Gastgebern und ihren gar nicht mehr so fremden Mitbürgern trübt. „Aber schreiben Sie bitte auch über den alltäglichen Rassismus“, nimmt er den Reporter beiseite. Und erzählt, wie in seinem Haus Grüße nicht erwidert und sein Namensschild an Klingel und Briefkasten immer wieder entfernt werden. Die Helferin Nesrin Bakkuor berichtet, sie sei in der Straßenbahn unter dem Vorwand des Infektionssicherheitsabstands dazu aufgefordert worden, den Sitzplatz neben einer Deutschen zu verlassen, während sich ein anderer Deutscher setzen durfte.

Der enormen Dankbarkeit gegenüber ihrem Gastland tut das bei den Migranten aber keinen Abbruch. „Wenn sie von ihrer Heimatstadt sprechen können, bedeutet das viel mehr Lokalpatriotismus, ja Pathos als bei Deutschen“, erklärt Vereinsvorsitzende Olga Lange. Mirie Almohammad etwa will seiner „zweiten Heimat“, wie er sagt, etwas zurückgeben, „die mir Sicherheit und Freiheit gegeben hat“. Andrei Kazalikashvili möchte gar lernen, „ein echter deutscher Mann zu werden“.

„Die Hilfe und dieser Geist könnten über die Krise hinaus weitertragen“, gibt sich Evelyn Fichtelmann optimistisch. Ihre Ko-Chefin Olga Lange ist skeptischer. „Wenn alles wieder in Ordnung ist, kann auch schnell wieder vergessen werden, was man ändern müsste!“

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4 Kommentare

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  • Streckenweise dachte ich. Es handelt sich um Satire. Die „in die Wiege gelegten“ Nadelkünste der asiatischen Frauen sind auch als Zitat schwierig. Es ist sicher ein tolles, aber lange nicht einzigartiges Projekt. Vielleicht kann man sich darauf einigen, dass hier Menschen aus Deutschland anderen Menschen in Deutschland helfen. Der Artikel hat so einen merkwürdigen Tenor von „sehr mal, es geht auch andersrum“. Braucht die taz-Leserschaft eigentlich nicht.

  • Zum Glück (?) lesen andere TAZ Abteilungen nicht alle Texte gegen. Sonst würden Aussagen wie: "eine selbstbewusste Frau in eng anliegenden Hosen. Man sieht ihr nicht an, dass sie schon 1987 in einem DDR-Textilbetrieb arbeitete, bevor sie 1991 ihren eigenen Laden eröffnete." wohl nicht durchgehen. Vielleicht ist es nicht sexistisch, aber es wäre schon interessant zu erfahren, wie eine Frau aussieht, der man die Arbeit im Textilbetrieb der DDR ansieht.

    Auch Aussagen, wie :„Sie können gut nähen“, lobt Sa­mariterbund-Heimleiterin Doreen Wiesner die Nadelkünste der asiatischen Frauen, „das ist ihnen in die Wiege gelegt.“ würden anderwo als versteckter oder offener Rassimus ausgelegt.

    Gut, dass selbst die TAZ nicht päbstlicher ist als der Pabst.

    • RS
      Ria Sauter
      @fly:

      Genau dies waren auch meine Gedanken beim lesen des Artikels.



      Das darf nicht wahr sein.



      So schnell geht es, wenn der eigene erhobene Zeigefinger abknickt.

      • 9G
        91491 (Profil gelöscht)
        @Ria Sauter:

        Dem kann ich mich nur anschließen 👍